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Enggistein - Spärliche Kommunikation nach Pyrowurf auf Asylunterkunft

Quelle
Der Bund

Erst zwei Wochen nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingszentrum wurde der Fall publik. Kommuniziert die Berner Polizei zu passiv?

Lausbubenstreich, betrunkener Eishockeyfan oder rechtsextremer Anschlag? Täter und Motiv des Pyrowurfs vom 5. Januar in Richtung eines Unterstands beim Übergangszentrum in Enggistein bei Worb liegen weiterhin im Dunkeln (siehe «Bund» vom 19. 1.). Die Magnesium-Fackel fiel beim Wurf in eine Böschung und brannte im Gras aus, ohne Schaden anzurichten. Seitdem ermittelt die Kantonspolizei, bislang ohne sichtbaren Erfolg: Es sei weder zu Verhaftungen noch zu Anhaltungen gekommen, wie Polizeisprecher Christoph Gnägi auf Anfrage mitteilt.

Doch warum wurde der Fall erst zwei Wochen später der Öffentlichkeit bekannt? «Es ist leider häufig der Fall, dass die Polizei Angriffe gegen Asylbewerber oder ihre Unterkünfte nicht aktiv kommuniziert», sagt Hans Stutz. Der grüne Luzerner Kantonsrat beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Rassismus und Rechtsextremismus in der Schweiz. Begründet werde die zurückhaltende Kommunikation oft mit der Gefahr eines «Nachahmungseffekts». Gemeint ist damit das Phänomen, welches beispielsweise bei der Berichterstattung über Suizide erwiesenermassen zu deren Häufung führt.

Doch für Stutz ist das Nichtkommunizieren von «offensichtlich rassistisch motivierten Vorfällen» ein Fehler: Dadurch würden nur diejenigen gestärkt, welche behaupteten, dass es solche Tendenzen in der Gesellschaft nicht gebe. Stutz plädiert stattdessen für eine offensive Kommunikation. Schliesslich entstehe erst durch das Bekanntwerden solcher Fälle ein «Fahndungsdruck» für die Polizei. Auch könne sich erst durch Bekanntmachung solcher Fälle die Bevölkerung mit den Opfern solidarisieren. Zudem werde den Tätern und auch potenziellen Nachahmern so signalisiert, dass es sich nicht um Bagatelldelikte, sondern um kriminelle Handlungen handle, die geahndet würden.

Die Frage nach dem Motiv

Für Polizeisprecher Gnägi hat der «Nachahmungseffekt» bei der Nicht-Kommunikation in diesem Fall allerdings keine Rolle gespielt. Man prüfe jeden Fall einzeln, und da es hier weder zu Personennoch zu Sachschaden gekommen sei, habe man auch aus ermittlungstaktischen Gründen auf eine aktive Kommunikation verzichtet. «Die Polizei hielt es im Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft, was die Suche nach der Täterschaft angeht, nicht für zielführend, die Öffentlichkeit zu informieren.»

Wann und wie die Polizei die Öffentlichkeit informieren muss, ist im Artikel 74 der Schweizerischen Strafprozessordnung geregelt. Die Bestimmungen sind jedoch als Kann-Formulierungen verfasst: Polizei und Staatsanwaltschaft können also weitgehend selber entscheiden, ob und wie sie informieren – es gibt lediglich Richtlinien.

Der Worber Gemeindepräsident Niklaus Gfeller (EVP) wollte sich zu dem Vorfall am Rande seiner Gemeinde nicht äussern. Das Übergangszentrum in Worb ist seit Mai 2017 in Betrieb. Die ehemalige Filzfabrik bietet Platz für Familien aus Syrien, welche im Rahmen des Resettlement-Programms der UNO in der Schweiz Asyl erhalten haben. Resettlement-Flüchtlinge sind besonders verletzliche Menschen wie Kranke, Traumatisierte, Alte und Behinderte.

Allerdings seien in der Schweiz – anders als in Deutschland, Brandanschläge auf Asylunterkünfte äusserst selten, sagt Stutz. 2013 gab im Kanton Bern aber eine Brandstiftung in Wimmis zu reden. In einem Wohnhaus wurde Feuer gelegt, während eine sechsköpfige Familie aus Serbien im Bett lag. Nur dank dem Eingreifen eines Nachbarn und der Feuerwehr kam es damals nicht zur Tragödie. Die Hintergründe der Tat wurden nie aufgeklärt.

[i] Siehe auch News-Bericht "Mit Fackel: Brandanschlag auf Asylzentrum in Enggistein" vom 19.1.2018


Autor:in
Andres Marti, Der Bund
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Erstellt: 23.01.2018
Geändert: 23.01.2018
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