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Dokumentarfilm: Innere Sachen

Quelle
Berner Zeitung BZ

Die Emmentaler Filmemacherin Brigitte Zürcher zeigt in «Funktionieren» auf, wie es ist, wenn man nicht mehr funktioniert. Ihr so stiller wie starker Film über psychische Probleme wühlt auf.

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Licht und Schatten im Zweikampf: Für eine manisch-depressive Patientin fühlt es sich an, als müsste das Leben angehalten werden. (Fotos: PD)
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Filmemacherin Brigitte Zürcher
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Medikamente absetzen? Kritik an der Psychopharmaka-Gläubigkeit.
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Im Tunnel: Blick in die geschlossene psychiatrische Klinik.
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Eine atomare Katastrophe. Erika Bodenwinkler Giacometti glaubt, dass sie wirklich passiert ist. Nur sie weiss davon. Ein paar wenige andere Menschen wissen es auch. Aber niemand spricht darüber, niemand warnt irgendjemanden davor. Beklemmend ist das, furchtbar beklemmend. So beklemmend wie das «Rieseln», das die Frau hört, wenn sie ein Kabel sieht. Oder eine Stromleitung.

Bodenwinkler Giacometti schildert im Film «Funktionieren» sehr plastisch, wie es ihr geht, wenn es ihr schlecht geht. Wenn sie eine manisch-depressive Phase durchmache, fühle sich das an, als müsste ihr Leben angehalten werden. «Eine Starre» nennt sie es.

Selbstmordprogramm

In «Funktionieren», dem ersten Dokumentarfilm der 38-jährigen Bowilerin Brigitte Zürcher, sprechen Betroffene, Angehörige und Fachpersonen über «innere Sachen», wie es eine der Protagonistinnen ausdrückt – über jene gesundheitlichen Probleme also, für die es keine Schublade gibt wie für einen Armbruch oder eine Lungenentzündung.

Eines ist den Helden dieses Films gemein: Sie stehen der Behandlung von psychischen Erkrankungen mit Medikamenten kritisch gegenüber. Als «Selbstmordprogramm für die Hirnzellen» etwa bezeichnet der bekannte deutsche Psychiatriekritiker Peter Lehmann die Langzeiteinnahme von Psychopharmaka. Der Basler Psychiater Piet Westdijk sagt, eine Depression sei keine Krankheit, sondern ein Ausdruck von Gefühlen, die nur mit einer Therapie entwirrt werden könnten.

Er erzählt die Geschichte jenes Mannes, der Probleme mit seinem Chef hatte und nie mit ihm darüber sprach. Er wurde trauriger und trauriger, wollte nicht mehr zur Arbeit gehen. Irgendwann ging er zum Arzt, der eine schwere Depression diagnostizierte. Er wurde krankgeschrieben, buchstäblich. Er nahm Medikamente, die die schlechten Gefühle dämpften. Aber besser ging es ihm damit nicht.

Westdijk fragt nun, was passiert wäre, wenn der Arzt dem Mann gesagt hätte, er solle die Probleme mit seinem Chef ansprechen. Als Zuschauer fragt man sich das Gleiche. Man kommt ins Grübeln. Und man kommt noch mehr ins Grübeln, wenn man Experten sagen hört, es gebe psychische Krankheiten, die erfunden worden seien, als ein dazu passendes Medikament auf den Markt gekommen sei.

Keine Anklage

«Funktionieren» ist ein langsamer, ruhiger Film mit wenigen, starken Bildern und vielen starken, kritischen Stimmen. «Funktionieren» setzt niemanden auf die Anklagebank. Der Film lässt die Aussagen der Protagonisten für sich stehen, ergänzt da und dort mit wissenschaftlichen Fakten. Das ist alles.

Filmemacherin Zürcher arbeitet selbst seit vielen Jahren in der Psychiatrie. Ein Film wie «Funktionieren» habe sie sich schon in ihrer Ausbildung gewünscht, deshalb habe sie ihn irgendwann selbst gemacht und finanziert, sagt sie.

«Funktionieren» ist kein Film, der die ewige Frage klären könnte, was psychische Krankheiten eigentlich sind. Er wirft Fragen auf, in sachlichem Ton. Das wühlt auf. Weil die Fragen anschaulich sind. Und auch, weil es eben genau so ist, wie es jemand im Film sagt: Fast jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, dem es psychisch nicht gut geht oder ging. Und doch sind diese «inneren Sachen» ein Tabu. «Funktionieren» rüttelt daran. Das ist ein sehr guter Ansatz.


Autor:in
Fabian Sommer, BZ
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Erstellt: 12.01.2018
Geändert: 12.01.2018
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