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Enggistein - "Sehr oben" in den Bergen

Quelle
Berner Zeitung BZ

Spendengelder machten es möglich: Flüchtlingskinder aus dem Durchgangszentrum Enggistein durften auf ihre erste Schulreise. Sie verbrachten den Freitag am Oeschinensee im Berner Oberland – und waren überwältigt von den Eindrücken.

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Los gehts! Flüchtlingskinder aus Enggistein gehen auf ihre erste Schulreise. Ursula und Bernhard Krebs haben dafür im Dorf Geld gesammelt. (Bild: Urs Baumann)
Sie heissen Rasul, Mohammed oder Lavinya. Ihre Heimat ist Syrien, Afghanistan, Eritrea und der Irak. Aber am vergangenen Freitag spielten weder Herkunft noch erlebte Ängste eine Rolle. Da wurde gemeinsam gelacht, gespielt oder die grandiose Bergwelt bestaunt.

Ursula und Bernhard Krebs freuen sich über den Ausflug, der aufgrund ihres Einsatzes zustande kam. Sie wohnen direkt neben dem Schulhaus in Enggistein. Seit mehreren Jahren engagiert sich Ursula Krebs in der regulären Klasse und betreut freiwillig als Seniorin einzelne Kinder der Gesamtschule. Dabei beobachtete sie das Kommen und Gehen der Flüchtlingskinder aus der Kollektivunterkunft, die in drei Gruppen in speziellen Deutschklassen ebenfalls im Schulhaus unterrichtet werden. Und sie beschloss, etwas für die zum Teil traumatisierten Kinder zu unternehmen.

Grosszügige Spenden

«Als ich erfuhr, dass die Kinder aus dem Durchgangszentrum kein Geld für Ausflüge oder gar für eine Schulreise hatten, wollte ich ihnen einen Ausflug in ihre neue Heimat ermöglichen», erinnert sich Ursula Krebs. Sie klärte ab, ob sie im Dorf auf eigene Faust auf Geldsuche gehen dürfe. Danach wagte sie den Gang von Haus zu Haus, um ihr Anliegen zu schildern. «Es brauchte Mut, auch bei wildfremden Menschen zu klingeln», sagt sie.

Umso mehr erfreute sie die Spendebereitschaft der Dorfbewohner: Nach knapp zwei Tagen hatte sie bei den rund 400 Einwohnern des Worber Ortsteils Enggistein über 1500 Franken gesammelt und auf ihr Vorhaben zum grössten Teil positive Reaktionen erhalten. «Ich war überwältigt von der Toleranz und der Grosszügigkeit, die sich zum Teil auch auf befreundete Kreise in Biglen oder Worb ausweitete.»

Ogi ins Boot holen

Gemeinsam mit den Lehrkräften wählte man den Oeschinensee im Berner Oberland als Ziel einer ersten Schulreise aus. Die Regelklasse mit Lehrerin Anna Barbara Liebe entschloss sich spontan, ihre Schulreise ebenfalls dorthin zu planen und so vielleicht den ausländischen Schülern Ängste vor der Reise ins Unbekannte zu nehmen.

Bernhard Krebs seinerseits hatte die Idee, Alt-Bundesrat Adolf Ogi über die Reise in dessen Heimat Kandersteg zu informieren und seine Unterstützung für das Projekt zu gewinnen. «Per Mail erfuhren wir dann, dass dessen Stiftung ‹Freude herrscht› sich an den Reisekosten beteiligen wird», sagt Krebs.

Beeindruckende Berge

Nun ging es darum, die Vier- bis Fünfzehnjährigen auf den Ausflug vorzubereiten. Mit Bildern zeigte zum Beispiel Lehrerin Ana Aerni den Jüngsten, was sie am Ziel erwarten würde. «Nicht schwimmen», war die erschreckte Reaktion beim Anblick des Oeschinensees. Anja Vazquez und Rahel Farine versuchten ihrerseits, das Rodeln zu erklären oder die Fahrt mit der Gondelbahn.

Aber am Freitag reagierten die Schüler trotz der Vorbereitung überwältigt von den neuen Eindrücken. Der 7-jährige Rasul aus Afghanistan verfolgte mit grossen Augen den Ausblick aus der Gondelbahn auf die umliegenden Berggipfel und den Abgrund unter seinen Füssen. «Sehr oben», kommentierte er auf Deutsch und zeigte auf die Bergstation.

Die zwei Fahrten auf der Rodelbahn brachten dann sogar die coolsten Jugendlichen zum Lachen. Das Fazit von Bernhard Krebs an der Brätlistelle und beim Anblick der spielenden Kinder fällt positiv aus: «Freude herrscht!»

Autor:in
Kathrin Schneider, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 30.05.2016
Geändert: 30.05.2016
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