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Oberdiessbach - "Schwarze Schafe sind am interessantesten"

Quelle
Wochen-Zeitung

Auf den Spuren ihrer Vorfahren – die bis ins Jahr 1599 zurückreichen – ist Marianne Zafrani-Vogt auf spannende Persönlichkeiten gestossen. So verdingte sich ein Vorfahre der Vogts für zwölf Jahre als holländischer Soldat und kam dabei bis nach Ostindien.

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(Bild: Wochen-Zeitung)
Marianne Zafrani-Vogt war bereits als Kind fasziniert von alten Fotos und Postkarten und sammelte diese. «Meine Mutter musste mich bremsen, wenn ich nach einem Besuch bei der Tante mit neuen alten Schätzen heimgekehrt bin», erzählt die bald 70-Jährige schmunzelnd. Heute sind die Zeitdokumente für sie noch wertvoller.

Seit ihrer Pensionierung vor gut vier Jahren betreibt Marianne Zafrani Ahnenforschung. Bereits ihr Grossvater, der Uhrmacher in Oberdiessbach war, interessierte sich für seine Herkunft, sowie auch ihr Götti, der einen Stammbaum und ein Stammbuch der Familie Vogt erstellt hat. All diese Unterlagen lagern nun bei Marianne Zafrani in Zollikofen. Bekannt war, dass ihre Vorfahren in Dokumenten bis 1733 rückverfolgbar sind. Dank Recherchen im Internet konnte sie nun den Stammbaum um weitere vier Generationen bis ins Jahr 1599 erweitern. «Das war für mich eine Sensation.»

In stundenlanger Arbeit sichtet, sortiert und digitalisiert sie Schriftstücke. Obwohl sie einen Kurs besucht hat, um die alte deutsche Schrift lesen zu lernen, muss sie sich beim Entziffern der Briefe und Verträge oft Hilfe holen. «Ein Bekannter ist glücklicherweise Historiker und Ahnenforscher und hat mir die Dokumente aus dem Staatsarchiv übersetzt.» 

Ihre Hauptaufgabe sieht Marianne Zafrani in der Digitalisierung von Fotos und Dokumenten, damit sie der Nachwelt zugänglich bleiben, sowie im Schreiben von Artikeln und Biografien über ihre Vorfahren. Eine Herausforderung stellt das Archivieren und Lagern der Gegenstände dar. Wie bleiben brüchige Schriftstücke und vergilbte Fotos am besten erhalten? Tipps erhält sie in der Genealogischen Gesellschaft Bern von andern Ahnenforschern.

Nachtschichten am Computer

«Es hat mir den Ärmel reingezogen», schwärmt die pensionierte Pflegefachfrau. Bis spät in die Nacht sitzt sie am Computer und arbeitet an ihrer Familiengeschichte. «Es ist erstaunlich, was meine Vorfahren teilweise für spannende Abenteuer erlebt haben.» Am meisten begeistern sie die Reiseberichte von Johann Christian Vogt (1851–1876), der sich in holländische Kriegsdienste verdingte. In Briefen schildert er die Reise auf dem Schraubendampfer «König der Niederlande» von Harderwijk übers Mittelmeer durch den Suezkanal über den Indischen Ozean bis nach Sumatra. «Bei einem schlimmen Sturm spülte es einen ganzen Stall samt Kühen vom Schiff, die Besatzung war mit Seilen an Deck festgebunden, damit die Wellen sie nicht auch von Bord warfen», hat Marianne Zafrani in einem Brief gelesen.

Zu lesen ist auch: «Es würde mir sehr gut gefallen, wenn wir nur mehr zu essen kriegten. Es gibt nur zweimal im Tag, morgens um 6 Uhr ein halbes Pfund Brot mit einer Tasse Kaffee und nachmittags um 16 Uhr eine Schüssel geschwellten Reis mit einem Stücklein Fleisch. Der Hunger lässt einem nachts gar nicht schlafen.»

Des Landes verwiesen

Aber auch das Leben von Johann Jakob Vogt (1816–1876) war bewegt. Der Lehrer war Herausgeber des Schweizerischen Volksschulblattes und verfasste mehrere literarische Arbeiten. Von der Hochschule Zürich wurde er sogar mit dem Ehrendoktor der Philosophie ausgezeichnet. Später war er Vorsteher der Zwangsarbeitsanstalt Thorberg. Wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder wurde Johann Jakob Vogt des Landes verwiesen und baute sich in Amerika ein neues Leben als Prediger und Lehrer auf. «Die schwarzen Schafe sind am interessantesten, nur von ihnen ist beispielsweise in Gerichtsdokumenten zu lesen.»

Nachfahren in Deutschland aufgespürt

Die Spuren ihrer Vorfahren führten Marianne Zafrani im vergangenen Jahr auch nach Deutschland, genauer in den Weiler Schillighof in Baden-Württemberg. Durch Zufall lernte sie sogar noch eine Nachfahrin des Bruders ihres 1733 geborenen Vorfahren Fritz Vogt kennen. Während ihrer Forschungsarbeit wurde Zafrani bewusst, wie wertvoll es ist, Verwandte persönlich zu ihrem Leben befragen zu können. «Ich habe das bei meinen Eltern leider verpasst», bedauert sie. Viel zu schnell geht Wissen vergessen. Unbeschriftete Fotos können schon bald keiner Person mehr zugeordnet werden. «Zu Lebzeiten denkt man, es ist nicht nötig, das Bild zu beschriften, man weiss ja, wer darauf zu sehen ist.» 

Im vergangenen Herbst organisierte sie nach zwanzig Jahren Unterbruch erneut eine Vogt-Tagung in Oberdiessbach. 65 Erwachsene, fünf Kinder und drei Säuglinge trafen sich zum Erinnerungsaustausch. Es wurde in Fotoalben geblättert und Anekdoten erzählt. Das meiste steuerte die Ahnenforscherin aus Zollikofen bei.

«Damit ich all meine Vorhaben umsetzen kann, muss ich über 100 Jahre alt werden», sagt Marianne Zafrani lachend und wendet sich wieder einem alten, verstaubten Fotoalbum zu.

Autor:in
Regula Lazzaretti, Wochen-Zeitung
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Erstellt: 05.02.2015
Geändert: 06.02.2015
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