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Kiesental - Die Bauern wehren sich gegen die Ausmasse des Hochwasserschutz-Projekts

Quelle
Berner Zeitung BZ

Für einen verbesserten Hochwasserschutz soll im Hünigenmoos der Lauf der Chise verschoben und verbreitert werden. Weil ein grosser Verlust von Kulturland droht, kämpfen die betroffenen Bauern im Gebiet gegen diese Pläne. Sie kritisieren vor allem die Ausmasse des Projekts.

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Der Hünigenbach in der Gemeinde Niederhünigen soll – im Rahmen des Wasserbauplans Hünigenmoos – an dieser Stelle übers freie Feld in die Chise umgeleitet werden. Aktuell führt er noch unter der Strasse hindurch und fliesst später kanalisiert weiter Richtu

Auch Werner Stucki aus Niederhünigen hat keine Freude daran, wenn die Chise über die Ufer tritt, und unterstützt daher grundsätzlich Hochwasserschutzmassnahmen. Was jedoch der Wasserbauverband Chisebach plant (siehe Kasten «Hintergrund»), geht dem Landwirt und Präsidenten der Flurgenossenschaft Konolfingen-Niederhünigen entschieden zu weit. Gemeinsam mit über 50 weiteren Gegnern, darunter vor allem Bauern, hat er bereits im September beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland eine Sammeleinsprache gegen das Vorhaben im Hünigenmoos eingereicht (wir haben berichtet). Eine erste Einigungsverhandlung Ende Oktober mit Vertretern von Wasserbauverband und Kanton blieb noch ohne Resultat.
 

«Landwirte wurden stets schlecht informiert»
  

Die Bestrebungen, den Hochwasserschutz im Kiesental zu verbessern, begannen schon vor zehn Jahren. Eines hat sich in den Augen von Werner Stucki während dieser ganzen Zeit nicht geändert: «Die Landwirte wurden stets schlecht informiert.» Zwar habe es ein Mitwirkungsverfahren gegeben, an dem sich die Bauern auch beteiligt hätten. «Dann haben wir aber nichts mehr gehört, bis wir an einer Orientierung quasi vor vollendete Tatsachen gestellt wurden», sagt der Flurgenossenschaftspräsident.
  

Die Einsprecher, die Stucki vertritt, stören sich an einer ganzen Reihe von Massnahmen. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass durch die Umleitung, Verbreiterung und Renaturierung des Bachlaufs «unnötig viel Kulturland» verloren gehe. Konkret soll die Chise, die zwischen Mirchel und Konolfingen entlang der Emmentalstrasse verläuft, landeinwärts versetzt werden. Es stünde ihr neu ein Gewässerraum von bis zu 23 Metern Breite zur Verfügung; das Wasser würde unkanalisiert in Schlangenlinien fliessen, und es gäbe an einigen Stellen kleine Weiher und Hochwasserrückhaltebecken. Zu guter Letzt hätten die aktuellen Pläne auch eine Dammaufschüttung zur Folge.
  

Breite des Gewässerraums nicht in Stein gemeisselt
  

Das revidierte Gewässerschutzgesetz, das seit dem 1. Juni 2011 gilt, verknüpft den Hochwasserschutz mit Renaturierungen. Andernfalls gibt es von Bund und Kanton keine Bewilligung mehr. Stucki ist sich dessen durchaus bewusst, dennoch weiss er, dass die 23 Meter Breite nicht in Stein gemeisselt sind. Die eidgenössische Gewässerschutzverordnung liefert sogar eine Formel, die anhand der Sohlenbreite eines bestehenden Gewässers den künftigen Gewässerraum vorgibt. Im Fall der Chise ergäbe dies einen Wert von nur 14,5 Metern.
  

«Würde das Projekt hingegen so umgesetzt wie momentan vorgesehen, bräuchte es dafür rund 10 Hektaren Fruchtfolgefläche», rechnet Stucki vor. Bei Fruchtfolgeflächen handelt es sich um besonders wertvolles Land, das abwechselnd für den Ackerbau und die Viehwirtschaft eingesetzt wird. Ein Ziel der Einsprecher ist es daher, den geplanten Gewässerraum wieder von 23 auf 14,5 Meter zu verschmälern. Dies käme auch den im Boden eingelegten Drainageleitungen der Flurgenossenschaft, die sich im fraglichen Perimeter befinden, zugute. Werner Stucki befürchtet, dass sie durch die geplanten Massnahmen Schaden nehmen könnten.
  

Wird Gemeinde Konolfingen beim Projekt geschont?
  

Die Chise ist indes nicht die einzige «Baustelle» der Bauern. Sie kritisieren ebenso das Vorhaben beim Hünigenbach. Auch er soll teilweise umgeleitet, renaturiert, von einem Damm flankiert und um einen Gewässerraum von bis zu 15 Metern verbreitert werden – wiederum wäre der Verlust von Kulturland die direkte Folge. Bislang mündet der Bach in den Konolfinger Gewerbekanal, einen Seitenarm der Chise. Neu soll er ab der Hünigenstrasse übers freie Feld in die renaturierte Chise fliessen. Die Bauern fordern, dass die alte Linienführung beibehalten wird. «Es macht keinen Sinn, die Chise mit grossem Aufwand hochwassertauglich zu machen und dann doch wieder zusätzliches Wasser einzuleiten», findet Stucki. Als Alternative könne sowohl die Sohle der Chise als auch des Gewerbekanals abgesenkt und besser unterhalten werden. Generell hegen die Einsprecher den Verdacht, dass die Einschränkungen, die die Hochwasserschutzmassnahmen mit sich bringen, zugunsten von Konolfingen und zuungunsten von Niederhünigen und Mirchel aufgegleist wurden.
  

Macht Wasserbauplan eineZonenplanänderung nötig?
  

Weil die neuen Bachläufe bestehende Parzellen «zerschneiden» würden, käme es bei den betroffenen Landeigentümern auch zu Landumlegungen. Das bedeutet, dass die Eigentümer gleichwertigen Ersatz an anderen Standorten oder in anderer Zusammensetzung erhalten würden. Gerade die Gleichwertigkeit wird aber von den Einsprechern angezweifelt. Die Fruchtfolgeflächen würden in ihrer Qualität zerstört, daher könne für das verlorene Land kein angemessener Ersatz gefunden werden. Hans Bieri von der Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft, der die Einsprecher in ihrem Kampf gegen den Wasserbauplan Hünigenmoos unterstützt, spricht gar von «materieller Enteignung».
  

Womöglich gibt es für die Bauern nebst der Einsprache aber noch ein weiteres Schlupfloch. Artikel 38 a des Gewässerschutzgesetzes sieht nämlich vor, dass Renaturierungen «bei der Richt- und Nutzungsplanung» berücksichtigt werden müssen. Bieri wie auch Stucki halten es daher für möglich, dass die Verbreiterung des Gewässerraums zuerst durch eine Zonenplanänderung – von der Landwirtschaftszone in eine extensive Ökofläche – abgesegnet werden muss. Hierzu bräuchte es ein Ja an der Gemeindeversammlung – in allen betroffenen Gemeinden.

Hintergrund
 

Für den Unterhalt und weitere bauliche Massnahmen an der Chise ist der Wasserbauverband (WBV) Chisebach zuständig. Die zehn Anstössergemeinden des Gewässers (Bowil, Zäziwil, Mirchel, Niederhünigen, Konolfingen, Freimettigen, Oderdiessbach, Herbligen, Oppligen und Kiesen) haben die Aufgabe im Jahr 2008 dem WBV übertragen. Nebst dem gesamten Lauf der Chise umfasst der Perimeter auch die wichtigsten Zuflüsse. Die Planung für einen verbesserten Hochwasserschutz läuft bereits seit 2003.

Die geplanten Massnahmen, zu denen vor allem die Schaffung von Rückhalteräumen im Ober- und der Ausbau des Bachbetts im Unterlauf der Chise gehören, sind in mehrere Teilprojekte unterteilt. Zwei davon – der Wasserbauplan (WBP) Kiesen und der WBP Hünigenmoos – wurden im September öffentlich aufgelegt. Dabei wurden beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland gegen den WBP Kiesen 18 Einsprachen und gegen den WBP Hünigenmoos 8 Einsprachen, darunter eine Sammeleinsprache mit über 50 Unterschriften, eingereicht (vgl. Haupttext). Die Einsprecher kritisieren insbesondere die Grösse des geplanten Gewässerraums und den damit verbundenen Verlust von Kulturland. Im Winter sind nun Einigungsverhandlungen vorgesehen. Für die Arbeiten am WBP Kiesen rechnet der WBV Chisebach mit Kosten bis zu 9,6 Millionen, für den WBP Hünigenmoos sogar bis zu 10,5 Millionen Franken. Bund und Kanton dürften je rund ein Drittel der Kosten übernehmen.gbs/pd

Situation in Kiesen

Weil die Publikation des Wasserbauplans Kiesen (vgl. Kasten links) unvollständig war, wurde er im Oktober nochmals öffentlich aufgelegt. Diesmal ging auch zu diesem Teilprojekt eine Sammeleinsprache mit fünf Unterschriften ein. Deren Initiant, Bauer Adrian Waber aus Kiesen, argumentiert dabei sehr ähnlich wie Berufskollege Werner Stucki in Niederhünigen (vgl. Haupttext). Waber kritisiert insbesondere, dass die Bauern und die Grundeigentümer als stark betroffene Gruppe nicht angehört worden seien – ganz im Gegensatz zu den Naturschutzorganisationen und den Fischern. Laut dem stellvertretenden Regierungsstatthalter Bern-Mittelland, Peter Blaser, sind diesmal insgesamt 20 Einsprachen gegen das Teilprojekt eingegangen.


Autor:in
Gabriel Berger, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 26.11.2013
Geändert: 21.06.2016
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