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Luca Aerni: "Ich bin froh, dass ich diesen Fehler gemacht habe"

Quelle
Berner Zeitung BZ

Am Montag wurde Luca Aerni Kombinationsweltmeister, am Dienstag bestritt der 23-Jährige aus Grosshöchstetten den Teamwettkampf. Zweieinhalb Stunden später sprach er über Glück und Pech und über eine SMS von Beat Feuz.

"Einfach unglaublich", sagten Sie am Montag nach dem Titelgewinn immer und immer wieder. Wie klingt die Bezeichnung "Weltmeister Luca Aerni" mit etwas Distanz?

Luca Aerni: Immer noch sehr ­speziell, gewöhnungsbedürftig. So langsam realisiere ich, was passiert ist.


Worum kreisen die Gedanken, wenn Sie einen Moment für sich allein haben?


Um die Arbeit, welche dahintersteckt, und die Belohnung, die ich erhalten habe. Du trainierst permanent, wirst mal Fünfter, mal Achter. Das ist absolut okay, aber irgendwann möchtest du ganz oben stehen. Das habe ich nun ­geschafft – einfach unglaublich.


Was ging Ihnen am Morgen nach dem Aufwachen als Erstes durch den Kopf?


Dass Valentinstag ist, meine Freundin Geburtstag hat und ich diesen auf keinen Fall vergessen darf. Natürlich dachte ich danach an den Vortag – und es fühlte sich sofort wieder riesig an.


Wie beurteilen Sie Ihren Auftritt aus sportlicher Sicht?


Nach der Abfahrt, als lange nicht klar war, ob ich den Sprung unter die besten 30 schaffen würde, sagte mir der Servicemann, diese verflixte Kurve im untersten Teil hätte ich besser erwischen müssen. Im Nachhinein sieht es anders aus (schmunzelt).


Fahren Sie fort.


Ich bin froh, dass ich den Fehler gemacht habe (lacht). Wer weiss, was sonst geschehen wäre.


Als 30. der Abfahrt waren Sie in einer guten Ausgangslage.


Ja, die Piste war perfekt; ich konnte Vollgas geben. In der Mitte hatte ich einen Hacker drin, unten fühlte es sich sehr schnell an. Dann kam Marcel Hirscher. Er ging oben voll ab. Ich staunte – und ich staunte noch mehr, als er im Ziel hinter mir lag. Das war einer der ganz schönen Momente an diesem Tag.


Waren Sie vor dem Slalom ­lockerer gewesen als bei einem normalen Weltcuprennen?


Ich würde es mit Madonna di Campiglio vergleichen, als ich super unterwegs war, aber fünf Tore vor Schluss ausschied. Man kriegt nicht bei jedem Rennen die gleiche Spannung hin. In diesem Fall war die Vorfreude riesig, weil ich wusste, dass ich hier einen rauslassen konnte.


Warum wussten Sie das?


Ich ahnte es zumindest. Beim Besichtigen hatten wir Fahrer sofort gemerkt, wie weich der erste steile Hang schon war. Hirscher sagte zum Halbzeitführenden Romed Baumann, er selbst habe wahrscheinlich richtig kalkuliert. «Gut so», dachte ich mir. «Das ist meine Chance.»


Tags zuvor hatte mit Beat Feuz ein anderer Berner einen rausgelassen. Haben Sie seine Fahrt gesehen?


Natürlich, und ich versuchte, gewisse Sachen von ihm zu kopieren. Gelungen ist es nicht wirklich. Es ist beeindruckend, wie fein und sauber er die schwierigen Passagen fahren kann.


Berner gelten als langsam...


...was nun wohl widerlegt wäre (lacht). Feuz schickte mir nach meinem Rennen eine SMS mit einem Medaillenspiegel. Auf Position 1 steht «Emmental».


Wie hatte sich die Warterei in der Leaderbox angefühlt?


Das war das Schlimmste. Lange dachte ich, es würde bei diesem grossen Rückstand niemals ganz nach vorne reichen. Je länger ich dort stand, desto stärker zitterte ich, gegen Ende am ganzen Körper. Dabei wäre die Situation eigentlich sehr schön gewesen.


Wie meinen Sie das?


Du hast eine gute Leistung gezeigt, kannst nur noch warten, keinen Fehler mehr machen.


Sechs Hundertstel retteten Sie vor dem Fall auf Platz 31, ein Hundertstel bescherte Ihnen die Goldmedaille. Sind Sie der geborene Glückspilz?


Nein! Zu Beginn der Saison hatte ich Pech. In Madonna di Campi­glio wurde ich für einen kleinen Fehler heftig bestraft. In Adelboden erwischte ich einen Schlag, den ich wegen des Nebels nicht sehen konnte. In Kitzbühel fädelte ich ein. Und ich dachte jedes Mal, irgendwann müsse das Glück zurückkommen. Der Zeitpunkt hätte nicht besser sein können.


Aus Schweizer Sicht hatte man mit Carlo Janka und Justin Murisier gerechnet, auf dem Podest standen Sie und Mauro Caviezel. Wie ist das zu erklären?


In dieser Saison ist jede Kombination ganz anders verlaufen. Einmal waren die Abfahrer im Vorteil, einmal die «Slalömler». Murisier hat eine super Abfahrt gezeigt, und auch sein Slalom war nicht schlecht. Aber die Piste liess schlicht nicht mehr so viel zu. Das ist typisch Kombination, es hängt vieles von den Verhältnissen ab.


Die Schweizer surfen in St. Moritz auf der Erfolgswelle. Hat Ihnen geholfen, dass fast an jedem Tag Athleten mit Medaillen um den Hals ins Teamhotel zurückgekehrt waren?


Ich schaute mir jeweils im Fernsehen die Siegerehrungen an. Das berührte mich, und ich dachte mehrmals daran, wie schön es wäre, wenn ich das ebenfalls ­erleben dürfte.


Wie haben Sie es erlebt?


Einfach unglaublich eben (lacht), sehr emotional – ich hatte feuchte Augen.


War dies der emotionalste ­Moment des Tages?


(überlegt) Nein, der war, als ich im Zielraum meine Eltern sah. Ohne ihre permanente Unterstützung stünde ich niemals da, wo ich nun bin. Wir schauten einander an und konnten alle kaum glauben, was eben passiert war.


Wer gehört neben den Eltern zu Ihrem engsten Umfeld?


Sicherlich meine Freundin und Konditionstrainer Thomas Sjödin, mit dem ich im Sommer sehr viel Zeit verbrachte. Wobei eigentlich alle Trainer und Physiotherapeuten wichtig sind, jeder hat seine Aufgabe. Und natürlich die Trainingskollegen.


Welche?


Wir «Slalömler» bilden eine homogene Gruppe. Wir haben es lustig miteinander, das ist extrem wichtig. Ich bin froh, dass ich meine Kollegen habe – ich möchte kein Einmannteam sein.


Am Sonntag bestreiten Sie den WM-Slalom. Wie verbringen Sie die nächsten Tage?


Zuerst brauche ich einen Ruhetag. Was hier oben so abgeht, kostet ziemlich viel Kraft. Dann werde ich noch einen oder zwei Tage Slalom trainieren.


Weil Sie am Dienstag den Teamwettkampf bestritten, konnten Sie den Goldmedaillengewinn bisher nur bedingt feiern. Werden Sie das nachholen?


Ich habe erfahren, dass in Grosshöchstetten ein Fest organisiert wird. Wann und wie, weiss ich nicht, aber ich freue mich sehr ­darauf.


Autor:in
Micha Jegge, Berner Zeitung
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Erstellt: 15.02.2017
Geändert: 15.02.2017
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