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Philipp Steiner aus Rüfenacht: Gehörloser Gold-Olympionike wird Bärnchampion

Philipp Steiner aus Rüfenacht wurde am Wochenende als "Bärnchampion" in der Kategorie Behindertensport ausgezeichnet. Im Chat-Interview mit BERN-OST spricht er über seinen Sport und sein Leben.

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Medaillensegen: Philipp Steiner vor bald einem Jahr in Russland. (Bild: Facebook.com)
BERN-OST: Guten Tag Philipp Steiner, danke, dass Sie sich Zeit nehmen.Sie haben die Auszeichnung "Bärnchampion" bekommen in der Sparte "Behindertensport". Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Philipp Steiner: Das ist natürlich eine Anerkennung meiner Leistung der letzten Saison. Das motiviert einen, weiterzumachen.
 
Sie haben an den letztjährigen Deaflympics [Anm. der Redaktion: Olympische Spiele der Gehörlosen. Deaf = engl. gehörlos] in Russland zwei Silber- und eine Goldmedaille gewonnen. Ist das der grösste Erfolg in Ihrer bisherigen Sportlerkarriere?
Ja, das ist mein grösster Erfolg. Ich habe mich acht Jahre lang darauf vorbereitet. (2011 wurden die Deaflympics in der Slowakei abgesagt, deshalb acht und nicht vier Jahre). Als ich bei der Abfahrt die Goldmedaille holte, war ich am Ziel meiner Träume. Danach war ich mental am Boden. Acht Jahre lang jeden Tag darauf vorbereitet und an einem Tag nach ein paar Minuten Fahrt ist alles vorbei. Das war ein sehr emotionaler Moment.
 
Was war das für ein Gefühl?
Ich hatte alles gegeben, um diese Goldmedaille zu gewinnen. Als ich sie dann holte, also meinen langersehnten Wunsch nach einer olympische Goldmedaille erfüllt war, schrie ich zuerst und dann kamen mir die Tränen vor Erleichtung. Dann kam die Freude. Aber die Freude war leider von kurzer Dauer. Denn es war danach stressig und mein Erfolg war wie schon vorbei.
 
Wie lief die Saison weiter?
Nach den Deaflympics war zugleich Saisonende. Es war Anfang April. Ich fiel dann in eine Krise. Wenn die Deaflympics im Februar stattgefunden hätten, hätte ich die Saison aufgrund grosse Leere beendet.
 
Das klingt traurig. Wie haben Sie die Energie und Freude am Fahren wieder gefunden?
Es dauerte etwa ein halbes Jahr, bis ich wieder ans Skifahren dachte. Erst nach ein paar Skitagen in Saas Fee habe ich langsam meine Freude wiedergefunden. Ich kannte mich zuletzt nicht mehr, denn ich war die letzten Jahren so extrem fokussiert auf diese Goldmedaille. Ich wollte sie um jeden Preis. Ich trainierte verbissen und streng nach Programm, auch wenn ich unmotiviert, lustlos und kraftlos war. Jetzt habe ich wieder Freude am Skifahren. Ich setzte mich selbst nicht mehr unter Druck und höre mehr auf mein Gefühl.
 
Wie läuft diese Saison bis jetzt?
Es ist eine Saison ohne Grossanlass. Darüber bin ich froh. Ich trainiere so, wie ich Lust habe und bestreite die Rennen mit anderen Gedanken als sonst. Ich bin nicht mehr so hart mit mir selbst. Von den Resultaten her hat sich nicht viel verändert, auch wenn ich im Vergleich zu den letzten Jahren weniger trainiert habe. Diese Saison geht es darum, mich besser kennenzulernen.
 
Haben Sie mittelfristig oder langfristig Ziele, die Sie im Sport noch erreichen möchten? Was ist der nächste Grossanlass, der ansteht?
Ich plane nicht mehr langfristig. Ich schaue von Rennen zu Rennen. Aber ein Ziel habe ich: Die Weltmeisterschaft für Gehörlose 2017 in Aspen/USA. Dort möchte ich gerne in der Abfahrt den Titel verteidigen, da ich in Deutschland im Jahr 2013 ebenfalls die Goldmedaille holte.
 
Sie fahren aber auch andere, "normale" Rennen, zum Beispiel letztes Wochenende in Sörenberg.
Ja, ich fahre Regionalrennen von Swiss Ski. Dort hole ich die Rennerfahrungen für Wettkämpfe der Gehörlosen.

Was ist anders beim Sport als Gehörloser?
Das kann man nicht allgemein sagen, das ist bei jeder Sportart verschieden. Beim Skisport muss man viel fühlen. Im Fussball und in anderen Mannschaftssportarten muss man den Kopf hoch halten, sich visuell extrem gross machen, weil man nicht hört, wenn einer schreit, "gib mir den Pass". Beim Tennis muss man mit den Augen genau auf den Ball achten, wie schnell er kommt und ob er dreht. Wir können visuell vieles besser abschätzen.
 
Mit wie alt sind Sie zum ersten Mal auf den Ski gestanden?
Mit drei Jahren. Das war in Mürren.
 
Und wann haben Sie gemerkt, dass Sie gut sind?
Ich erfuhr leider erst mit 15, dass es Wettkämpfe für Gehörlose gibt. Mit 16 fuhr ich erste richtige Rennen. Ich merkte, dass ich grosses Talent habe. Das habe ich von meinem Vater und da bin ich sehr dankbar dafür.

Ist Ihr Vater auch Skirennen gefahren?
Ja, mein Vater hat Leichtathletik gemacht und war Torhüter in verschiedenen Fussballligen. Und er fuhr viele Volksskirennen.
 
Wie haben Sie es mit dem Begriff "Behindertensportler". Stimmt der für Sie oder nervt er?
Das ist ein heikles Thema. Zu diesem Begriff gibt es verschiedene Meinungen. Viele Gehörlose sehen sich als nicht behindert, während ich mich aber als behindert sehe. Denn ich merke täglich, dass ich nicht wie die andern bin. Wenn die Hörenden miteinander sprechen, verstehe ich sie nicht. Wenn ein Film ohne Untertitel ist, verstehe ich ihn nicht. Radio hören kann ich nicht. Lautsprecheransagen verstehe ich nicht. Die Kommunikation ist eine tägliche Herausforderung. Deshalb stimmt für mich der Begriff. Auch wenn ich körperlich gesund bin.
 
Sind Sie gehörlos von Geburt an?
Ja. Die Ärzte wussten die Ursache nicht. Heute könnte man nachforschen, aber es interessiert mich nicht. Denn ändern kann man ja nichts mehr.
 
Wie kommunizieren Sie mit Hörenden? Können Sie die Lautsprache sprechen? Lippenlesen?
Ja ich kommuniziere mit Hörenden mit Lautsprache. Und ich lese von den Lippen ab. Lippenlesen ist aber eine grosse Hürde. Viele Leute sprechen nicht sehr deutlich. Wenn es nicht klappt, gibt es noch die Möglichkeit, zu schreiben, aber das erschreckt die Leute. Manche brechen das Gespräch ab und laufen lieber weg.

Macht Sie das manchmal wütend?
Ja. Es tut mir weh.
 
Gibt es auch andere Leute? Die sich die Zeit nehmen?
Ja natürlich. Das sind vor allem Leute, die weltoffen sind.
 
Haben Ihre Eltern die Gebärdensprache gelernt oder sprecht Ihr Lautsprache?
Wir sprechen in Lautsprache. Klar hätte ich mir gewünscht, dass sie etwas Gebärdensprache können. Aber ich will sie nicht dazu zwingen, sie müssten es auch wollen. Ich bin jetzt 28. Wir sind so aufgewachsen. Und ich bin auch froh, dass ich gut sprechen kann. So kann ich den Alltag gut meistern.
 
Wo und was arbeiten Sie?
Ich arbeite 100 Prozent als Sanitärmonteur in Bern bei der Firma Böhlen AG.
 
Wo haben Sie die Lehre gemacht? Haben Sie die normale Berufsschule besucht?
Ich habe die Lehre ebenfalls bei der Böhlen AG gemacht. Ich bin meinem Chef extrem dankbar, dass er an mich glaubte und dass er mir die Chance gab. Er gab mir die Lehrstelle sofort. Und jetzt mit dem Skisport unterstützt er mich auch gewaltig. Ich schätze meinen Chef sehr. Auch als ich in der Krise war, war er voll für mich da. Er ist ein Chef mit einem grossen Herz! Es gibt eine Berufsschule für Gehörlose in Zürich-Oerlikon. Dort ging ich hin.
 
Sie sind in Konolfingen aufgewachsen. Wo sind Sie zur Schule gegangen?
Ich ging in Münchenbuchsee in die Sprachheilschule. Dort war ich mit anderen gehörlosen Kindern zusammen. Danach ging ich für drei Jahre nach Zürich in die Sekundarschule für Gehörlose.
 
Wohnen Sie immer noch in Konolfingen?
Nein, ich zog vor vier Jahren zuhause aus und lebte drei Jahre mit meiner damaligen Freundin in Münsingen. Jetzt wohne ich alleine in Rüfenacht.
 
Momentan haben Sie keine Freundin?
Doch. Meine Freundin wohnt in Österreich und ist ebenfalls Skirennfahrerin. Wir haben eine Fernbeziehung. Wir sind sehr glücklich zusammen.
 
Ich habe Sie alles gefragt, was ich wollte. Habe ich etwas vergessen, das Ihnen wichtig ist?
Ich möchte meinen Sponsoren herzlich danken für ihre grossartige Unterstützung und dass sie an mich glauben. Es ist nicht selbstverständlich, weil Gehörlosensport noch unbekannt und in den Medien nicht so verbreitet ist. Mein Kopfsponsor sind die Bergbahnen Meiringen-Hasliberg. Weitere Sponsoren sind die Brändli Stiftung, Alic+Pfeiffer, Odd Follows, Salomon, Uvex, Leki und ein paar Privatpersonen sowie Verwandte.

Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
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Erstellt: 17.03.2016
Geändert: 17.03.2016
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