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Wirtschaftswachstum auf dem Land: Das will Münsingen in Tägertschi

Sie wurde von einigen kritisch erwartet: Letzte Woche informierte die Gemeinde Münsingen in der Panoramastube im alten Schulhaus Tägertschi über die Zonen mit Planungspflicht (ZPP) Thalmatt und Feldmatt.

Unter Schutzvorkehrungen: Den Infoanlass zu den ZPPs Thalmatt und Feldmatt in der Panoramastube in Tägertschi besuchten 47 Interessierte. (Bild: Isabelle Berger)

Wegen COVID-19 war die Anzahl der Teilnehmenden auf 70 Personen beschränkt und die Gemeinde bat darum, dass sich pro Familie nur eine Person anmeldet. 47 Personen meldeten sich an, dazu kamen neben den Gemeindevertreter*innen die betroffenen Grundeigentümer*innen sowie ein Landplaner hinzu.

 

Neue Planung für bestehendes Bauland

Die beiden ZPPs Thalmatt und Feldmatt werden im Rahmen der Ortsplanungsrevision (OPR) der Gemeinde Münsingen ausgearbeitet. Die Ortsteile Trimstein und Tägertschi haben immer noch die alten Baureglemente von vor der Fusion mit Münsingen, welche nun angepasst werden müssen. Dabei wurden die Thalmatt und die Feldmatt als besonders komplexe und sensible Gebiete identifiziert und sollen deswegen in ZPPs gesondert geregelt werden.

 

"Die Siedlungsentwicklung soll nach innen in Münsingen erfolgen und nicht in Tägertschi und Trimstein", fasste Kägi zu Beginn der Veranstaltung die grundlegenden Ziele der OPR zusammen. Neue Wohnungen sollten vor allem in Münsingen entstehen. Lokale Gewerbetreibende wünschten sich weiter mehr Orte um sich zu entwickeln. "In Münsingen bestehen zwar Bauzonen, aber auf teurem Land", so Kägi. Insofern versucht die Gemeinde nun auf den bereits lange als Bauland eingezonten Gebieten in der Thalmatt und der Feldmatt diesem Wunsch zu entsprechen.

 

Im Mai beantwortete der Gemeinderat die Mitwirkungseingaben der Bevölkerung zur OPR in einem Bericht. Aktuell befindet sich die OPR beim Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) des Kantons Bern zur Vorprüfung. Der Bescheid wird bis Mitte November erwartet.

 

Gemüsebaubetrieb soll wachsen können

Unterdessen stellte die Gemeinde die geplanten ZPPs am Infoanlass im Detail vor. Bei der ZPP Feldmatt geht es um den Landwirtschaftsbetrieb der Familie Guggisberg, der sich in den letzten Jahren stark entwickelt habe, wie Martin Niederberger, Leiter Abteilung Bau Münsingen, sagte. "Im Rahmen der ZPP soll geschaut werden, dass sich der Betrieb festigen und weiter wachsen kann", so Niederberger. Die Möglichkeiten im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung seien ziemlich ausgereizt und der Kanton verlange für die Weiterentwicklung eine fundierte Planung. Dafür zuständig sei die Gemeinde, welche dies nun im Rahmen einer ZPP macht. Damit soll die Grundlage für unter anderem eine "möglichst optimale Einpassung der Bauten und Anlagen in das Orts- und Landschaftsbild" und die Gewährleistung der Verkehrssicherheit auf der Bahnhofstrasse geschaffen werden, wie dem Auszug aus dem in Vorprüfung befindlichen neuen Baureglement zu entnehmen ist.

 

Neben Gebäudehöhe und Dachneigung ist darin auch die Nutzung des Areals klar geregelt: Führen eines landwirtschaftlichen Betriebs, Produktion von Gemüse, Beeren, Obst und weiteren pflanzlichen Erzeugnissen – also das, was Familie Guggisberg bereits macht. "Die Angst, dass sich das Gebiet zur Industriezone entwickeln könnte, ist nicht begründet", sagte Niederberger.

 

Wo könnten Tunnel sein?

In der späteren Fragerunde ging es dann vor allem um den nördlichen Teil der Parzelle 151, auf welche sich die ZPP bezieht. Dort soll angrenzend an das bereits bestehende Gebäude eine von Installationen und Pflanztunneln freie Grünfläche entstehen, wie Landplaner Adrian Kräuchi erklärte. Dahinter und vor den nächstgelegenen Wohnhäusern befindet sich der Lebacher. Ob denn dort Tunnel aufgestellt werden könnten, kam die Frage aus dem Publikum. Für dieses ausserhalb der ZPP liegenden Gebiet gelte die ordentliche landwirtschaftliche Gesetzgebung, womit Tunnel dort möglich wären, so Kräuchi. Auf Anregung von Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne) ergänzte er, dass sie dies allerdings nicht im Sinn hätten. Dem Lachen des Publikums nach zu urteilen, klang dies offenbar nicht ganz überzeugend. "Sie nutzen diesen Spickel also, um die ZPP als landschaftsschutzkonform durchzubringen", kommentierte ein Herr, der mit dem Spickel die innerhalb der ZPP geplante Grünfläche meinte.

 

Platz für KMUs

Zu mehr Diskussionen Anlass gab die ZPP Thalmatt. Hierbei handelt es sich um die Planung für drei Parzellen, die alle im Besitz der Krebs AG sind. Diese vermietet die jetzige Parzelle 141 an die Stiftung Terra Vecchia, welche dort eine Sägerei betreibt. Aktuell sind die drei Parzellen der Arbeitszone beziehungsweise der Wohn- und Arbeitszone zugeordnet. Neu sollen sie im Rahmen der ZPP alle in eine Mischzone überführt werden und damit für die Neuansiedlung kleiner und mittlerer Betriebe attraktiv werden. Gerade Familienbetriebe wünschten sich, im Firmengebäude auch zu wohnen. "Eine reine Wohnsiedlung gibt es aber nicht", so Niederberger. Die dem Wohnen zugeordnete Nutzung der Gebäude dürfe maximal die Hälfte der oberirdischen Geschossflächenziffer betragen.

 

Weiter bezweckt die Gemeinde mit der neuen ZPP den Weiterbestand von Terra Vecchia zu sichern und eine einheitliche Grundlage für die Entwicklung des Gebiets zu schaffen. Denn im aktuell geltenden Baureglement gibt es verschiedene offene Punkte, so etwa den Gewässerabstand oder die Erschliessung.

 

In seinen Ausführungen griff Niederberger auch hier bekannten Ängsten vor: "Es sind nicht zehn, die gleichzeitig etwas hier machen wollen, sondern es soll etappiert geschehen." Und: "Die gesamte ZPP ist in der Lärmempfindlichkeitsstufe 3, was keine Veränderung gegenüber heute bedeutet." Weiter gebe es keine Einzonungen, die ZPP entspreche also der bestehenden Bauzone und bei der Erschliessung und dem Hochwasserschutz achte man auf Kostenoptimierung zu Gunsten aller Betroffenen.

 

Angst ums Wäldchen

In der anschliessenden Diskussion sorgten sich zwei Anwesende um den Waldabstand, welcher in der ZPP entgegen den üblichen dreissig Metern noch zehn Meter betragen soll. Das bestehende Wäldchen solle nicht den Preis für die "billige Landreserve" zahlen müssen. Der normale Abstand von dreissig Metern könne begründet unterschritten werden, sagte Niederberger. Der Zehn-Meter-Abstand bemesse sich nach einem bestehenden Gebäude. "Dieses soll damit keine Ausnahme mehr sein und es soll später auch keine weitere Ausnahme entstehen", so Niederberger. Mit der ZPP würde die Waldlinie zudem ein für alle Mal fixiert, womit der Abstand nicht mehr mit Abholzen vergrössert werden könne, antwortete er zudem auf eine Sorge aus dem Publikum. Ausserdem befänden sich im betroffene Streifen entlang des Wäldchens der Bach und Leitungen. "Da wird sowieso nichts mehr gebaut."

 

Ob der Kanton die zehn Meter erlaube, sei allerdings noch offen. "Vielleicht sind es später 15 oder 20 Meter", sagte Niederberger. In einem anderen Fall sei der Waldabstand aber beim AGR abgeklärt worden und es hätte sogar nur acht Meter erlaubt.

 

Doch nicht ganz billig

Der Begriff "billig" fiel erneut im Zusammenhang mit dem Hochwasserschutz und den dadurch entstehenden Kosten für die Anwohnenden. Ein langjähriger Anwohnender sah darin den Grund, warum auf dem bestehenden Bauland bisher nicht gebaut wurde. "Wenn es eine öffentliche Aufgabe ist, bezahlt es die Gemeinde, wenn es nur zu ihrem Nutzen ist, zahlen es die Grundeigentümer*innen", sagte Niederberger. "Dann ist es aber kein billiges Bauland mehr", so der Anwohner. Dem musste Niederberger zwar beistimmen, allerdings wolle die Gemeinde mit der ZPP dennoch die Voraussetzung schaffen, dass Bauen in diesem Gebiet finanziell aufgehe.

 

Neben dem Thema Mehrverkehr kam auch noch das Erscheinungsbild späterer Bauten zur Sprache. "Ich fände es schade, wenn hässliche Gewerbegebäude nach Tägertschi kommen. Wie gross ist die Gefahr, dass das passiert?", fragte ein jüngerer Herr. Dies zu regeln sei Aufgabe der Gemeinde und dazu diene das im Baureglement festgehaltene Verfahren zur Qualitätssicherung, antwortete Niederberger. Innerhalb des Verfahrens hat die Gemeinde demgemäss in einem Bebauungskonzept unter anderem die "gesamtheitliche Aussenraumgestaltung" zu bestimmen. Ob Tägertschi in diesem Anliegen mit der ZPP besser geschützt sei als mit dem alten Baureglement? Niederberger: "Aus jetziger Sicht ganz klar ja."

 

Kritik am Vorgehen der Gemeinde

Aus dem Publikum kamen aber nicht nur Wortmeldungen zu den beiden ZPPs, sondern auch zum Vorgehen der Gemeinde. Ein den Gemeindevertretern offensichtlich nicht unbekannter Herr bemängelte, dass nicht alle in Tägertschi eine Einladung zum Informationsanlass erhalten hätten. Beat Moser versicherte darauf, dass neben denjenigen, die sich an der Mitwirkung beteiligten per Postversand auch alle Einwohner*innen von Tägertschi eingeladen worden seien. Nachdem sich Directline als nicht zuverlässig herausgestellt habe, habe die Gemeinde ausserdem die teurere Post mit ihren Versänden beauftragt. "Schlussendlich müssen wir uns auch darauf verlassen können."

 

Als "nicht transparent" bezeichnete ein Herr weiter, dass im Mitwirkungsbericht die Eingaben nicht mit Namen, sondern nur mit Nummern versehen waren. Zuvor zeigte sich ein anderer Teilnehmer enttäuscht, dass seine dreiseitige Eingabe nur summarisch abgehandelt worden sei. Anhand seiner Nummer könne er die Antworten auf alle seine Anliegen im Bericht finden, antwortete Niederberger darauf und bot dem Herrn an, ihm eine Zusammenstellung davon zu schicken. Die Wiedergabe der Eingaben anhand von Nummern statt Namen sei zu Gunsten des Schutzes vor Blossstellung so gewählt worden.

 

Bernhards Befürchtung traf nicht ein

Im Grossen und Ganzen verlief die Veranstaltung ruhig. Die Reaktionen der Gemeindevertreter auf kritische Fragen fielen insgesamt gesehen sachlich und deeskalierend aus, entsprechend wurden ihre Antworten vom Publikum aufgenomen. Im Vorfeld meldete SVP-Parlamentarier Henri Bernhard gemäss einem Artikel der Berner Zeitung BZ Zweifel an den Bedingungen, unter welchen der Anlass stattfindet. "Stickig und feucht" werde es in der Panoramastube werden. Dabei hätten sich viele Ältere angemeldet. Und wegen Corona sei die Zulassung beschränkt. Am Anlass strömte allerdings durch die geöffneten Fenster des klimatisch angenehmen Raums sogar der typische Geruch fruchtbaren Landwirtschaftens.

 

Und noch ein kleines Amüsement: Zum Schluss bedankte sich der Gemeindepräsident beim Publikum mit wiederholt, aber allem Anschein nach unabsichtlich unter die Nase gerutschter Gesichtsmaske für die Disziplin der Anwesenden beim Mundschutz tragen.


Autor:in
Isabelle Berger, isabelle.berger@bern-ost.ch
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Erstellt: 20.08.2020
Geändert: 20.08.2020
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