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Worb - Filzfabrikant kann Flüchtlingswohnheim bauen

Quelle
Der Bund

Niklaus Sägesser hat ein Weihnachtsgeschenk erhalten: die Baubewilligung für das Übergangswohnheim für Flüchtlinge in der alten Filzfabrik in Worb.

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Niklaus Sägesser investiert eine halbe Million Franken. (Bild: Manu Friederich)
Niklaus Sägesser am anderen Ende des Telefons ist ganz aus dem Häuschen. Endlich hat er die Baubewilligung in der Hand. Er ist Besitzer und Geschäftsführer der Fissco AG und will einen Teil der alten Filzfabrik in Enggistein bei Worb in ein Wohnheim für 65 Flüchtlinge umbauen. Anerkannte Flüchtlinge und Kontingentsflüchtlinge aus Syrien und den Lagern in den umliegenden Ländern sollen bald dort wohnen.

Ein paar Tage später ist bereits der Heizungsmonteur am Werk. Wenn es jetzt nicht vorwärtsgehe, sei er selber schuld, sagt Sägesser. «Ich kann mir nur noch selber im Weg stehen.» Im Februar sollen die ersten Bewohner einziehen. Ursprünglich hätte dies schon im August geschehen sollen.

Einsprachen aus dem Quartier

«Für mich ist das ein Weihnachts­geschenk», sagt Sägesser. Seine Stimmung ist aufgeräumt. Eigentlich hätte die Baubewilligung schon länger vorliegen können, aber es gab Einsprachen. Unter anderen eine Sammeleinsprache von 27 Personen aus dem gegenüberliegenden Wohnquartier. Sie wollten, dass in der Baubewilligung steht, dass das Flüchtlingsheim nur einmalig für fünf Jahre bewilligt wird. «Ich reichte ihnen die Hand», sagt Sägesser. Er habe viele zum 175-Jahre-Jubiläum der Fissco eingeladen. Viele seien auch gekommen, andere hätten sich abgemeldet. Ansonsten ist das Projekt in Worb wenig ­umstritten. Von der Gemeinde wurde er von Anfang an unterstützt, obwohl es in Enggistein bereits seit Jahren ein Durchgangszentrum für Asylsuchende gibt. Nur die SVP muckte einmal kurz auf, in Enggistein seien die Einheimischen bald in der ­Minderheit.

Eine Kita für Flüchtlingskinder

Wer ist der Filzfabrikant, der vor sechs Jahren die vor dem Konkurs stehende Fissco AG gekauft hat und nun auch noch eine halbe Million Franken in einen Umbau stecken will, in welchem anerkannte Flüchtlinge wohnen können, bis sie eine individuelle Bleibe gefunden haben? Er zeigt auf einen Flipchart an der Wand seines Büros. Darauf ist ein Strichmännchen gezeichnet; ein Kreis mit einem Gesicht, ein herzförmiger Körper und Beine. Kopf, Herz und Verstand stelle dies dar. Alle drei Teile sind etwa gleich gross dargestellt. Kopf und Verstand beweist er als Unternehmer. Im sechsten Jahr seit der Übernahme durch Sägesser, schreibt die Firma mit 23 Mitarbeitern knapp schwarze Zahlen. Unrentable Produktionsschritte der letzten Filzfabrik in der Schweiz wurden ins Ausland ausgelagert, neue Produkte wie spezielle Nadelfilze oder Dämmstoffe aus Schafwolle eingeführt.

Um über die Runden zu kommen, hat er ein Stück Land des Areals verkauft. Er hat fünf ­Arbeitsplätze geschaffen und geht bei der Anstellung von Mitarbeitern auch unkonventionelle Wege – mit Herz für jene, die es nicht leicht haben. «Die Wirtschaft produziert viele Leute, die scheitern. Jemand muss sie wieder integrieren», sagt Sägesser. Einer seiner besten Maschinisten habe er von Gleis 2 übernommen. Das Sozialwerk in Worb engagiert sich für die berufliche und soziale Integration von leistungseingeschränkten Menschen, Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen.

Bevor Sägesser die Filzfabrik übernommen hat, arbeitete er 17 Jahre in Kaderposition beim Pharmaunternehmen Galenica. Er habe dort viele Freiheiten genossen, sein Unternehmertum aber zu wenig ausleben können. «Wenn ich ein Kind wäre, würde man mir wohl Ritalin geben», sagt er. Seine Ideen beflügeln ihn. Etwa die Vorstellung einer Kita im Flüchtlings­wohnheim. Denn die Familien, die dort vorwiegend wohnen sollen, müssten ein Einkommen generieren. Einige ­vielleicht in seiner Filzfabrik.

Eine Kita im Flüchtlingsheim wäre wohl ein Novum, wie das ­Flüchtlingsheim in der Fabrik. Ob sie realisiert wird, hängt auch vom Schweizerischen Roten Kreuz ab, welches das Heim betreiben wird. An der Überzeugung Sägessers mangelt es aber nicht. Er nimmt ein Blatt Papier von der Bürowand und ­zitiert: «Um Wunder zu erleben, muss man an sie glauben.»

Autor:in
Anita Bachmann, Der Bund
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Erstellt: 12.12.2016
Geändert: 12.12.2016
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