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Die Rare in der Aare

Quelle
Der Bund

Was ist bloss mit der Bachforelle los? Der Fischer Kurt Wyss weiss es nicht. Die Gründe seien «extrem vielschichtig». In der Aare wird der Fisch kaum mehr gefangen, obschon Abertausende ausgesetzt werden.

Kurt Wyss hat die Angel an der Aare bei Münsingen ausgeworfen. (Foto: Adrian Moser)

Nach einer halben Minute ist klar: Dieser Mann hat eine ganz andere Beziehung zur Aare als all jene, die ab und zu im Gummiboot von Thun nach Bern paddeln. Oder sich freuen, wenn das Wasser so richtig warm wird. «Eine 20 Grad warme Aare? Das ist Stress pur für Forellen», sagt Kurt Wyss. Er sitzt am Tisch einer Brätlistelle beim Schwimmbad Münsingen und erzählt. Der Morgen ist noch frisch.

 

Nebst Familie und Beruf sei Fischen sein Lebensinhalt, sagt der 51-Jährige, der in Münsingen aufgewachsen ist und in Uttigen wohnt. Fischen sei mehr als ein Hobby. Es sei «das ganze Paket», das ihn erfülle: die Tiere, die Natur, alles, was man dabei lernen könne, die Kameradschaft im Verein und schliesslich – das Adrenalin: Wenn er einen Fisch an der Angel habe, spüre er so etwas wie einen «ursprünglichen Jagdtrieb».

 

«Die meisten fangen keine mehr»

Das Problem ist nur: Viel zu fangen gibt es in der Aare nicht mehr. Bei Bachforellen oder Äschen seien die Erträge «nicht bloss ein bisschen zurückgegangen, sondern dramatisch», sagt Wyss.

 

Die wirklich guten Zeiten waren zwar schon vorbei, als er ein Bub war. 1971 war vom Industrieareal Selve in Thun Gift in die Aare gelangt; im Gedächtnis geblieben ist dieser Vorfall als «die grosse Selvevergiftung». Der Bestand der Bachforelle, die im Aaresystem als ökologischer Leitfisch gilt, wurde vernichtet und hat sich seither nie mehr ganz erholt. Immerhin habe er früher pro Jahr noch eine Handvoll Bachforellen aus der Aare gezogen, sagt Wyss. «Heute fange ich noch eine oder zwei – wenn es hoch kommt. Die meisten fangen keine mehr.» Noch frustrierender als das sei aber die Tatsache, dass alle Massnahmen kaum etwas nützten.

 

Wyss, der bei der Swisscom arbeitet und sich für den Kanton als nebenamtlicher Fischereiaufseher betätigt, spricht von einer Unmenge an Freiwilligenarbeit, die all die Mitglieder von Fischereivereinen leisten. Allein sein Verein, der Fischereiverein Aaretal Münsingen, setze jährlich bis zu 40 000 junge Bachforellen aus. Den Bestand zu stützen, sei einer der Schwerpunkte des Vereins.

 

Nur brechen die Bestände trotzdem ein. Das zeigt ein Blick in die Fangstatistiken, die auf der Website des Kantons zu finden sind: Von 1989 mit 70 000 Fängen im ganzen Kanton ging es mit den Bachforellen immer bergab auf mittlerweile unter 20 000. Bei anderen Fischarten wie den Barben blieben die Quoten stabil. Bei den Felchen stiegen sie sogar an, und zwar beträchtlich.

 

Viele Fischer weichen aus

Aus Wyss’ Perspektive bietet die Statistik keinen erfreulichen Anblick. In der Aare zwischen Thun und Bern würden jährlich noch ein paar Hundert Bachforellen gefangen. «Ungefähr gleich viele wie in einem mittleren Bergbach», sagt er. Viele Fischer verlören darob die Lust am Aarefischen und wichen aus, etwa an den Thuner- oder den Bielersee.

 

Die Ursache des Fischrückgangs sei «extrem vielschichtig», betont Wyss. Er spricht von Kläranlagen, welche nicht alle Schadstoffe aus dem Wasser entfernen könnten, von Pestiziden, der Klimaerwärmung, von Kormoranen und Gänsesägern, die den Bachforellen auf den Leib rückten, und vom gestörten Kiesnachschub. «Das Problem ist, dass hier an der Aare gleich alle Faktoren auftreten», sagt er. Und all diese Themen würden von Fischern und anderen Sachverständigen selbstverständlich sehr kontrovers diskutiert.

 

«Warum? Man weiss es nicht»

In all den Jahren habe man mehrfach Massnahmen getroffen – und immer wieder kleine Fische ausgesetzt. Doch viel zu wenige von ihnen würden gross. «Warum?», fragt Wyss und gibt die Antwort gleich selber: «Man weiss es nicht.» Dem Forschungsprojekt der Universität Lausanne, an dem sich die Fischer beteiligen sollen (siehe Text unten), steht Wyss deshalb positiv gegenüber. So könne womöglich die Frage geklärt werden, ob es überhaupt etwas bringe, jahrein, jahraus derart viele Jungfische auszusetzen. Wyss ist klar, dass es «dramatische Folgen» für die heutige Besatzpolitik hätte, wenn die Antwort auf diese Frage Nein lauten sollte. In diesem Fall müssten sich auch die Fischereivereine ganz neu orientieren.

 

Der nebenamtliche Fischereiaufseher macht sich die gleichen Gedanken wie die Evolutionsbiologen: Wenn die Voraussetzungen gegeben wären, dass die Fische sich natürlich fortpflanzen könnten, wäre es für die Larven von allem Anfang an möglich, sich an die Verhältnisse in der Aare anzupassen. «Aber eben», sagt Wyss und blickt auf den Fluss hinaus: «Dafür müsste vieles stimmen.»

 

Mehr Bilder von der Aare und über das Forschungsprojekt der Universität Lausanne forelle.derbund.ch


Autor:in
Dölf Barben, Der Bund
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Statistik

Erstellt: 29.06.2018
Geändert: 29.06.2018
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