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Rüfenacht - "Letzte Chance für den Dorfkern"

Quelle
Berner Zeitung BZ

Schon seit Jahrzehnten fordern die Rüfenachter ein belebtes Dorfzentrum. Stimmen wurden laut, Worb vernachlässige den Ortsteil. Doch nun kommt Bewegung in die Sache.

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Auf dem Sonnenareal soll ein Dorfplatz entstehen. (Bild: Beat Mathys)

Seit Jahren sorgt die Brandruine am Ortseingang von Rüfenacht für rote Kopfe. Sowohl bei Anwohnern wie auch Worber Gemeindepolitikern. Bis auf ein provisorisches Beizli liegt das Areal seit dem Brand des Restaurants Sonne 2012 brach. Zahlreiche Vorstösse wurden seither im Grossen Gemeinderat eingereicht. Die einhellige Forderung dabei: Der zentrale Platz soll endlich belebt werden.

Nächsten Montag nun soll im Gemeindeparlament mit einer Änderung des Baureglements der Weg für eine Überbauung geebnet werden. Die Idee: ein vierund ein achtstöckiges Gebäude mit Wohnungen und Gewerbeflächen. Zudem soll ein Dorfplatz entstehen. Damit will man auch den Forderungen nach einem Dorfzentrum nachkommen.

Jahrelang ist nichts passiert

Bereits vor dem Brand gab es Vorstösse, wonach Rüfenacht aufgewertet werden soll. Zudem fühlten sich Bewohner des Ortsteils vernachlässigt: Schon seit Jahrzehnten will die Gemeinde auch einmal etwas für die Rüfenachter Bevölkerung machen, echauffierte sich ein Leserbriefschreiber. Doch nach mehr als dreissig Jahren sei immer noch nichts passiert.

In den letzten Jahren erschien gar ein Buch der Interessengemeinschaft Worber Geschichte, worin die besondere Stellung Rüfenachts innerhalb der Gemeinde Worb historisch aufgearbeitet wurde. Autorin Anne-Marie Dubler zeigt darin auf, wie sich die Geschichte auf die heutige Situation von Rüfenacht und Vielbringen ausgewirkt hat. Historische Kontinuitäten gebe es durchaus, sagt auch Marco Jorio. Der Historiker, der für die GLP im Gemeindeparlament politisiert, erklärt: «Seit dem Mittelalter war Rüfenacht zwar Teil der Worber Kirchgemeinde, unterstand jedoch dem Stadtgericht Bern.» Rüfenacht sei damit schon seit je Bern zugewandt gewesen. Auch heute würden viele Rüfenachter ihre Einkäufe nicht in Worb, sondern in Gümligen oder Bern erledigen.

Doch das sei nicht allein den historischen Gegebenheiten geschuldet, sondern vor allem der Verkehrslage Rüfenachts an der Achse Bern–Worb–Emmental. Folglich wurde das Dorf bereits im 19. Jahrhunderts durch Strasse und Bahn erschlossen. Das hat viele Pendler angezogen. «Die Nachfrage nach Bauland stieg und damit auch die Preise», erklärt Jorio. Für die Bauern sei dies lukrativ gewesen. Die Zugezogenen haben meist in Bern, Muri oder Gümligen gearbeitet. Dadurch habe sich Rüfenacht mehr und mehr zu einem Schlafdorf entwickelt.

Die Überbauung verlief dabei eher planlos. «Wie es in den 1960er-Jahren halt üblich war», sagt Jorio, der selbst seit 1994 in Rüfenacht wohnt. Etwas vom Ersten, das er damals hörte, sei die Forderung nach einem Dorfzentrum gewesen. Ein solches habe es jedoch auch vor dem Bauboom nicht gegeben. «Es gab nie einen zentralen Platz mit Kirche und Gasthof, worum sich ein Dorfkern hätte entwickeln können.»

Gefühl der Vernachlässigung

Rüfenacht fühle sich teilweise etwas stiefmütterlich behandelt, sagt Jorio. Das habe durchaus objektive Gründe. Denn Worb und Rüfenacht würden sich stark unterscheiden. Worb verfügt über eine gute Infrastruktur mit Sportzentrum, Dorfplatz, Ärzten und allem Weiteren, das man zum Leben braucht. Das Angebot in Rüfenacht hingegen ist sehr bescheiden. So könne ein Gefühl der Vernachlässigung entstehen, erklärt Jorio. Verstärkt wird dieser Eindruck durch einzelne Entscheidungen der Gemeinde. Etwa als die Sekundarschule von Rüfenacht ins Oberstufenzentrum Worbboden verlegt wurde.

Oft werde jedoch übertrieben. Denn die Gemeinde habe auch investiert. Zum Beispiel in die neue Schulanlage in Rüfenacht. Und nach dem Brand der Sonne hat sie gut reagiert und durchgesetzt, dass bei einer Überbauung des Areals die Bedürfnisse nach einem Dorfzentrum berücksichtigt würden. «Für Rüfenacht ist es nun wohl die letzte Chance, noch so etwas wie einen Dorfkern zu erhalten.»

Konflikte in anderen Gemeinden 

Schulen werden geschlossen, Läden gehen zu, und Strassen werden nicht saniert: Auch in anderen Gemeinden kommt es zwischen Zentrum und Peripherie häufig zu Konflikten. Dabei fühlen sich Weiler und Dörfer ins Abseits gedrängt. Wie beispielsweise in Gysenstein, das zu Konolfingen gehört. Weil die Schülerzahlen rückläufig sind, will der Gemeinderat die Schule im Ortsteil schliessen. Sehr zum Missfallen der Bewohner. Häufig wird die Kritik an der Schulschliessung grundsätzlich: «Was soll aus diesem Dorf werden?» Auch ein Restaurant oder ein Laden sucht man im Dorf vergebens. «Bitte vergesst Gysenstein nicht», lautet die Kritik deshalb oft.

Ähnlich tönt es in Bolligen: «Der Ferenberg wird ab und zu von der Gemeinde zu wenig wahrgenommen», heisst es in einer Rückmeldung der aktuellen Bevölkerungsbefragung. Und in einer anderen: «Ich finde, dass die Aussenbezirke immer mehr benachteiligt und vom Zentrum abgekoppelt werden.»

Konflikte zwischen Ortsteilen gibt es nicht nur in Gemeinden auf dem Land. Auch in der Stadt Bern fühlen sich Quartierbewohner manchmal etwas vernachlässigt. So etwa im Westen Berns, wo einige heikle Projekte geplant sind oder bereits realisiert wurden. Der Standplatz für Fahrende, die Recyclingfirma Resag in Buech oder die BLS-Werkstätte in Riedbach. Was in anderen Stadtteilen nicht realisiert werden kann, baut man in Bümpliz. So die Kritik mancher Bewohner, die sich dadurch gegenüber der restlichen Stadt benachteiligt fühlen. js


Autor:in
Stephanie Jungo, Berner Zeitung
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Erstellt: 23.06.2017
Geändert: 23.06.2017
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