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Hitler-Rähmli: Wälchli muss Mitarbeiter entlassen

Quelle
Berner Zeitung BZ

Die Migros greift durch: Nach der Empörung über Hitler auf dem Kaffeerahm hat sie die Zusammenarbeit mit dem Deckelihersteller gestern aufgelöst. Dieser will das Geschäft retten, und sei es nur als Hobby.

Gibt es Ihr Geschäft in einem halben Jahr noch? Vor zwei Wochen hätte Peter Wälchli wohl gelacht. Jetzt hebt er nur die Schultern. «Wenn wir keine eigenen Deckeli mehr produzieren können, fällt unser Umsatz um die Hälfte», sagt er. Am Dienstag sei das vierköpfige Team bis in die Nacht hinein im Büro in Grosshöchstetten gesessen und habe über die Zukunft diskutiert. «Entlassungen lassen sich nicht vermeiden.» 60 000 Kaffeerahmdeckeli verkauft Peter Wälchlis Firma Monat für Monat. Ein einziges Sujet bringt ihn nun in Bedrängnis: Adolf Hitler. In einer 30er-Serie hat die Karo-Versand GmbH historische Zigarrenbanderolen abgebildet, auf einem war der Diktator zu sehen.

Verhängnisvolle Aussage

Die Firma verkauft die Deckeli nur als ganze Serie und nur an Sammler. Nach zwei Jahren tauchte das Hitler-Deckeli jedoch plötzlich auch einzeln in Cafés auf – offenbar wegen eines Fehlers der Abfüllerfirma, der Migros-Tochter Elsa (wir berichteten). So landete das Deckeli auf den Titelseiten der Medien.

Nun liegt ein Papier der Migros-Rechtsabteilung vor Wälchli auf dem Tisch. «Vergleichsvereinbarung betreffend einvernehmlicher Auflösung der Zusammenarbeit», steht da. Die Migros will mit Karo-Versand nichts mehr zu tun haben. Nicht wegen des Sujets an sich, sondern weil Peter Wälchli den Vorfall öffentlich als unproblematisch bezeichnet habe. Heute will die Migros-Medienstelle nichts mehr dazu sagen. Wälchli findet, für die Sammler und im Rahmen der ganzen Serie sei das Sujet kein Problem. Seit der Erscheinung vor zwei Jahren habe es nie Reklamationen gegeben. «Ich habe gefragt, was passiert, wenn ich die Vereinbarung nicht unterschreibe», sagt Wälchli. Dann erhalte er sie eingeschrieben, sei die Antwort gewesen. Wälchli unterzeichnete – wohlwissend, was dies für seine Firma bedeuten könnte.

Hobby in Gefahr

Elsa ist der einzige Abfüller, der so kleine Mengen produziert, wie Karo-Versand benötigt. «Wir könnten auch bei Emmi oder Cremo abfüllen lassen», sagt Wälchli. «Aber was sollen wir mit über 1000 Schachteln Kaffeerahm anfangen?» Im Ausland zu produzieren, sei wegen des Importgesetzes nicht möglich.

Für die 5000 Schweizer Deckelisammler ist Karo-Versand das, was für Briefmarkensammler die Post ist. Das KMU gestaltet selber rund 20 Serien pro Jahr. Zudem gibt es den Newsletter «Decheli-Blitz» heraus und eine Dokumentation mit den Neuheiten sämtlicher Deckelihersteller. Jedes Sujet erhält von der Firma eine Nummer, damit es keine Verwechslungen gibt. «Wie soll Frau Meier in Bischofszell wissen, dass es in Genf ein neues Deckeli gibt, wenn nicht über uns?», fragt Wälchli. Dutzende besorgte Sammler hätten ihn angerufen, «einige haben geweint.» Wälchli sagt ihnen, es werde weitergehen – in welcher Form auch immer.

Firma stark verkleinern?

Die Migros wird noch einige Rähmliserien abfüllen, für die die Folie bereits besteht. Der Bedarf bis März ist so gedeckt. Danach werde der Betrieb der Firma wohl stark heruntergefahren, so Wälchli. «Wir haben entschieden, dass wir weitermachen. Auch wenn wir das Heft und den Katalog hobbymässig am Abend produzieren müssen», sagt der 50-Jährige, der sein Geld seit 25 Jahren mit den Deckeli verdient. «Am Wochenende hatte ich eine Krise.» Unterdessen sei nur noch eines übrig: Wut.

Autor:in
Dominik Galliker, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 30.10.2014
Geändert: 30.10.2014
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