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100 Jahre Emmi Siegenthaler: Mit fast 95 noch per Schlitten ins Altersturnen
Emmi Siegenthaler aus Linden feiert heute Freitag im Altersheim Oberdiessbach ihren 100. Geburtstag. Damit blickt sie auf ein ganzes Jahrhundert zurück. Und auf ein Leben mit Höhen und Tiefen, ein Leben vor allem, in dem sie viel arbeitete und fast ständig in Bewegung war.
Am 27. September ist es genau 100 Jahre her, seit Emmi Wüthrich in Linden zur Welt kam. Dort wuchs sie in einem bescheidenen Heimetli als Einzelkind auf und dort wohnte sie sehr viele Jahre. Heute blickt sie auf ein langes Leben zurück. Müsste ihre Schwiegertochter Elsbeth Siegenthaler ein Motto finden für das Leben der alten Dame, kommt ihr ganz spontan ein Begriff in den Sinn: «Bewegung, Bewegung, Bewegung.»
Kaum je am Stillsitzen…
Sie überlegt. Höchstens an Sonntagen habe sie ihre Schwiegermutter ganz gemütlich bei einem Kaffee stillsitzen sehen, sagt sie dann. «Ansonsten war sie immer unterwegs, und wenn sie einmal in ihrem Stuhl sass, war sie eifrig am Stricken.» Ihre Pullover, Mützen, Strumpfhosen und Socken seien im Dorf beliebt gewesen. Und das Stricken – später lernte sie auch Kunststricken – sei nicht nur Emmi Siegenthalers grosse Leidenschaft gewesen, sondern habe ihr einen willkommenen Zuverdienst ermöglicht.
…schon seit Kindheit
«Als einziges Kind musste sie immer streng arbeiten und überall mit anpacken», weiss Elsbeth Siegenthaler von ihrer Schwiegermutter. Erst recht, als ihr Vater in den Kriegsjahren an die Front geschickt wurde. «In dieser Zeit betreuten sie und ihre Mutter auf dem bescheidenen Heimetli eine Handvoll Kühe, ein paar Hühner und einen grossen Gemüsegarten.» Die Wäsche wuschen sie, wie das zu dieser Zeit so üblich war, im Waschtrog, den sie zuerst einfeuern mussten.
Hochzeit im Heimetli…
1946 heiratete Emmi Wüthrich den Melker Alfred Siegenthaler, und im Lauf der Jahre bauten sie schrittweise zusammen das Heimetli aus. Als aber 1948 Sohn Alfred und ein Jahr später Sohn Peter zur Welt kamen, war das Heimetli viel zu klein, um der Familie mit den zwei Buben eine Existenz zu bieten.
…und schon wieder viel Arbeit
«So ging Emmis Mann einer Arbeit auf dem Bau nach, und Emmi strickte neben der Arbeit auf dem Hof für die Leute im Dorf», erzählt Schwiegertochter Elsbeth Siegenthaler. Auch damals sei ihre Schwiegermutter stets in Bewegung gewesen: «Sie ging bei anderen Leuten putzen und waschen, um so etwas dazuzuverdienen.»
Mit der Schwiegermutter im Haus...
Elsbeth Siegenthaler zeichnet ein lebhaftes Bild von ihrer Schwiegermutter. Das kann sie, denn sie kennt die alte Dame bestens: 1972, als sie deren jüngeren Sohn Peter heiratete – er ist vor zwei Jahren verstorben – zog sie als junge Frau zu den Siegenthalers ins Heimetli. «Anfangs wohnten wir sogar im gleichen Haushalt», erzählt sie.
…war es nicht immer nur einfach
Elsbeth Siegenthaler lacht ein wenig und gesteht: «Ganz einfach war das für mich als junge Frau nicht immer, so eng mit den Schwiegereltern zusammenzuwohnen.» Besonders, weil ihre Schwiegermutter so arbeitsam und immer in Bewegung war: Sie half nicht nur den Leuten im Dorf im Haushalt, sondern packte auch in der Küche des Restaurants Kreuz tatkräftig mit an.
Tannzapfengärtchen…
Dann aber erzählt sie auch, wie ihre Schwiegermutter mit ihren drei Enkeltöchtern spazieren ging und im Wald liebevoll mit ihnen Häuschen und Gärtchen aus Tannzapfen baute. Oder wie sie bei Schlechtwetter mit ihren insgesamt fünf Enkelkindern fröhlich Brettspiele spielte.
…und Schicksalsschläge
In den 80er-Jahren erlebte die Familie jedoch schwere Momente: 1980 übergaben die Eltern Siegenthaler das ausgebaute und inzwischen ziemlich stattliche Bauernhaus an ihren Sohn Peter und seine Familie und zogen sich in die untere Wohnung zurück. Das Glück dauerte nicht lange: «Schon ein Jahr später schlug der Blitz ein und der Hof brannte komplett nieder», erinnert sich Elsbeth Siegenthaler.
Tiere gerettet…
Die Grosseltern und die Familie mit den drei Töchtern, damals 9, 7 und 5 Jahre alt, mussten für ein ganzes Jahr bei Freunden und in Notunterkünften Unterschlupf suchen, bis das Haus wieder aufgebaut war. «Immerhin wurden alle Tiere gerettet und niemand von uns kam zu Schaden», sagt Elsbeth Siegenthaler dankbar.
…und Freude am Altersturnen
Ein paar Jahre später, 1987, starb Alfred Siegenthaler und liess Emmi als Witwe zurück. Diese liess sich davon nicht bremsen, arbeitete viel und war weiterhin flink unterwegs. «Mit Mitte 50 begann sie, regelmässig ins Altersturnen zu gehen», erzählt Elsbeth Siegenthaler. «Es gefiel ihr gut, andere Leute zu treffen, und es kam vor allem ihrem Bewegungsdrang sehr entgegen.»
Mit Schwung bis zum Dorfbrunnen…
Die anderthalb Kilometer ins Dorf habe Emmi Siegenthaler noch bis vor fast fünf Jahren bestens gemeistert: «Entweder ging sie zu Fuss oder sie sauste mit dem Schlitten ins Dorf.» Ja, tatsächlich, da staunte sogar Elsbeth Siegenthaler ein wenig über ihre Schwiegermutter: «Ihre letzte Schlittenfahrt machte sie mit fast 95 und freute sich, dass sie es in einem Schwung bis zum Dorfbrunnen geschafft habe.»
…und die Knie bis zur Nase
Dementsprechend sei sie auch als Urgrossmutter ausgesprochen fit gewesen und habe mit ihren insgesamt acht Urgrosskindern immer noch fröhliche Spaziergänge unternommen. Elsbeth Siegenthaler muss ein wenig schmunzeln: «Ich weiss nicht, wie sie das geschafft hat», sagt sie dann, «aber sie war immer so beweglich, dass sie noch im hohen Alter ihre Knie locker bis zur Nase hochheben konnte!»
Dann wurde sie wackelig…
Emmi, das Energiebündel also, auch mit weit über 90. Dann aber wendete sich ihr Weg: Kurz vor ihrem 95. Geburtstag stürzte Emmi Siegenthaler im Heimetli unglücklich. Zuerst nur einmal, und der Sturz verlief dank ihrer Beweglichkeit ziemlich glimpflich. Dann aber bereitete ihr das Gehen zunehmend Mühe, und die Stürze häuften sich.
…und die Familie machte sich Sorgen
Und vor allem machte sich Schwiegertochter Elsbeth Siegenthaler zunehmend Gedanken. Das Problem seien nicht nur die Stürze gewesen: «Ausserdem wurde sie auch immer verwirrter, und ich hatte Angst, dass ihr etwas passiert, während ich schlafe oder unterwegs bin.» Die Sorge, dann würde die alte Frau hilflos liegenbleiben, habe die Familie bewogen, ihr den Eintritt ins Altersheim nahezulegen.
Mit dem Rollstuhl im Altersheim…
Nach anfänglichem Zögern habe sich Emmi Siegenthaler einverstanden erklärt, und inzwischen lebt sie schon seit fünf Jahren im Altersheim Oberdiessbach. Sie habe sich dort gut eingelebt, sagt ihre Schwiegertochter. «Bis vor nicht allzu langer Zeit war sie auch dort ständig unterwegs, zuerst mit dem Rollator, dann mit dem Rollstuhl.»
…und inzwischen schlafend
Mittlerweile schlafe sie allerdings sehr viel, auch tagsüber sei sie nur noch selten wirklich wach. Ihre Schwiegertochter und die nahen Familienmitglieder erkenne sie zwar immer noch gut. Aber ob die Jubilarin mitbekommt, dass sie am 27. September 2024 ihren 100. Geburtstag feiert, bezweifelt Elsbeth Siegenthaler.
«Vielleicht freut sie sich»
Und auch für diesen Beitrag hat Emmi Siegenthaler nicht persönlich Auskunft gegeben. «Aber ich werde ihr den Artikel trotzdem zeigen», verspricht ihre Schwiegertochter: «Vielleicht realisiert sie das trotzdem und freut sich darüber.»
Erstellt:
27.09.2024
Geändert: 27.09.2024
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