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Magere Apfelernte nach eisigem April: Frost im Frühling, Frust im Herbst

Quelle
Berner Zeitung BZ

70 Tonnen und ein gigantischer Schaden: Der Frost hat viele Apfelbauern um Ernte und Auskommen gebracht. Es geht um die Existenz, wie das Beispiel aus der Region zeigt.

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Die Frostschäden im April haben den wenigen Früchten, die gediehen, zugesetzt. Auf total 70 Tonnen Äpfel muss Obstbauer Walter Stettler heuer verzichten. Das bedeutet für ihn 150'000 Franken weniger in der Kasse. (Bilder: Raphael Moser)
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Die Plantage von Walter Stettler in Bolligen gibt heuer praktisch nichts her.
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Die braunen Flecken im Fruchtfleisch machen den Apfel bitter.
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"Das ist nix. Gar nix." Walter Stettler wischt die Klinge seines Armeemessers am Hosenbein ab. Den halbierten Apfel mit den braunen Flecken wirft er ins Gebüsch. Auf der Stirn des Obstbauern funkeln Schweissperlen. Das engmaschige Netz über den Bäumen teilt die Herbstsonne in goldene Fäden. Nebenan knattert der Traktor. Die Luft riecht nach frischer Erde – es ist trotzdem ein bitterer Herbsttag.

Stettler, ein kompakter Mann mit kräftigen Armen und unaufgeregter Art, stapft durchs Gras, entlang der Baumreihen auf seiner Plantage in Bolligen. 80 Meter Baum an Baum, 60 Aren Reihe um Reihe. Mal greift er ins Geäst. Dann wühlt er sich mit seinen rauen Händen durch. Mal rupft er an einem Ast. Dann streicht er mit dem Zeigfinger über Gala, Rubinola und Berlepsch – über die wenigen Äpfel, die seine Stämme trotz allem tragen. Die meisten kann Stettler nicht brauchen. Sie sind zu gross, zu krank, zu verkrüppelt, oft alles zusammen. Oder wie der Landwirt sagt, wenn er unter seinen buschigen Augenbrauen hervorblickt: "Einfach nix."

Absehbar, sichtbar

Der Frost kam im April und blieb ein paar Nächte – minus sieben Grad. Er traf die Obstindustrie insgesamt hart und Apfelbauern noch härter. Nach dem überdurchschnittlich warmen März waren viele Bäume früher aus dem Winter erwacht, hatten Triebe und Knospen gebildet. Der Kälteeinbruch war deswegen umso verheerender. In der gesamten Schweiz richtete er beträchtlichen Schaden am Kulturland an, in Teilen des Kantons Bern sogar katastrophale. Laut dem Schweizer Obstverband Swissfruit fällt in der Region rund die Hälfte der Apfelernte aus. Besonders betroffen: Agglo Bern, Oberaargau, Aaretal.

Dass es ein mieses Jahr würde, war den Berner Apfelbauern klar. Das wahre Ausmass der Schäden offenbart sich aber erst jetzt, während der Lesete, der Ernte. Es offenbart sich an milden, bitteren Herbsttagen. Auf Walter Stettlers Plantage in Bolligen. Wo Hochbetrieb herrschen müsste. Wo die Äpfel tonnenweise an den Bäumen hängen sollten. Wo der Traktor stattdessen nur mit ein paar Kilos und halb leeren Kisten rumknattert.

70 Tonnen, 150'000 Franken

Stettlers Bäume stehen an einem sanften Hang, der vom Hof in eine Senke abfällt. Ganz unten hatte sich der Frost im April festgebissen und sich von da nach oben gefressen. Stettler hatte versucht, seine Bäume vor der Kälte zu schützen. Er brannte Heizkerzen ab, liess die Sprinkler laufen. Aber bei minus sieben Grad? Keine Chance. "Wir können uns maximal gegen minus fünf schützen." Er nickt in Richtung Senke. Dort unten versucht er es gar nicht. Kein Gewühl im Geäst, kein Armeemesser am Hosenbein abwischen. Keine Äpfel auf Qualität überprüfen. Es hat schlicht keine – "unten ist gar nichts gekommen". Steillage halt, da bleibe der Frost hängen. Aber so? "Noch nie." Minus sieben Grad.

Der Frost hat Walter Stettler um 80 Prozent seiner Ernte gebracht. Um 70 Tonnen Äpfel. Heisst unter dem Strich: 150'000 Franken weniger in der Kasse. Eine Versicherung gegen den Frost gibt es bisher nicht. "So einfach."

Der Obstbauer hat haltgemacht, wieder einmal an einem Baum gerupft. In der einen Hand hält er einen kanonenkugelgrossen Apfel, die andere hat er in die Hüfte gestemmt. "Der da, der ist typisch", erklärt Walter Stettler und dreht die Frucht in seiner Hand. Unten, ein unansehnlicher Kreis – Frostschaden. Oben, braune Flecken im Fruchtfleisch: die Stippe. Eine Krankheit, die den Apfel bitter macht. "Typisch bei Unterbehang."

Stettler führt den Betrieb seit 1988 gemeinsam mit seiner Ehefrau, heute ist auch der Sohn dabei. Ein Angestellter – normalerweise beschäftigt er für die Ernte zwei weitere. Aber nicht in diesem Jahr. 40 Apfelsorten bauen Stettlers insgesamt an. Nicht alle hat es gleich übel erwischt. Aber die meisten. Etwa die Rubinola, zwei Baumreihen à 80 Meter. Normalerweise ernten Stettlers 3 Tonnen pro Jahr. Heuer 10 Kilogramm. Noch schlimmer sieht es beim Boskop aus: nicht ein brauchbarer Apfel.

Jammern? Hilft nichts

Der Aprilfrost hat den Rhythmus der Bäume verschoben. Weil die Blüten und Früchte abstarben, pumpten die Pflanzen mehr Energie in Blätter und Äste. Stettler: "Die haben wahnsinnig Power gemacht." Was für ihn und seine Mitarbeiter mehr Arbeit bedeutet. Die Bäume müssen im Winter massiv zurückgestutzt, der Pflanzenschutz intensiviert werden. Ein weiteres Problem: Die wenigen gesunden Äpfel wurden zu gross. "Die Konkurrenz am Baum hat gefehlt." Grosse Äpfel unterscheiden sich im Geschmack nicht von den kleinen. Aber: Sie verkaufen sich deutlich schlechter. "Die Konsumenten wollen kleine Äpfel."

Wenn der Mann über Verluste, Krankheiten und den harten Markt spricht, dann tut er das geradezu stoisch. Ohne Runzeln in die Stirn zu graben, ohne Kopfschütteln – kein Gejammer, bringt ja nichts. Um liquid zu bleiben, muss er Geld aufnehmen, einen Agrarkredit. Wie viel es gibt, weiss er heute noch nicht. Mit dem Geld tätigt er primär Ersatzkäufe.

Denn die Kunden wollen – ob Frost oder nicht – Äpfel. Stettlers verkaufen ihre ab Hof, auf dem Markt in der Stadt Bern und an Büros – aber nicht an Grossverteiler. Einige Sorten sind bereits jetzt ausverkauft. "Normalerweise haben wir die bis Februar." Um die Kunden halten zu können, hat Stettler mit Betrieben im ganzen Land Deals eingefädelt. Ein bisschen gehamstert hätten sie. "Dafür können wir Schweizer Äpfel anbieten."

Geld verdient er deswegen trotzdem kaum. Auch weil er den Schaden nicht auf die Preise abwälzt. "Die bleiben gleich." Da müsse man realistisch sein, die Kunden bezahlten eben nur bis zu einem gewissen Punkt, überhaupt sollen die Leute auch im nächsten Jahr wiederkommen. "Ich hoffe, die Leute verstehen, dass der Apfel heuer etwas grösser ist. Müssen sie sich halt mal einen teilen."

[i] Äpfel und Birnen werden wohl teurer

Also doch: Die Folgen der Frostnächte im Frühling werden vermutlich auch die Kunden im Supermarkt zu spüren bekommen. Weil die Ware dieses Jahr knapper ist als gedacht, schliesst etwa die Migros höhere Preise nicht aus.

Die Obstbauern wussten nach den kalten Nächten im April sofort: Dieses Jahr wird eines zum Vergessen. Zwar liessen sich die genauen Ernteausfälle von Äpfeln zu diesem Zeitpunkt noch schwer prognostizieren. Für den Schweizer Obstverband war aber schon kurz darauf klar, dass der Frostfrühling 2017 in die Geschichte eingehen würde. "Derart grosse Schäden wegen des Frosts gab es letztmals in den 1980er-Jahren", sagte Direktor Georg Bregy damals.

Importe werden nötig sein

Umso erfreulicher hörten sich da die Aussagen der Grossisten an, die mit keinen schwerwiegenden Folgen für die Konsumenten rechneten. "Generell ist das Apfelsortiment in der ganzen Schweiz sehr breit, und die benötigten Mengen sollten auch dieses Jahr mit einheimischer Ware sichergestellt werden", sagte etwa Andrea Bauer, Sprecherin der Migros Aare. Man erwarte deshalb keine Engpässe. Was die Region Bern betreffe, sei die Situation zudem nicht dramatisch.

Jetzt, knapp fünf Monate später, tönt es jedoch anders. "Jüngste Berichte zeigen, dass die extremen Verhältnisse doch gravierendere Folgen auf die Ernte haben als angenommen", so Bauer. Man erwarte deshalb – sowohl bei den Äpfeln als auch bei den Birnen – weniger Ware. Diese müsse man voraussichtlich durch Importe ausgleichen. Das Problem: "Leider ist auch das nahe Ausland von Ausfällen bei Äpfeln und Birnen betroffen."

Dazu kommt, dass offenbar auch die Lagerbestände die Ausfälle nicht ganz kompensieren können. "Bei gewissen Lagersorten ist es möglich, dass diese bereits ab Frühling 2018 nicht mehr zu kaufen sind." Noch knapper könnte es anscheinend bei Birnen werden. "Es ist davon auszugehen, dass dem Markt bereits ab Neujahr Birnen fehlen werden."

Weniger Ware – höhere Preise

Die Folgen davon werden wohl auch die Konsumenten zu spüren bekommen. Weil die Bauern wegen der miserablen Ernte mehr für ihre Ware verlangen müssen, dürften heuer auch Äpfel und Birnen aus dem Supermarkt etwas mehr kosten. Bei der Migros Aare jedenfalls schliesst man das nicht aus: "Die Produzentenpreise sind im Vergleich zum Vorjahr höher, was sich auch auf die Konsumentenpreise auswirken könnte." Christoph Albrecht

[i] Genug Most
80'000 Tonnen – so viele Äpfel und Birnen werden in der Schweiz in einem durchschnittlichen Jahr zu Apfelsaft verarbeitet. Heuer werden es laut dem Schweizer Obstverband nur etwa 40'000 Tonnen sein, also knapp die Hälfte. Das spürt man auch bei Ramseier, dem grössten Schweizer Apfelsafthersteller. "Aufgrund der befürchteten kleineren Mostobsternte müssen wir mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Lagerreserven zurückgreifen", sagt CEO Christian Consoni. Dank diesen Reserven sollte jedoch auch heuer die übliche Menge an Apfelsaft produziert werden können. cha


Autor:in
Cedric Fröhlich, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 02.10.2017
Geändert: 02.10.2017
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