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Severin Lüthi aus Stettlen: "Der Job mit Federer hat es in sich"

Quelle
Der Bund

Coach Severin Lüthi ist über 200 Tage im Jahr mit der Nummer 3 unterwegs und froh, dass er mit Ivan Ljubicic Verstärkung bekam.

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Severin Lüthi (40): Der frühere Tennisprofi aus dem Berner Vorort Stettlen war bei 5 Grand-Slam-Titeln Federers als Coach dabei. Als Davis-Cup-Captain führte er die Schweiz 2014 zum 1. Titel. (Bild: "Der Bund")

Seit dem French Open 2007, kurz nachdem sich Roger Federer von Tony Roche getrennt hatte, ist Severin Lüthi der Mann, der am häufigsten an der Seite des Rekord-Grand-Slam-Siegers anzutreffen ist. Der Davis-Cup-Captain ist in dieser Rolle gewachsen, für Federer ein Freund und für dessen vier Kinder zu einer Art Onkel geworden. Langweilig wird es dem 40-jährigen Berner mit Wohnsitz Thun nicht, zumal er wieder einmal einen neuen Coach ins Team einführen muss: den 36-jährigen Kroaten Ivan Ljubicic, einst die Weltnummer 3.

Sind Sie auch schon mit Wettbetrügern in Kontakt gekommen?

Nein, selber nicht. Ich bekam nur die Geschichten mit, die man so hört. Ich konzentriere mich lieber auf den Sport und finde es schade, dass diese Story vor einem Grand-Slam-Turnier aufgewärmt wurde. Wenn es wenigstens konkrete News gegeben hätte... Hier geht es jedoch vor allem um Vermutungen. Und es ist schwierig, etwas zu kommentieren, das nicht konkret ist.

Die Indizien, dass viel mehr Spiele manipuliert wurden, als bisher bekannt ist, sind schon deutlich.

Ich bin auf diesem Gebiet kein Spezialist, besuche auch nie Websites von Wettanbietern. Wie willst du beispielsweise wissen, ob jemand einen Doppelfehler absichtlich geschlagen hat? Was man aber merkt, ist, dass die ATP und die Tennis Integrity Unit mehr als früher darauf aus sind, in diesem Bereich Ordnung zu schaffen. Inzwischen musst du ja oft auch unterschreiben, dass du nicht wettest, wenn du deinen Badge abholst.

Denken Sie, dass das Thema momentan überschätzt wird?

Chris Kermode, der Chef der ATP, sagt es richtig: Schwarze Schafe gibt es überall. Vor allem, wenn so viel Geld im Spiel ist. Und man kann ja sogar an Future-Turnieren auf Matches wetten, wo das Preisgeld vielleicht 1000 Dollar beträgt. Da sagt einer, der seine Karriere finanzieren will, schneller einmal zu. Wobei dort die Einsätze zum Glück begrenzt sein sollen, wie ich hörte.

Sie selber dürfte ein anderes Thema momentan mehr interessieren: Wie sich Ihr neuer Kollege Ivan Ljubicic in Federers Team integriert. War es auch Ihre Idee, ihn zu holen?

Das war Rogers Idee. Als wir wussten, dass Edberg aufhört, fragte er mich, ob ich es allein machen würde oder ob es besser wäre, jemanden dazuzunehmen. Für mich gab es zwei Aspekte: Einerseits ist Roger einer, dem neue Impulse guttun. Man darf nicht vergessen, wie lange er schon auf der Tour ist. Der andere war, dass ich auch 2015 wieder über 200Tage mit ihm unterwegs war, ohne den Davis-Cup. Es ist zwar ein Superjob, den ich habe, aber er hat es doch auch in sich. Gerade wenn man auch noch eine Beziehung hat, wie ich. Und wenn ich nur noch wie ein Sack daliege und nicht mehr mag, ist das für Roger auch nicht inspirierend.

Haben Sie versucht, Edberg zum Weitermachen zu bewegen?

Das tat vor allem Roger. Aber am Schluss sagten wir auch: Die zwei Jahre waren super, es ist okay so.

Es fehlte nur die Krönung.

Schon. Aber man darf auch nicht jede Phase isoliert betrachten. Edberg hat damals, vor zwei Jahren, auch nicht alles verändert, als er kam – überhaupt nicht. Rogers Weg ist schon sehr lang. Er hat heute in seinem Spiel vielleicht Sachen von José (Higueras), von Paul (Annacone), von Edberg, von Roche, von mir, vielleicht auch schon von Ljubicic. Man könnte sogar noch weiter zurück gehen: Wichtig sind auch Trainer, die junge Spieler für etwas begeistern können, oder die Eltern. Wenn er das alles nicht mitbekommen hätte, wäre jetzt vielleicht alles anders, oder wir hätten zumindest nicht die gleiche Ausgangslage. Wir sind nur diejenigen, die jetzt gerade in seiner Box sitzen.

Gab es viele Kandidaten?

So viele waren es nicht. Denn für Roger ist es auch wichtig, dass es auf der persönlichen Ebene stimmt. Er ist einer, der auch in der Freizeit oft und gern mit seinen Leuten zusammen ist. Da ist es ein Vorteil, wenn du dich gut verstehst, auch wenn das nicht das Schlüsselargument war. Zudem ist Ljubicic auch ein Familienmensch, wie Roger, er hat auch selber zwei Kinder.

Sie selber sind jetzt 40-jährig und haben noch keine Kinder. Haben Sie Ihr Privatleben für Federer zurückgestellt – während er dieses selber mit der Karriere verbinden kann?

Es ist klar, dass ich einiges zurückstellen muss: Man sieht seine Partnerin viel seltener, und auch sie muss Kompromisse eingehen. Aber ich glaube nicht, dass mein Privatleben völlig anders aussehen würde, wenn ich nicht so oft mit Roger reisen würde.

Beabsichtigen Sie nun, 2016 weniger mit ihm zu reisen?

Nein, wir haben das Jahr im ähnlichen Rahmen geplant wie das vergangene.

Wie verliefen denn nun die ersten Wochen mit Ljubicic?

Es war perfekt, dass er schon vor Weihnachten nach Dubai kam und wir noch einige Tage gemeinsam verbrachten, ehe er erstmals mit Roger alleine war. So hatte er Platz und Zeit, sich zu entfalten. Ich verliess Dubai vor Weihnachten und war danach auch nicht in Brisbane, kam erst wieder zum Australian Open.

Nach Higueras, Annacone und Edberg müssen Sie nun erneut einen neuen Coach in Federers Team einführen. Ist das für Sie nicht mit der Zeit auch mühsam?

So habe ich das nie betrachtet. Das Ziel ist ja, dass Roger Erfolg hat. Von dem her freust du dich, bist positiv. Ich sehe ihn auch als Hilfe, er nimmt mir Sachen ab.

Was unterscheidet Ljubicic speziell von seinen Vorgängern?

Er ist einer, der sich sehr für das Tennis interessiert. Klar, das tut jeder – aber er lebt Tennis, könnte den ganzen Tag Tennis schauen. Ja, er lebt es wirklich. Und es war gut, dass er nach seiner Karriere mit Milos Raonic bereits einen Spitzenspieler betreut hat. Ein grosser Unterschied gegenüber Edberg ist auch, dass dieser lange weg war von der Tour, während Ljubicic bis vor kurzem noch selber spielte. Er ist topmotiviert und auch wesentlich jünger als die meisten Coachs. Zudem spielt er auch noch so gut, dass er jederzeit zum Einspielen oder für ein leichtes Training eingesetzt werden kann.

Sind durch ihn Änderungen in Federers Spielweise zu erwarten?

Roger hat zwar keine Angst vor Veränderungen, das ist eine seiner Qualitäten. Aber der Grat ist schmal: Man darf auch nicht pausenlos etwas ändern wollen, es muss wohlüberlegt sein. Es ist auch ein Risiko, etwas Bewährtes loszulassen.

Wo steht seine Formkurve? Hat ihn die Erkrankung von Brisbane stark aus der Bahn geworfen?

Wir mussten schon schauen, wie wir damit umgehen. Zuerst musste er sich gut erholen, dann durften wir nicht ins Training reinschiessen. Ich finde, er ist wirklich gut erholt und zu hundert Prozent fit. Aber fast wichtiger ist für mich, dass er die Vorbereitungsphase im Dezember und Anfang Januar wie geplant durchziehen konnte. Zwar war Basilaschwili in der ersten Runde kein absoluter Gradmesser, aber Roger hatte den Ball in jener Partie sehr gut auf dem Schläger und ist auch physisch voll da.

Glauben Sie, dass er 2016 wieder einen Majortitel gewinnen kann, oder dürfte erneut Djokovic fast alles an sich reissen?

Ich glaube wirklich fest daran, dass er noch Grand Slams gewinnen kann. Erstens hat er noch Steigerungspotenzial, wird immer noch stärker und ist auch weiterhin bereit, sich zu verbessern. Das stimmt mich positiv. Wenn bei ihm alles zusammenpasst, hat er offensiv mehr Möglichkeiten als alle anderen. Zudem kann aus meiner Sicht Djokovic nicht mehr viel besser spielen als letztes Jahr. Ich wüsste nicht wie. Sein Selbstvertrauen war bei 100 Prozent, und auch physisch war er sehr nahe am Maximum. Hätte er im Wimbledon- und im US-Open-Final nur etwas schwächer gespielt, wäre Roger vielleicht 2015 zweifacher Grand-Slam-Sieger.

Wer kommt für Sie 2016 sonst noch infrage für Grand-Slam-Titel?

Ich sehe keinen Jungen, der schon so weit wäre. Deshalb glaube ich weiterhin an Djokovic, Murray, Nadal, Roger und Stan. Sie alle haben es schon geschafft und bilden eine Gruppe für sich.


Autor:in
René Stauffer, "Der Bund"
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Erstellt: 20.01.2016
Geändert: 20.01.2016
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