- Kultur
Bolligen - Zu Besuch beim Chronisten
Was bleibt, wenn ein Leben gelebt ist? Geschichten. In seinem neuen Buch hat Bruno Maurer die Erinnerungen an das Bolligen vergangener Tage gesammelt.
Bolligen an einem kalten Maimorgen. Im Kreisel rollt der Verkehr. Menschen verlassen das Dorf, fahren durch, kehren heim. Bolligen ist ein wilder Mix aus Alt und Neu, aus Blöcken und Denkmalschutz, ist, wo die Hauptstadt ausfranst, die Agglo halt. Mit dem Dorf aus Bruno Maurers Kindheit hat es nur noch wenig gemein. Gerade deshalb setzt der Mann viel daran, die Erinnerungen daran zu bewahren.
Maurer ist ein «Ur-Bouiger» und seit Jahren so etwas der inoffizielle Chronist der Gemeinde. Er schrieb etwa über den Schwingklub Worblental, unterzog Friedrich Schillers «Lied der Glocke» einer «zeitkritischen Betrachtung» und porträtierte bekannte Bolliger Persönlichkeiten, darunter die Frauenrechtlerin Marthe Gosteli und Hans Bangerter, den ersten hauptamtlichen Generalsekretär der Uefa.
Nun liefert der 74-Jährige mit «Gschichte vo früecher» die Erinnerungen seiner eigenen Generation an eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Das Werk ist keine historische Abhandlung, vielmehr ein intimer Blick zurück: 31 Episoden, geschrieben von langjährigen Weggefährten, Schulkolleginnen und von Maurer selbst. Den «Kindern der Kriegs- und Nachkriegsjahre», wie er sie selbst nennt.
Als man sich noch kannte
Die Autorinnen und Autoren erzählen, wie das damals war, Mitte des letzten Jahrhunderts, als Bolligen noch ländlicher, überschaubarer und, ja, auch einfacher war. Ihre Geschichten handeln von weissen Wintern, die den Namen noch verdient hatten. Vom Unterricht im Flugbrunnenschulhaus und davon, wie das «Blaue Bähnli» vom «Mandarinli» abgelöst wurde.
Eine Bolligerin berichtet vom Feuer im «Kuenzhus», in dem sie die ersten zehn Jahre ihres Lebens verbracht hatte. Und davon, wie ihr die Ruine als rauchendes, verkohltes Ungeheuer in Erinnerung blieb und der Brand letztlich am Anfang von grundlegenden Veränderungen im Niederdörfli stand.
Es sind Geschichten aus allen Ecken der Gemeinde und Zeugnisse einer Zeit, als die Strassen im Dorf nicht geteert und der motorisierte Verkehr spärlich waren. Als man sich im Dorf noch kannte.
Loslassen
Bruno Maurer ist ein ausserordentlich höflicher Mensch mit tiefer Stimme und exakt getrimmen Schnauz. Gäste holt er im Treppenhaus ab. Dann sagt er: «Ich darf kurz vorausgehen, wenn Sie mir bitte folgen möchten.» In der grosszügigen Wohnung im Zentrum von Bolligen zeugen etliche Details von seinem Faible für das Vergangene: Bilder mit Musketenschützen, eine kleine Bibliothek - ausnahmslos historischer Fachliteratur und Belletristik. Früher sammelte er militärische Kopfbedeckungen. Über 700 Exemplare hatte er beisammen, Helme, Hüte, Berets.
Im letzten Jahr hat er sie «liquidiert», also weiterverkauft. Das sei seine «Pflicht» gewesen. Er wollte weder seine Frau noch seine beiden Töchter damit belasten, sollte ihm «etwas passieren». Also hat er losgelassen. Relativ unsentimental.
Den Wandel miterlebt
Maurer hält es ganz ähnlich mit dem Dorf, in dem er einst gross geworden ist. Er trauert ihm nicht nach, nur richtig in Erinnerung soll es bleiben. «Das Bouige meiner Kindheit, war ein Bauerndorf», sagt er. Natürlich schwingt da auch Nostalgie mit. Aber Maurers Motivation war es nicht, in der Vergangenheit zu schwelgen. Es lohne sich Begebenheiten aufzuschreiben, positive wie negative, erklärt er. Gerade in dieser rasenden Zeit.
In der Schule hat Bruno Maurer die Jahrzahlen der grossen Schlachten auswendig lernen müssen. Er fragte sich: «Aber was passierte zwischen diesen Schlachten?» Seine Grosseltern hat er nie wirklich gekannt. Und er wollte wissen: «Was waren das für Menschen?» Ihn interessieren zeitlebens die kleinen Geschichten, aus deren Summe die grossen Zusammenhängen werden. Wenn er also sagt: «Meine Enkel sollen wissen, wie das früher war - wenn es sie denn eines Tages interessiert.» Dann soll es ihnen helfen, die Welt wie sie heute ist, zu verstehen.
Denn Maurer hat den Wandel miterlebt. Seine Generation hat die Globalisierung endgültig entfesselt. Er selbst arbeitete ein Leben lang für die Bank, zuerst in Bern, dann in Lausanne und irgendwann auch in London. Und während die Welt da draussen immer kleiner wurde, kannte in Bolligen irgendwann nicht mehr jede jeden. «Früher war nicht alles besser», sagt Maurer. «Nur anders.»
Erstellt:
22.05.2019
Geändert: 22.05.2019
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