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Münsingen - Eine weisse Kerze für ein schwarzes Schaf

Quelle
Berner Zeitung BZ

Der Vortrag von Christoph Blocher wurde von einem kleinen Protest begleitet. Vor allem seine Worte über den Schriftsteller Friedlich Glauser ernten Kritik.

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Rede von Christoph Blocher im Schlossgut. (Bild: Christian Pfander)
Johannes Lortz wollte einem Mann einen Zettel in die Hand drücken. «Hände weg von Glauser», lautete die Botschaft des Aktivisten aus Bern. Doch der Passant winkte ab. Er steuerte mit seiner Frau direkt auf den Schlossgutsaal zu.

Eine kleine Gruppe um Lortz protestierte gestern in Münsingen gegen einen Vortrag von Alt-Bundesrat Christoph Blocher über den Schriftsteller Friedrich Glauser (1896–1938), der mehrere Jahre in der Psychiatrieklinik Münsingen verbracht hatte.

Literatur für alle

Auf Einladung von lokalen SVP-Sektionen porträtierte Blocher im Schlossgutsaal «drei Persönlichkeiten aus dem Aaretal». Neben Glauser waren dies Schultheissen-Gattin Magdalena Nägeli (1550–1628) und New-Bern-Gründer Christoph von Graffenried (1661–1743).

Der SVP-Politiker ging in seinem anderthalbstündigen Referat kurz auf die Diskussion ein und freute sich diebisch über den «furchtbaren Affront» seines Auftritts. «Die Literatur, die Glauser geschrieben hat, gehört aber allen», sagte Blocher dazu. Er stellte Glauser als erfolgreichen Autor vor, der seinerzeit zum viertbesten Kriminalschriftsteller der Welt gewählt worden sei. Darauf könnten die Münsinger stolz sein. «Wäre er nicht in der Klinik gewesen, hätte er das nicht gekonnt.»

Friedlicher Protest

Im Saal waren alle 550 Plätze besetzt. Gegen 100 Personen verfolgten die Rede zudem draussen auf dem Schlossgutplatz via Leinwand. Die Polizei war auch vor Ort. Zusammen mit der Gemeinde hatte sie entschieden, die Aktivisten gewähren zu lassen. «Sie hatten die Mahnwache angekündigt», sagte Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne). «Auch ihre Meinung muss Platz haben.» Der Protest verlief friedlich. Am Boden brannte eine weisse Kerze.

Lortz trug ein Plakat mit einem Bild Blochers um den Hals, seine Mitstreiterin Hanna Röhrich ein Bild des Schriftstellers. «Glauser steht für vieles, was die SVP bekämpft», sagte Lortz. Er sei ein Krimineller, Junkie und Sozialhilfeempfänger gewesen, zudem von Klinik zu Klinik gereicht worden. «Er war ein schwarzes Schaf.» Es sei ihm wichtig, «Aufklärungsarbeit» zu leisten und Glauser nicht Blocher zu überlassen. Die meisten Besucher gingen jedoch an der Mahnwache vorbei. Mit ein paar Passanten kam Lortz ins Gespräch. Nur ganz wenige waren hörbar nicht erfreut über die Aktion.

Historiker sieht sich bestätigt

Im Vorfeld hatte auch eine Gruppe von Lokalhistorikern gegen den Auftritt protestiert. Einer von ihnen, Albert Kündig, sah sich nach der Veranstaltung bestätigt und ortete zudem inhaltliche Fehler. «Zum Beispiel war Glauser nicht der Erfinder des Schweizer Kriminalromans.» Carl Albert Loosli habe schon zehn Jahre vor ihm einen Krimi geschrieben. Er fügte hinzu: «Eigentlich ist es ein Armutszeugnis für die Münsinger SVP, dass sie sich die lokale Geschichte von einem Mann aus Herrliberg erklären lassen muss.»

Ebenfalls Vorbehalte hatte Gemeindepräsident Moser. «Friedrich Glauser und vor allem den Patrizier Christoph von Graffenried als Unternehmer darzustellen, scheint mir weit hergeholt.»

Stattdessen hätte er sich gewünscht, dass eine andere Seite Glausers beleuchtet wird. «Er lehrt uns Toleranz und Weltoffenheit.»

Autor:in
Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 20.10.2014
Geändert: 20.10.2014
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