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Gysenstein - Bern - Welt: "Reisen ist keine Flucht"

Quelle
Der Bund

Die 30-jährige Bernerin Sarah Althaus hat schon 45 Länder erkundet. Durch ihren Blog lässt sie an ihren Reisen teilhaben.

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Sarah Althaus am «schönsten Fluss der Welt», der Aare. (Bild: Manu Friederich)

Eine spanischsprachige Zeitung liegt auf dem Tisch vor dem Marzili-Kiosk, an dem Sarah Althaus sitzt. Es sei nicht ihre, sagt sie, aber ja, sie spreche Spanisch. Das erstaunt nicht, schliesslich ist die Bernerin schon weit herumgekommen. Vor einigen Wochen ist sie von einer Weltreise heimgekehrt, die anderthalb Jahre gedauert hat. Auf ihrem Blog «Rapunzel will raus» dokumentierte sie das Leben unterwegs. Dort finden sich Tipps für Leute, die eine Langzeitreise machen wollen. «Es ist mir wichtig, Leute zu motivieren, auch allein zu reisen», sagt sie. Das sei gar nicht so schwierig, wie man oft meine. Sie selbst war schon oft auf eigene Faust unterwegs, beginnend mit einer Reise nach Nepal, wo sie für ein Kinderhilfswerk arbeitete. Wenn man allein reise, komme man leichter mit Einheimischen in Kontakt – und manchmal werde man zum Abend­essen eingeladen. Obwohl sie versucht, günstig zu reisen, sieht sich Althaus nicht als typische Rucksacktouristin. Sie sei kein Backpacker, sondern eher ein Flash­packer, sagt sie und lacht: «Ich weiss, ein neumodisches Wort.» Ein Flashpacker gönne sich zwischendurch etwas, etwa ein Hotelzimmer oder ein Essen in einem guten Restaurant. «Ich drehe unterwegs nicht jeden Rappen um.» Pauschalferien seien aber nichts für sie. «Als ich einmal All-inclusive-Ferien machte, war ich ständig versucht, aus dem Hoteltrakt zu entkommen», sagt sie. «Ich will mehr sehen als nur Hotel und Strand.» Wenn diese Art von Ferien anderen Menschen behage, sei daran jedoch nichts auszusetzen.

Die 30-Jährige wuchs in Gysenstein bei Konolfingen auf. «Ich hatte eine sehr idyllische Kindheit auf dem Land.» Althaus vermutet, dass sie die Reiselust von der Mutter vererbt bekommen habe. Seit sie denken könne, sei sie vom Reisen fasziniert. Als Kind liebte sie Märchen, in denen die Protagonisten zu neuen Ufern aufbrechen. Aus dem Märchenbuch stammt auch der Name ihres Blogs: «Rapunzel möchte raus aus dem Turm und die Welt erkunden.»

Auf Althaus’ Unterarm prangt ein Kompass. Die Tätowierung soll sie daran erinnern, immer zweimal zu hinterfragen, ob sie die richtigen Entscheidungen fällt. Eine Entscheidung hat sie nie bereut: Vor ihrer Weltreise hat sie ihre gesamten Hab­seligkeiten verkauft – bis auf wenige Möbelstücke. «Es ist ein sehr schönes Gefühl, sich von materiellem Ballast zu befreien», sagt sie. «Ich merkte, dass es das alles gar nicht braucht.» Weshalb packt einen immer wieder die Reiselust? Dahinter stehe bei ihr die nie versiegende Neugierde auf Neues. «Manchmal denke ich, Fernweh könnte man auch als Krankheit oder Sucht bezeichnen.» Auch nach 45 besuchten Ländern sei sie immer noch abenteuerlustig und wolle immer mehr sehen. Dieses «Reissen» sei zuweilen «ein Fluch, weil es nie ganz weggeht». Und dennoch: «Ohne Fernweh hätte ich so vieles verpasst.» Manchmal werde Vielreisenden vorgeworfen, sie würden vor etwas davonrennen, erzählt sie. «Doch Reisen ist für mich keine Flucht, höchstens eine aus dem Alltag.» Nichtsdestotrotz spüre sie bei sich zuweilen eine gewisse Rastlosigkeit.

Welchen Klischees über die Schweiz ist sie auf ihren vielen Reisen begegnet? Zum einen den Klassikern, sagt sie: Schokolade, Berge, Uhren. Und sie werde auch oft auf den Reichtum angesprochen, den man Schweizerinnen und Schweizern pauschal zuschreibt. «Offene und reisegewohnte Menschen können diesbezüglich zum Glück differenzieren und reduzieren mich nicht auf ein Klischee.» Kehrt sie zurück nach Bern, falle ihr «die Zeigefingermentalität» negativ auf. «Und dass tagein, tagaus gejammert wird.» Die Heimkehr in die Schweiz bringe aber auch Vorteile mit sich. Etwa, dass sie hier mit ihren blonden Haaren und den hellen Augen keine besondere Aufmerksamkeit erhalte. «In Indien wurden manchmal ganze Familien zusammengetrommelt, um mich zu bestaunen.» Althaus schaut auf die grüne Aare hinaus und sagt: «Auf den schönsten Fluss der Welt freue ich mich immer besonders.» Die nächste Reise ist in Planung. Im Herbst will sie in Fuerteventura surfen lernen. Sesshaft werden möchte sie derzeit noch nicht. «Wer weiss, vielleicht sieht das in fünf Jahren anders aus.»


Autor:in
Meret Hasler, "Der Bund"
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Erstellt: 06.07.2015
Geändert: 06.07.2015
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