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Münsingen - Holunderwein und Leichen im Keller

Quelle
Berner Zeitung BZ

Das Berner Sommertheater feierte am Mittwoch mit Joseph Kesselrings skurrilem Mordsstück «Arsen und Spitzehübli» Premiere. Regisseur Walter Stutz liess sein Ensemble im schwarzhumorigen Possenspiel zu Hochform auflaufen.

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Erhält sich für Theodor Roosevelt: Teddy, gespielt von Flavio Paluzzi, hier zwischen den mörderischen Schwestern. (Bild: zvg)

Nichts ist so, wie es scheint. Auf der Bühne im Casinosaal des Psychiatriezentrums Münsingen dominiert optisch der ganz normale Alltag. Eine gutbürgerliche Stube im Brooklyn der vergangenen Dreissigerjahre. Die blitzblank polierten Gläser auf dem Teewagen und die Ahnen an den Wänden suggerieren plüschige Gemütlichkeit. In dieser wohligen Idylle haben es die beiden liebenswerten Schwestern Abby (Anne Steudler) und Martha (Brigitta Schafer) faustdick hinter den Ohren. Ihren Untermietern − meist alleinstehende, ältere Herren − kredenzen sie liebevoll gebrauten, aber giftig gewürzten Holunderwein. Dies alles in gut gemeinter Absicht, um sie aus ihrer Krankheit oder Einsamkeit zu erlösen.

Wahn und dunkle Geschäfte

Dabei agieren die ewig lächelnde Martha und ihre dauerstaunende Schwester Abby so geschickt, dass selbst die Pfarrerin (Heidi Muralt) und die örtliche Polizei in die Irre geführt werden. Etwas verwirrt reagiert auch der frisch verlobte Neffe Mortimer (Adrian Fahrni) angesichts eines gemeuchelten Toten in einer Truhe in der Stube. Neben den zwei Tanten treiben auch die lieben Verwandten dunkle Geschäfte. Oder sie sind verrückt.

So wie der Neffe Teddy (Flavio Paluzzi), der sich in seinem Wahn für Theodor Roosevelt hält. Beseitigt er doch im selbst gegrabenen Panamakanal im Keller des ehrwürdigen Hauses die gesammelten «Malaria»-Opfer. Als wäre das nicht schon genug an durchgeknallten Figuren, taucht mit Mortimers Bruder Jonathan (Marcel Maag) ein entlaufener Massenmörder auf. Im Schlepptau hat er einen Toten mitsamt dem pichelnden Doktor Einstein (Guido Ziltener). Wie aber geht man mit so vielen Leichen um?

Feine Charakterzeichnungen

In erster Linie besticht das Kesselring-Stück (1941 am Broadway uraufgeführt) in der Mundartfassung von Knut Kaulitz durch die feinen Charakterzeichnungen der Figuren. Das gesamte Ensemble agiert in der schwarzhumorigen Komödie ausgesprochen lustvoll und agil. Allen voran Anne Steudler und Brigitta Schafer als mordende Schwestern mit Helferinnensyndrom.

Ihr facettenreiches Spiel gibt den Figuren gleichsam Tiefgang und Glaubwürdigkeit. In nichts steht ihnen Marcel Maag nach, der den diabolischen Bösewicht Jonathan mit Verve lebt. Sekundiert vom herrlich schräg aufspielendem Guido Ziltener als Dr. Einstein. Dass Adrian Fahrni als Mortimer Brewster zum erstem Mal auf der Bühne steht, erstaunt. Agiert er doch in seiner die Normalität in einem durchgeknallten Umfeld verkörpernden Rolle differenziert und mit grosser Bühnenpräsenz.

Spass mit ernsten Untertönen

Regisseur Walter Stutz hat den komischen Mordsspass in Kostümen der damaligen Zeit (Eveline Rinaldi) mit viel Slapstick, aber auch mit ernsteren Untertönen inszeniert. Unfreiwillig komisch wirkt es allerdings dann, wenn die durchhängenden «Leichen» etwas zu schwerelos abtransportiert werden. Trotz all dem makabren Humor verliert das Stück nie seine Leichtigkeit und seinen Charme.


Autor:in
Lilo Lévy-Moser, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 08.05.2015
Geändert: 08.05.2015
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