• Region

Münsingen - Die Suche nach den Vorfahren bleibt für Anfänger schwierig

Quelle
Der Bund

Die Münsinger Ahnenforscherin Therese Metzger lernt in der Vergangenheit viel über die Gegenwart.

16406d61b8eedff4a5be3a6fe5aaf108.jpg
16406d61b8eedff4a5be3a6fe5aaf108.jpg
Therese Metzger profitiert schon seit längerem von den digitalisierten Kirchenbüchern. (Foto: Franziska Rothenbühler)
«Man muss zuerst die Lebendigen fragen. Die Toten laufen einem nicht davon.» Das sei der erste Ratschlag, den sie Kursteilnehmern gebe, sagt Therese Metzger. Die 71-Jährige ist Genealogin, also Ahnen- oder Familienforscherin. Ihr Büro befindet sich im Dachgeschoss ihres Hauses in Münsingen. An den Wänden hängen Porträts, Bilder mit Wappen und eine historische Aufnahme der Stadt Bern, wo sie aufgewachsen ist. Die Ablagen sind befrachtet mit Büchern, Ordnern und Dokumenten. Auf dem Tisch stehen zwei Computerbildschirme. Daneben ist ein grosses Papier ausgebreitet, auf dem ihre Vorfahren und jene ihres Mannes eingetragen sind. Jede Generation bildet einen Halbkreis. Nach jeder Generation halbieren sich die Flächen, in die sie die Namen schreiben konnte. Das Telefon klingelt. Ein Kunde erkundigt sich, ob sie sein Material erhalten habe.

1989, als Therese Metzger in der Verwaltung eines Spitals arbeitete, begann sie mit der Ahnenforschung. «Zuerst nur für mich selber», sagt sie. 1999 erledigte sie den ersten Auftrag für Dritte; 2005 machte sie sich selbstständig. Eine Stammtafel mit acht bis zehn Generationen sei relativ rasch erstellt und koste rund 1000 Franken. Sobald aber mehr verlangt werde, ein tieferer Blick in die Vergangenheit oder das Nachzeichnen der Frauenlinien etwa, «dann wird es zeitaufwendig – und kostspielig»

«Eine sehr wichtige Quelle»

Und wenn man die Lebendigen gefragt hat, schlägt dann die Stunde der Kirchenbücher? «Noch nicht», sagt Therese Metzger. Zuerst müsse die Zeit bis ins Jahr 1875 überbrückt werden. Das geschehe am besten mithilfe von Familienscheinen und Burgerrodeln. Ab diesem Zeitpunkt aber seien die Kirchenbücher «eine sehr wichtige Quelle».

Als professionelle Genealogin ist sie längst im Besitz der digitalen Daten. Für CD-ROM des Amerikaners Lewis Rohrbach, der die Bücher digitalisierte (siehe Text unten), habe sie mehrere Tausend Franken ausgegeben. Die digitale Recherche biete viele Vorteile, sagt sie. «Es ist möglich, sehr schnell von einem Buch in ein anderes zu wechseln.» Wenn etwa ein Mann aus Münsingen eine Frau aus Vechigen geheiratet habe, «kann man einfach dort weiterforschen». Trotzdem: «Für Anfänger bleibt es schwierig.»

Therese Metzger holt eine Seite auf den Bildschirm; diese erinnert an ein Arztrezept. Die alte Kurrentschrift sei schon an und für sich schwierig zu lesen, sagt sie, «und wenn einer sich dann noch keine Mühe gab, wie hier, wird es manchmal fast unmöglich». Wer sich mit Ahnenforschung beschäftigten wolle, komme kaum darum herum, sich in Kursen mit dieser Schrift zu befassen. Dort lerne man die Finessen kennen und auch geläufige Abkürzungen – «7bris» beispielsweise stehe für September.

Die Chronik 56 Mal ausgedruckt

In ihre eigenen Familienchroniken hat Therese Metzger Hunderte von Stunden investiert. Die Frauenlinien hat sie verfolgt. Es sind dicke Bücher entstanden. Die Chronik der Familie ihres Mannes sei schliesslich in eine Trilogie ausgewachsen, sagt sie. Ein Teil ihrer eigenen Wurzeln reichen ins Wallis, ins Dorf Ergisch. Ihre Arbeit sei dort auf grosses Interesse gestossen – auch bei anderen Familien, denn mit jeder zusätzlichen Generation seien immer mehr Menschen involviert. Sie habe die Chronik 56 Mal ausdrucken müssen.

Sie beschäftige sich zwar mit der Vergangenheit, sagt Therese Metzger, «aber ich bin überhaupt nicht rückwärtsgerichtet». Ihr gehe es auch nicht darum, nur Geburts- und Sterbedaten herauszufinden. Diese bildeten bloss ein Gerüst und seien Ausgangspunkt für weitere Nachforschungen, zum Beispiel über ein Haus, eine Mühle – oder ein Gewaltverbrechen. «Und da wird es dann wirklich interessant.» In der Schule habe sie zwar viel über Adelige und die «grossen Ereignisse» gelernt. Aber erst dank der Ahnenforschung habe sie erfahren, «wie das Fussvolk lebte». Zum Beispiel, wie arm manche Leute im Kanton Bern waren und wie früh Kinder – «kaum konnten sie stehen» – arbeiten mussten. «Ich habe Dokumente gelesen, da ist es mir fast übel geworden», sagt sie.

Mit Gletschermann Ötzi verwandt

Therese Metzger hat dank ihrer Forschung nicht nur gelernt, dass Nachbarn schon immer Probleme miteinander hatten und die Menschen vor noch gar nicht allzulanger Zeit auch hierzulande rasch mit Messern aufeinander losgegangen sind. Ihr sei auch bewusst geworden, wie sie selber und ihre drei Kinder und sechs Enkelkinder in einer unglaublich langen Reihe des Kommens und Vergehens stünden – und wie eng alle heute lebenden Menschen miteinander und mit ihren Vorfahren eigentlich verbunden seien. Und das beziehe sich nicht nur auf den Kanton Bern und die Schweiz, sagt sie.

Therese Metzger und ihr Mann haben ihr Erbgut analysieren lassen und die Daten einer Forschungsstelle zur Verfügung gestellt. Seither erhalte ihr Mann, der in der Tat einer seltenen DNA-Gruppe angehöre, regelmässig E-Mails aus fernen Ländern – aus Armenien zum Beispiel. Und offenbar sei er, sagt sie und lacht, sogar mit dem Gletschermann Ötzi verwandt.

Auszüge aus den nun online gestellten Kirchenbüchern des Kantons Bern.

www.kirchenbuch.derbund.ch

Autor:in
Dölf Barben, Der Bund
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 24.02.2017
Geändert: 24.02.2017
Klicks heute:
Klicks total: