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Münsingen - Das Dorf gegen das Städtchen

Quelle
Der Bund

Münsingen wird immer urbaner - das sorgt für Spannungen. Nun wählt die Gemeinde eine neue Exekutive. Auf diese wartet eine schwierige Aufgabe: Sie muss die Einwohner einen.

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Die geplante Strasse über die grüne Wiese sorgte in Münsingen für hitzige Debatten. (Foto: Franziska Rothenbühler)
Pubertierende kennen das Phänomen nur zu gut. Alles wächst, alles verändert sich – nicht zuletzt die Eigenwahrnehmung. Und so stellen sich so manche Teenager die Frage: «Wer bin ich eigentlich?» Der Gemeinde Münsingen geht es da ähnlich: Auf der Website stellt sie sich mit dem Slogan «grosses Dorf – kleine Stadt» vor. Auch Münsingen wächst stark – seit der Nachkriegszeit hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt. Und neue Überbauungen haben das Gesicht des einstigen landwirtschaftlichen Zentrums gerade in den letzten Jahren immer urbaner werden lassen. Nicht allen gefällt der Wandel in der grössten Gemeinde zwischen Bern und Thun. Gerade auf der rechten Seite fürchtet mancher um die «Münsinger Identität». Die Linken spüren derweil durch den Zuzug urbaner Personen Aufwind. Sie propagieren politische Rezepte, wie sie auch in den rot-grünen Grossstädten en vogue sind – etwa Verkehrsentlastung durch Verbesserungen des Velonetzes. Für viele Alteingesessene im autofreundlichen Münsingen ist solches ein Graus.

In der Summe sorgt diese Situation in der 12 000-Seelen-Gemeinde für Spannungen. Zuletzt waren diese nicht mehr zu übersehen. Sinnbildlich dafür ist die Abstimmung über eine Entlastungsstrasse, die nach einem bemerkenswert gehässig geführten Abstimmungskampf Ende September beinahe in einem Patt endete. Mit 13 Stimmen Vorsprung setzten sich die Befürworter durch. Das Dorf ist gespalten. Und nun stehen am 26. November die Gemeindewahlen an.

Der Angriff der SVP

Es wird eine Richtungswahl, so mag es scheinen. Auch weil nach dem Rückzug der beiden bürgerlichen Mitteparteien, der Freien Wähler und der BDP, sowohl links wie rechts auf Zugewinne hoffen. Im Parlament (siehe unten) ebenso wie im Gemeinderat, wo die Freien Wähler bisher über einen Sitz verfügten. Die Präsidenten der beiden grossen bürgerlichen Parteien, der SVP (bisher ein Sitz) und der FDP (1 Sitz) geben sich gegenüber dem «Bund» siegessicher. Die SVP schickt den ehemaligen Nationalrat Simon Schenk ins Rennen. Mit ihrer Listenverbindungen wollen SVP und FDP den anderen Parteien sogar noch einen weiteren Sitz abknöpfen. Sie hätten dann vier Sitze und somit eine absolute Mehrheit. Realistisch ist dies kaum.

Das forsche Auftreten der Bürgerlichen beeindruckt aber zumindest SP-Präsident Roland Beeri. Seine Partei verspürt nach dem überraschend knappen Ja zur Entlastungsstrasse Rückenwind. Gleichwohl lautet das Ziel: «den einzigen Sitz verteidigen». Dies auch, weil die SP anders als die SVP und die FDP ohne Bisherige antreten muss. Die bisherige SP-Vertreterin hatte die in Münsingen geltende maximale Amtsdauer von acht Jahren erreicht. Ebenso der Gemeinderat der EVP. Auch die Voten gleichen sich: EVP-Präsident Werner Fuchser hofft ebenfalls, dass seine Partei ihren Sitz, den sie seit den 70er-Jahren hat, verteidigen kann. Und auch die Grünen zeigen sich wenig angriffig: Sie wollen lediglich ihre beiden Sitze verteidigen. Den ersten haben sie bereits gesichert. Gemeindepräsident Beat Moser wurde in stiller Wahl bestätigt. Die Grünliberalen wiederum visieren den vakanten Sitz der Freien Wähler an. Es wäre ihr erster Sitz in der Gemeindeexekutive. Gelingt der GLP die Überraschung, blieben die Kräfteverhältnisse im Gemeinderat weitgehend unverändert. Doch auch wenn es zu Sitzverschiebungen kommen sollte: Sachpolitisch dürfte sich nur wenig ändern. Auch das hat indirekt mit dem starken Wachstum zu tun. Denn auch weil weitere Überbauungen schon in der Realisierungsphase sind – 2030 sollen 14 000 Menschen in der Gemeinde wohnen –, ist es vielen nach einem grundsätzlichen Marschhalt (siehe Interview) zumute. Dass dies eine Mehrheit will, ist ein Indiz dafür, dass derzeit vieles gut funktioniert in Münsingen.

Heikle Aufgabe

Die Gräben im Dorf sind denn auch meist ideologischer Natur – noch. Denn bereits bei der anstehenden Ortsplanungsrevision dürfte die Frage um innere Verdichtung zu reden geben. Auch die Verkehrsplanung ist umstritten. Für den künftigen Gemeinderat ist die Aufgabe dabei doppelt delikat. Wenn es ihm nicht gelingt, die Spaltung des Dorfes zu verringern, dürfte die spätere Entwicklung Münsingens darunter leiden. So ist der anstehende Urnengang zwar keine eigentliche Richtungswahl; die kommende Legislatur wird gleichwohl richtungsweisend sein – für die Kleinstädterinnen ebenso wie für die Dörfler.

Parlament - Wer erbt BDP-Sitze?
Neben dem Gemeinderat (siehe Haupttext) wird auch das 30-köpfige Gemeindeparlament neu bestellt. Erstmals können auch die Wahlberechtigten aus Tägertschi mitbestimmen, das während der letzten Legislatur mit Münsingen fusionierte. Die Bürgerlichen erhoffen sich aus dem ruralen Tägertschi einen Stimmenzuwachs. So wollen sie die Sitze von BDP und Freien Wählern (je 2 Sitze) erobern, die beide nicht mehr antreten. Einer der Bisherigen der Freien Wähler kandidiert neu für die FDP (bisher 3 Sitze), die auch deshalb auf einen Sitzgewinn hofft. Gut möglich, dass einige Sitze in der Mitte bei der GLP oder EVP (je 3 Sitze) bleiben. Bisher stärkste Parteien sind die Grünen und die SVP mit jeweils 6 Sitzen. Die SP hat bisher 4 Sitze, die EDU 1. (bwg)

Autor:in
Basil Weingartner, Der Bund
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Erstellt: 17.11.2017
Geändert: 17.11.2017
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