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Zäziwil - Tausende feiern alten Brauch

Quelle
Berner Zeitung BZ

Die Brächete zog gestern wieder Tausende von Besuchern aus der ganzen Schweiz und sogar dem Ausland an. Der Anlass fand schon zum 60. Mal statt.

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So wirds gemacht: Erika Reber demonstriert mit ihren Töchtern Patricia (l.) und Nicole das Brechen. (Bild: Hans Wüthrich)
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Hanni Stalder: "Die meisten nehmen einen Tag frei."
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Bereits kurz vor Mittag ist die zum Parkplatz umfunktionierte Wiese unweit der Zäziwiler Kirche proppenvoll. Die vielen einheimischen Besucher und die Touristen aus dem In- und Ausland, die sich erst jetzt auf den Weg in Richtung Turnhalle begeben, müssen sich gedulden. Denn bei den Marktständen gibt es praktisch kein Durchkommen mehr. Hier werden Hände geschüttelt, da wird Käse degustiert, dort einem Korbflechter bei der Arbeit zugeschaut.

Das eigentliche Spektakel aber spielt sich aber auf der Wiese neben der Turnhalle ab. Wie jedes Jahr am letzten Septembermittwoch zelebrieren hier in Trachten gekleidete Frauen den Brauch der Flachsverarbeitung. Auf alten Handgeräten demonstrieren sie den Besuchern, wie früher aus Flachspflanzen in mehreren aufwendigen Arbeitsschritten Leinen hergestellt wurden.

Brächete feiert Jubiläum

Heuer findet die traditionelle Brächete in Zäziwil bereits zum 60. Mal statt. Als sie 1955 im Dorf zum ersten Mal durchgeführt wurde, hatte die Baumwolle den Flachs bereits verdrängt. Kaum jemand baute die Pflanze noch an, geschweige denn verarbeitete deren Fasern zu Textilien.

Das alte Handwerk sollte aber nicht in Vergessenheit geraten – und so wird der Brauch bis heute gepflegt. Ganz zur Freude von Hanni Stalder. «Es ist schön, dass es die Zäziwilerinnen und Zäziwiler in all den Jahren geschafft haben, diese Tradition aufrechtzuerhalten», sagt die 55-Jährige, die sich seit vier Jahren im Organisationskomitee engagiert. Dies zeige, wie stark das Brauchtum in der Region verankert sei. «Wenn Brächete ist, dann nehmen sich hier die meisten einen freien Tag.»

Wertvoller Wissenstransfer

Die diesjährige Jubiläumsausgabe wollte sich auch Erika Reber nicht entgehen lassen. Seit elf Jahren ist sie als Trachtenfrau beim Anlass dabei und zeigt den Besuchern am sogenannten Brechbock, wie die Flachsbündel früher in mühsamer und schweisstreibender Arbeit vom Holz befreit und daraus langsam die Fasern herausgearbeitet wurden. Dieses Jahr erhält sie zusätzliche Unterstützung von ihren beiden Töchtern Patricia (13) und Nicole (12). «Ich finde es wichtig, dass sie sehen, wie viele Arbeitsschritte damals für ein Kleidungsstück oder ein Handtuch nötig waren», sagt die Mutter.

Faszinierende Pflanze

Der grosse Besucherstrom hat sich unterdessen in die Zäziwiler Turnhalle verlagert. Hier werden die Fasern des Flachses von den Trachtenfrauen zu Garn gesponnen und schliesslich zu kunstvollen Tüchern gewoben. Dies bringt nicht nur die zahlreichen Besucher, sondern auch Hanni Stalder zum Staunen: «Was sich aus dieser Pflanze alles rausholen lässt, fasziniert mich immer wieder aufs Neue.»

[i] Flachsanbau in der Schweiz


In Zukunft soll hierzulande wieder vermehrt Flachs angebaut werden. Dies hat sich die IG Niutex aus Sumiswald zum Ziel gesetzt. An der Brächete machte der Verein mit einem Stand auf sein Vorhaben aufmerksam. «Der Nutzen der Pflanze ist sehr vielfältig», sagt Projektleiter Hans Haslebacher. So können aus den Flachsfasern nicht nur diverse Textilien hergestellt werden. Auch andere Produkte lassen sich damit schaffen. So etwa Sportgeräte wie Ski, Eishockey- oder Golfschläger.

Die Kurzfasern, also die Reste der Flachspflanze, finden zudem Verwendung für die Herstellung von Wärme- und Schallisolierungsmatten. «Aus den Leinsamen kann ausserdem Leinöl gewonnen werden», so Haslebacher. In einheimischen Flachsprodukten sehe er eine Nische.

Seit der Gründung 2010 versucht die IG deshalb, Schweizer Bauern vom Potenzial der Flachspflanze zu überzeugen. Drei Landwirte in Willadingen und Oberösch bauen mittlerweile auf einer Fläche von drei Hektaren Flachs an. «Nächstes Jahr kommen weitere drei Hektaren dazu», sagt Haslebacher. Zudem würden sich immer mehr Bauern aus dem Emmental und dem Oberaargau für den neuen Marktzweig interessieren.

Noch fehlen hierzulande aber die nötigen Maschinen, damit sämtliche Prozesse vom Rohstoff bis zu den Textilien selber übernommen werden können. Bislang wird der geerntete Flachs deshalb zur weiteren Verarbeitung nach Frankreich, Deutschland und Ungarn verlagert.

Das Ziel sei es aber, dass in fünf bis zehn Jahren alle Arbeitsschritte in der Schweiz stattfinden könnten.

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Autor:in
Christoph Albrecht, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 25.09.2014
Geändert: 25.09.2014
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