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Enggistein - Die Filzfabrik floriert wieder

Quelle
Berner Zeitung BZ

Die 175-jährige Filzfabrik ist nach grossen Schwierigkeiten wieder auf Kurs. Niklaus Sägesser, Besitzer seit 2010, hat die Firma restrukturiert und mit neuen Produkten marktfähig gemacht.

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Tonnenweise Filzrollen: Niklaus Sägesser, Besitzer des Fissco AG in Enggistein, hat die Firma wieder auf den Erfolgsweg geführt. (Bild: Stefan Anderegg)
In den Fabrikationsräumen der Fissco ist Niklaus Sägesser in seinem Element. Enthusiastisch erklärt er, wie hier Kunststofffasern so verdichtet werden, bis sie hartgepresste Platten, Bänder und Röhren sind. Wie seine Angestellten Schafwollfilz zu kleinen und grösseren Teilen fertigen. Tausende Filzprodukte stapeln sich da, Säcke mit geschorener Schafwolle türmen sich raumhoch.

Das Know-how Sägessers erstaunt. Denn vor sechs Jahren kannte der Unternehmer das Filzgeschäft noch kaum. Er kam von der Pharmabranche, arbeitete 17 Jahre lang in Kaderpositionen der Galenica. Doch 2010 kaufte er die Fissco in Enggistein, die durch die Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, arbeitete sich in die Materie ein und verhinderte den Konkurs. Seither hat er umstrukturiert, Prozesse optimiert, Teile der Produktion ausgelagert, neue Nischenmärkte erschlossen und die Produktepalette ergänzt. Von den ehemals 28 Angestellten arbeiten heute noch 23 in der «Filzi». Und: Sie sehen Licht am Ende des Tunnels. «2016 kann das erste Jahr mit schwarzen Zahlen sein», sagt Sägesser, der stolz auf seine Mitarbeiter ist.

Die Fissco ist die letzte Produzentin von Filz im Land. Das Unternehmen ist älter als die Schweiz. Gegründet 1841, feiert es heuer das 175-jährige Bestehen. Heute Abend versammeln sich rund 100 geladene Gäste zum Jubiläumsanlass.

Zuerst einen Markt suchen

Wie gelang es Sägesser, die Fissco im Nischenmarkt Filz zu positionieren und ihr neues Leben einzuhauchen? «Ich kenne den Handel noch aus meiner Zeit bei der Galenica», erzählt er. Er habe rasch gemerkt, dass die Wollfilzproduktion defizitär war. Also verkaufte er seine Maschinen nach Deutschland. Er lässt den Filz dort nach seiner Rezeptur als Halbfabrikat produzieren und veredelt ihn in Enggistein. Er habe aber auch erkannt, dass Absatzmärkte fehlten. «Meine Devise ist: Suche zuerst einen Markt, bevor du ein Produkt hast.»

Diesen Leitspruch hat er angewandt, als er neue Produkte einführte. Zum Beispiel beim Dämmstoff. Heute sammelt er bei hiesigen Bauern 120 Tonnen Schafwolle, lässt daraus in Süddeutschland Platten herstellen. Diese verkauft er an Schreiner und Zimmereien, die sie zur Dämmung von Häusern verwenden. Das habe Zukunft, ist Sägesser überzeugt, weil das Naturprodukt besser wirke als Glasfaser oder andere Stoffe.

Die grösste Produktion der Fissco ist jene von Nadelfilz, zum Teil aus rezyklierte PET-Flaschen hergestellt. Daraus werden nicht etwa Teppiche. «Wir könnten die Menge und Farben nicht liefern», sagt der Chef. Abnehmer ist vor allem die Maschinenindustrie. Der Filz wird dort vorwiegend zum Reinigen von Metallteilen verwendet, weil die Streifen und Platten kontinuierlich Flüssigkeit abgeben. Sägesser sucht aber ständig nach Neuem. Gerade ist er daran, wieder Filzpantoffeln herzustellen und zu vermarkten. Wie es die Fissco früher jahrzehntelang tat.

Problem Eurokurs

Zwischen 450 und 500 Tonnen Material verkauft die Fissco AG pro Jahr. Die rund 4500 verschiedenen Artikel gehen zu 80 Prozent ins europäische Ausland und in die Türkei. Gerade darin liegt eines der Hauptprobleme der Firma. Sägesser: «Der Einbruch des Euro, zuerst von 1.60 auf 1.20 Franken und später auf 1.07 Franken, macht uns zu schaffen.» Doch klagen mag er nicht, die Rahmenbedingung müsse er akzeptieren. Vielmehr blickt er voraus, schaut, wie er den Betrieb verschlanken und neue Kunden gewinnen kann. Er sei ein «Macher», sagt er. «Ich kann umsetzen, was ich im Kopf habe.» Und wenn er auf die letzten sechs Jahre zurückblickt, ist für ihn klar: «Es sind die interessantesten Jahre meines bisherigen Lebens.»

GESCHICHTE
Die Filzfabrik Enggistein, später Fissco AG genannt, wurde 1841 gegründet. Vom ersten Standort im Moos zog der Betrieb 1871 an den heutigen Standort an die Biglenstrasse, weil dort der Untergrund für die Maschinen besser war. Lange gehörte die Fissco der Familie Ellenberger und der angeheirateten Familie Schneiter.

2006 wurde noch eine moderne Doppelnadliermaschine zur Herstellung von technischen Nadelfilzen angeschafft. Doch die Perspektiven hatten sich angesichts der Wirtschaftskrise verschlechtert. 2010 kaufte Niklaus Sägesser die Firma und ist seither Geschäftsinhaber. hrh

Autor:in
Herbert Rentsch, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 25.11.2016
Geändert: 25.11.2016
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