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Fussball - Warum Frey nicht gezwungen wurde, bei YB zu bleiben

Quelle
Berner Zeitung BZ

Die Antworten auf 7 Fragen zum äusserst kontrovers diskutierten Wechsel des 20-jährigen Stürmers Michael Frey von YB zu Lille.

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Auf dem Weg nach oben: Michael Frey schreitet auf der Karriereleiter rasant voran - bald spielt er bei Lille in der Ligue 1. (Bild: Andreas Blatter)

1 Wie geht es mit Michael Frey jetzt weiter?

Der 20-Jährige reiste gestern von Lille in die Ukraine, wo er am Donnerstag mit der Schweizer U-21-Auswahl eine EM-Qualifikationspartie bestreitet. Am Montag trifft er mit der höchsten Schweizer Nachwuchsauswahl in Lugano auf Lettland, ehe er am Dienstag wieder zu Hause in Münsingen sein wird. Danach heisst es: Koffer packen – und ab nach Lille. Mitte nächster Woche startet dort sein Abenteuer in der Ligue 1. Er hat beim französischen Spitzenverein, der in der Champions-League-Qualifikation zuerst GC geschlagen hatte und dann an Porto gescheitert war, einen Vierjahresvertrag unterschrieben – und den Lohn vervielfacht.

2 Was sagt Michael Frey?

Er war gestern an seinem Reisetag nicht zu erreichen, es waren für ihn zuletzt anstrengende Zeiten. Auf der Website seines neuen Arbeitgebers ist ein Video zu sehen, auf dem Frey interviewt wird. Die Fragen sind auf Französisch, die Antworten auf Berndeutsch. Frey sagt, was ein neuer Spieler immer sagt. Zum Beispiel, dass er sich enorm auf die neue Herausforderung freue. Es sei immer sein Ziel gewesen, bei einem ausländischen Topklub zu spielen, diese Chance habe er packen müssen. «Lille spielt immer vorne mit, auch ich will immer vorne mitspielen.»

Frey ist sehr ehrgeizig, sehr selbstbewusst, sehr fleissig, er hat sich noch immer durchgesetzt – und schon oft Leute überrascht, die ihm etwas nicht zugetraut hatten. Zudem sieht der 20-Jährige in Lille bessere Chancen, ins Nationalteam zu kommen.

3 Ist Frey gut genug für Lille?

Es gibt viele Leute, die behaupten, Frey sei zu langsam und technisch zu wenig stark für einen Klub wie Lille. Mit Sicherheit hätte es dem jungen Stürmer gut angestanden, noch eine Saison in der Super League zu spielen. «Er geht zu früh, das wird schwierig für ihn», sagt YB-Sportchef Fredy Bickel. «Aber ich wünsche ihm alles Gute und hoffe sehr, dass ich mich irre.»

Die Skepsis gegenüber Freys Entscheid ist gross – und nicht immer nachvollziehbar. Denn ihm ist der Durchbruch in Lille zuzutrauen. Er startet mit einem kleinen Bonus, einen 4-Millionen-Franken-Stürmer setzt man nicht so schnell auf die Bank. Frey ist ein grosser Kämpfer, sein Motto lautet: «Alles ist möglich.»

Eine schwierige Aufgabe für den unbekümmerten Münsinger wird sein, sich im Ausland zurechtzufinden, zumal er noch bei den Eltern wohnt. Er hat keine Freundin, wird aber Unterstützung von der Familie erhalten.

4 Was bedeutet der Abgang Michael Freys für YB?

Die Young Boys wurden gestern – wie auch Frey – nicht nur in Internetkommentaren von Fans teilweise heftig angefeindet. Ihr Konzept, stärker auf Junge zu setzen, hat einen Kratzer erlitten, weil die populäre Identifikationsfigur bei der erstbesten Möglichkeit den Klub verlassen hat. Letztlich aber ist jeder Schweizer Klub ein Ausbildungsverein, die besten Kräfte werden stets ins Ausland wechseln, auch Zürich und Basel verloren in den letzten zehn Jahren die stärksten Akteure ihrer Meistermannschaften. «Freys Abgang ist sehr bitter für uns», sagt Fredy Bickel. «Und auch der Zeitpunkt, so kurz vor Transferschluss, ist ärgerlich.» Der Sportchef erklärt: «Frey wird uns nicht nur auf dem Rasen, sondern auch als Typ fehlen. Er hatte Feuer und Leidenschaft, war ein Leader und für die anderen Jungen ein Vorbild.»

5 Wann gehen die anderen YB-Talente ins Ausland?

Die Young Boys verkauften in den letzten Jahren ebenfalls regelmässig Spieler ins Ausland, zuletzt etwa im Sommer den talentierten Angreifer Josef Martinez an Torino. Und die Prognose sei erlaubt: In den nächsten drei Jahren werden mindestens fünf, eher aber acht bis zehn Fussballer YB verlassen und bei einem grösseren Klub anheuern – von Goaliegrossbegabung Yvon Mvogo über Mittelfeldmotor Sékou Sanogo bis zum filigranen Japaner Yuya Kubo. So läuft nun mal das Geschäft. Die Aufgabe von Bickel und seinen Mitstreitern ist es, bereit zu sein, die Lücken mit neuen Talenten zu füllen.

6 Wie wird Frey ersetzt?

Der erst vor wenigen Tagen verpflichtete Franzose Guillaume Hoarau wird jetzt im Sturm besonders gefordert sein. «Ihn holten wir eigentlich, um Frey zu entlasten, weil wir im Herbst so viele Spiele austragen werden», sagt Bickel. Im Oktober soll der seit Februar verletzte Alexander Gerndt wieder spielen können, auch Gonzalo Zarate kehrt im Herbst zurück – und Samuel Afum deutete am Sonntag in Basel an (1:3), endlich sein Potenzial abrufen zu können. Kubo, Renato Steffen, Raphael Nuzzolo und Adrian Nikci sind weitere Offensivkräfte, die je nach System ganz vorne spielen können.

Und im Winter dürfte YB den auch erst 20-jährigen torgefährlichen Haris Tabakovic, derzeit leihweise beim Challenge-League-Verein Wil, zurückholen.

7 Hätte Frey von YB nicht gezwungen werden müssen, in Bern zu bleiben?

Theoretisch hätte YB das tun können, Freys Vertrag bei den Young Boys lief bis 2016 – auch im nächsten Sommer hätte es eine Ablösesumme gegeben. Viele YB-Akteure, Trainer und Sportchef und Angestellte bearbeiteten Frey, damit dieser in Bern bleibe. «Aber wenn ein Spieler unbedingt weg will, können wir ihm am Ende keine Steine in den Weg legen», sagt Bickel. Frey und sein Berater hätten regelrecht gebettelt, zudem habe Lille sukzessive das Angebot erhöht. «Wir müssen auch sparen und an den Verein denken», sagt Bickel.

Erstmals vom Interesse Lilles erfuhren die Young Boys übrigens erst am Samstag. «Ich dachte zuerst, das sei sowieso kein Thema für Frey», erklärt Bickel.

Der Sportchef täuschte sich – wie viele andere.

Autor:in
Fabian Ruch, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 03.09.2014
Geändert: 03.09.2014
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