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Keine üble Nachrede: Kiener Nellen verliert vor Gericht
Die Negativkampagne gegen SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen vor den Wahlen 2015 hat für die Urheber doch keine Konsequenzen. Das Regionalgericht hat eine Verurteilung wegen übler Nachrede aufgehoben.
Während auf jenem des Druckers aber lediglich «Service Book» steht, war der Kleber, über den Kiener Nellen spricht, weniger harmlos. Im SP-Layout und in Anlehnung an einen Parteislogan hiess es darauf weiss auf rot: «Für wenige statt für alle. Wählt Kiener Nellen. Steuerbares Vermögen 12,3 Millionen, steuerbares Einkommen 0 Franken.»
Verbreitet wurde der Aufkleber am 23. September 2015 auf den Titelseiten dieser Zeitung, des «Thuner Tagblatts», des «Berner Oberländers» und des «Bund». In Auftrag gegeben hat das Inserat die Interessengemeinschaft für Arbeitsplätze im Berggebiet. Kostenpunkt: rund 42 000 Franken. Das Ziel: die Wiederwahl von Kiener Nellen in den Nationalrat am 18. Oktober 2015 zu verhindern – ohne Erfolg.
Die Politikerin ist trotzdem zum Gegenangriff übergegangen und hat die Urheber der Negativkampagne angezeigt. Der Staatsanwalt hat daraufhin den Präsidenten der IG, Reto Müller aus Zweisimmen, Ende 2016 per Strafbefehl wegen übler Nachrede zu einer bedingten Geldstrafe von 18 000 Franken verurteilt.
Das liess wiederum dieser nicht auf sich sitzen und erhob Einsprache, weshalb sich die Gegner am Mittwoch im Gerichtssaal zum ersten Mal persönlich gegenübersassen.
Ruf nachhaltig geschädigt
Der Inhalt des umstrittenen Inserats erinnerte an die Steuergeschichte, die im Herbst 2014 für Furore gesorgt hatte: Die «Weltwoche» meldete damals, dass das Ehepaar Kiener 2011 Steuern optimiert hatte. Bei einem Vermögen von 12,3 Millionen Franken habe es ein steuerbares Einkommen von null Franken ausgewiesen. Seither steht die Nationalrätin, die öffentlich den Steuerapostel spielt, im Ruf, Wasser zu predigen und Wein zu trinken.
Bis heute hafte ihr der Vorwurf an, dass sie keine Steuern bezahle, sagte Kiener Nellen. Immer wieder werde sie negativ angegangen, Einladungen zu Podien oder für Referate seien zurückgezogen worden. Dabei sei 2011 eine Ausnahme gewesen. Ihr Mann habe 400 000 Franken in die Pensionskasse einbezahlt, um eine Lücke aus seinen Auslandjahren zu füllen.
«Das war keine Steueroptimierung», wiederholte sie vor Gericht. Das Inserat zeichne zudem ein Zerrbild. Denn auch 2011 habe sie Steuern bezahlt, Vermögenssteuern im Umfang von rund 30 000 Franken. Als Folge der Angriffe hat Kiener Nellen bereits 2015 alle ihre Steuerdaten öffentlich gemacht.
«Der Aufkleber wollte drei Wochen vor den Wahlen den Eindruck erwecken, dass meine Mandantin überhaupt keine Steuern bezahlt», sagte Anwalt und Sohn Dominic Nellen. Eine Einordnung wie beispielsweise die Jahrzahl 2011 oder weitere Steuerdaten seien gezielt weggelassen worden.
Die Urheber hätten die Politikerin als Privatperson in einer in der Schweiz «noch nie gesehenen Diffamierungskampagne» als Steuerhinterzieherin und «charakterlich nicht anständigen Menschen» hinstellen wollen.
Inserat inhaltlich korrekt
Reto Müller selbst war sich keiner Schuld bewusst. «Wir haben nichts geschrieben, was Kiener Nellen nicht selber gesagt hat.» Mit den Inseraten habe man den Wählern die Doppelmoral der Kandidatin noch einmal aufzeigen wollen.
Dass sich die Zahlen im Inserat auf das Jahr 2011 beziehen, dies aber nicht erwähnt wird, hielt er nicht für problematisch. «Das spielt keine Rolle. Steueroptimierung bleibt Steueroptimierung», so Müller.
Entstanden sei die Idee für die Aktion bereits 2014 während des Abstimmungskampfs zur Initiative über die Pauschalbesteuerung. Damals setzte sich Kiener Nellen vehement für ein Verbot der Praxis ein. «In den Berggebieten sind wir aber auf Pauschalbesteuerte angewiesen», so Müller.
Seine Anwältin Manuela Glauser betonte zudem, dass das Inserat inhaltlich korrekt sei. Es sei nie behauptet worden, dass sich die Zahlen auf das Jahr 2015 beziehen oder Kiener Nellen überhaupt keine Steuern bezahlen würde. Bei der Kampagne habe es sich deshalb um eine «legitime politische Aktion» gehandelt.
Freispruch für Müller
Dieser Meinung war letztlich auch Einzelrichter Sven Bratschi. Er sprach Müller frei. Entscheidend für ihn war, dass das Inserat in der heissen Phase des Wahlkampfs geschaltet worden war.
Zu einem solchen Zeitpunkt sei die Schwelle für eine Ehrverletzung gegenüber Politikern höher anzusetzen. Zudem würden die Zahlen auf dem Aufkleber stimmen, auch wenn das Jahr weggelassen worden sei. Und von Steuerhinterziehung oder Steueroptimierung sei darauf keine Rede.
Das müsse jeder Leser selber reininterpretieren. Klar sei hingegen, dass Kiener Nellen 2011 ihre Steuern optimiert habe. Genau das also, was sie ansonsten öffentlich und pointiert anprangere. Im Vorfeld einer Wahl müsse eine Kandidatin in Kauf nehmen, für widersprüchliches Handeln angegriffen zu werden. Die Ehre der SP-Nationalrätin sei mit dem Inserat jedenfalls nicht verletzt worden.
Erstellt:
23.11.2017
Geändert: 23.11.2017
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