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Andrea Ramseyer: "Mit Tieren reden und sie verstehen"

Mit Leichtigkeit schwingt sich die 21-jährige Oberdiessbacherin im Stall und auf dem Feld von Aufgabe zu Aufgabe und scheut sich nicht vor grossen Traktoren.

Andrea Ramseyer im Stall ihres Lehrbetriebs in Essertines-sur-Yverdon VD. "Am Anfang habe ich kein Wort verstanden, jetzt geht es ganz gut", sagt die 21-jährige Bernerin aus Oberdiessbach. (Bilder sjh)
Die 21-Jährige Bernerin im Laufstall des Lehrbetriebs in Essertines-sur-Yverdon, Kanton Waadt.
Die Herde wird auf die Weide gelassen und Andrea Ramseyer kontrolliert die 75 Holsteinkühe dabei.
Die Arbeit mit den Kühen und Maschinen gefällt der angehenden Junglandwirtin sehr.
"In fünf Jahren? Bin ich ganz sicher in der Landwirtschaft."

Das technische Geschick der angehenden Junglandwirtin wird beim Besuch auf dem Lehrbetrieb in Essertines-sur-Yverdon VD schon früh einer Probe unterzogen. Stellt sich heraus, dass ein zentrales Stück des Stativs offenbar in der Redaktion unterge-gangen ist und es nicht bis zuden geschwungenen Vorhügeln Yverdons geschafft hat.

 

"Soll ich Kabelbinder holen?", fragt Andrea Ramseyer, die das Problem schnell erkennt. Zurück joggt sie mit einer Handvoll schwarzer Kabelbinder und einer Zange. Problem solved. Den Staub des Tennbodens von den Knien wischend, macht sich Andrea Ramseyer bereit für das Interview mit der BauernZeitung. Auch den Stuhl staubt sie kurz ab und platziert ihn schwungvoll auf dem Futtertisch im grossen Stall, wo zurzeit 75 Holsteinkühe, einige Kälber und ein Stier zu Hause sind.

 

Wiederkäuende Freundinnen

Links und rechts von ihr stossen dann schon bald ihre schwarz-weissen und wiederkäuenden Freundinnen dazu, die auf ihre Art und Weise zum Interview beitragen. "Bisch du stierig?", fragt sie eine der Kühe, die gerade ihren Kopf in die Höhe streckt und ihre Oberlippe rollt. "Das kann eigentlich nicht sein, gell", beantwortet sie die Frage selbst, und weiter gehts im Interview mit der Frage, wo sich Andrea Ramseyer in fünf Jahren sieht. "Ganz sicher in der Landwirtschaft", sagt sie bestimmt und fügt hinzu, dass sie vielleicht einmal den Mutterkuhbetrieb ihrer Eltern in Oberdiessbach BE übernehmen könnte.

 

Wieder macht sich eine der Kühe am Futtertisch bemerkbar, nuckelt an der Stuhllehne von Andrea Ramseyer und leckt ihre Jacke ab. Unkompliziert und ohne eine Miene zu verziehen zieht Andrea Ramseyer den Stuhl etwas weiter nach vorne und erklärt, warum sie sich für die Ausbildung zur Landwirtin entschieden hat.

 

"Nach meiner Ausbildung zur tiermedizinischen Praxisassistentin verbrachte ich ein halbes Jahr in Neuseeland, wo ich auf einer Farm gearbeitet habe. Dort hat mich die Idee, selbst Landwirtin zu sein, richtig gepackt".

 

Zeit für den Kontrollblick

Es ist elf Uhr und Zeit, die ungeduldige Herde auf die Weide zu lassen. Andrea Ramseyer öffnet das Tor und raus strömen die Kühe an der Lernenden vorbei. "Ich stehe jeweils am Ausgang und kontrolliere gleichzeitig die Kühe. Diesen Moment kann ich nutzen, um zu schauen, ob eine stierig ist und ob sonst alles in Ordnung ist", erklärt sie.

 

Die junge Frau hat den Stall, die Kälber, Rinder und Kühe offensichtlich im Griff. Sie folgt der letzten Kuh hinaus auf die Weide und klettert für den Kontrollblick auf einen Schutthaufen neben der Weide. Zurück im Stall versorgt sie mit dem Heukran gekonnt eine überflüssige Quaderballe. Danach hüpft sie auf den Hoflader. Eine schwarze Wolke stösst beim Motorstarten aus dem Auspuff und die Maschine beginnt zu röhren. Ein grobes Gefährt, im Vergleich zur jungen Landwirtin auf dem Fahrersitz. Das scheint Andrea Ramseyer aber nicht zu irrit-ieren. Auch die Berufsschule, die sie zweisprachig meistert, scheint sie auf die leichte Schulter zu nehmen. "Am Anfang habe ich kein Wort verstanden. Mittlerweile gehts aber ganz gut", resümiert sie mit bescheidenem Ton.

 

Lock-Rüebli? Uninteressant

Wenn sie nicht am Heu verladen, Melken oder Lernen ist, verbringt sie ihre Freizeit gerne auf dem Pferd, Ski oder Motorrad. "Ich reite, seit ich elf Jahre alt bin", erzählt sie. Das Springreiten musste die junge Frau wegen der Lehre aber vorübergehend auf Eis legen. "Nächstes Jahr werde ich dieser Leidenschaft vielleicht wieder nachgehen können".

 

"Ich zeige dir jetzt noch meinen Liebling, Charlotte", fährt Ramseyer fort. Die Gedanken an ihre zurzeit ferne Lieblingsbeschäftigung scheinen fast verflogen zu sein. Sie kniet vor einer schwarzen Kiwicross-Kuh mit auffälligem weissem Fleck auf der Stirn auf den Boden. Die auffällige Kiwicross ist eine Kreuzung aus einer Jersey-Kuh und einem Holstein-Stier. "In Neuseeland habe ich nur solche Kühe gemolken. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell wieder einer Kiwicross über den Weg laufe", lächelt sie und krault Charlotte zwischen den Ohren. "Sie ist eine liebe und verspielte Kuh", erklärt Andrea Ramseyer mit ein paar Lock-Rüebli in der Hand. Diese scheinen Charlotte aber wenig zu beeindrucken. Stattdessen schnaubt sie wild im Heu und schiebt Andrea Ramseyer mit ihrem Kopf zur Seite. Verspielt scheint der schwarz-weisse Liebling von ihr allemal zu sein. Sie lacht leise vor sich hin, zieht ihre Jacke zurecht und macht sich vom Futtertisch davon. Auf, zur nächsten Aufgabe einer engagierten Landwirtin.

 

Steckbrief

Name: Andrea Ramseyer

Alter: 21 Jahre

Zuhause: In Oberdiessbach BE

Ausbildung: Im zweiten Lehrjahr in der Zweitausbildung zur Landwirtin in Essertines-sur-Yverdon

 

5 Kurzinfos

Diese Superkraft würde ich mir wünschen: Mit Tieren kommunizieren und sie verstehen.

Meine Lieblingstiere: Pferde, Hunde. Neu auch Kühe.

Mein Lieblingsessen: Rösti, Bratwurst, Bratensauce. 

Meine Lieblingsarbeit: Das Abkalben begleiten.

Das mache ich weniger gern: Tiere verladen für zum Schlachter – gehört aber dazu.

 

[i] Dieser Artikel erschien im Erstabdruck in der BauernZeitung. Die BauernZeitung kürt den "Lehrling des Jahres 2021": Seit Mitte April wurden wöchentlich zwei der zehn Finalistinnen und Finalisten in der BauernZeitung vorgestellt, darunter Andrea Ramseyer aus Oberdiessbach. Am 14. Mai ist das Leser:innenvoting gestartet, mit dem der "Lehrling des Jahres 2021" gewählt wird. Das Voting läuft noch bis am 31. Mai 2021.


Autor:in
Sera Hostettler, BauernZeitung
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Erstellt: 22.05.2021
Geändert: 22.05.2021
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