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Stettlen - Das Tafelsilber bleibt im Dorf

Die Gemeinde Stettlen darf das ehemalige Postgebäude im Dorfkern nicht verkaufen. Auch die Alternative "Baurecht" hatte nach der Diskussion an der Gemeindeversammlung keine Chance mehr.

Weder für den Verkauf noch für die Abgabe des Hauses an der Bernstrasse gab es viele Stimmen. (Bilder: Anina Bundi, Isabelle Berger)

164 Stimmbürger:innen kamen an die Gemeindeversammlung von Stettlen. Bei den meisten Themen herrschte Einigkeit: Die Rechnung wurde einstimmig angenommen, die Initiative der FDP für eine Geschäftsprüfungskommission (BERN-OST berichtete) grossmehrheitlich abgelehnt, der Kredit über fast 5,5 Millionen für ein neues Schulhaus nach kurzer Diskussion mit nur sieben Gegenstimmen genehmigt.

 

Verkauf hatte keine Chance

Nicht so der Verkauf der ehemaligen Post. Hier wurde mit jedem Votum aus der Versammlung deutlicher, dass das Geschäft einen schweren Stand haben würde. Nach Konfusionen um das Abstimmungsprozedere war das Misstrauen schliesslich komplett und weder der Verkauf noch der Alternativantrag, das Land im Baurecht abzugeben, hatten den Hauch einer Chance.

 

Das Gebäude, um das es ging, gehört mit Ausnahme der ehemaligen Posträume der Gemeinde. Der Gemeinderat wollte es an eine Baufirma verkaufen. Diese wollte es abreissen und das Areal neu überbauen (BERN-OST berichtete). Der Gemeinderat erhoffte sich von dem Projekt eine Aufwertung des Dorfkerns.

 

Gemeindepräsident Lorenz Hess: "Kontrolle ist eine Illusion"

Eine grosse Mehrheit der Anwesenden liess sich davon nicht überzeugen. Mehrere Votanten fragten, warum der Gemeinderat das Land nicht im Baurecht abgebe, anstatt es zu verkaufen. Damit würde das Land im Besitz der Gemeinde bleiben und ausserdem mit dem Baurechtszins für regelmässige Einnahmen sorgen. 

 

Dagegen argumentierte Gemeindepräsident Lorenz Hess (Die Mitte), die Kontrolle, die man mit der Abgabe im Baurecht vermeintlich behalte, sei eine „Illusion“. Den Erlös aus dem Verkauf könne man zudem gut brauchen, da grosse Investitonen anstehen, die die Gemeinde finanziell stark fordern werden. Die Frage Baurecht oder Verkauf sei aber auch im Gemeinderat kontrovers diskutiert werden, tönte Hess an.

 

"Das Geld wird bald vergessen sein"

Fast niemand konnte sich für den Verkauf erwärmen, alle Votanten sprachen sich dagegen aus. "Das Geld wird bald ausgegeben und vergessen sein. Das Land aber ist dann für immer weg", gab ein Bürger zu bedenken. Ein anderer fand, man solle die weitere Entwicklung im Bernapark abwarten und nicht ohne Not das "Tafelsilber verscherbeln."

 

Als es schliesslich um die Abstimmung ging, entstand Verwirrung über das Prozedere. Ein Bürger hatte den Antrag gestellt, das Land im Baurecht abzugeben. Bei der anschliessenden Variantenabstimmung war zunächst unklar, worüber abgestimmt wird. Ob über den Baurechtsvertrag oder ob Baurecht die bessere Lösung wäre als der Verkauf. Nachdem Gemeindepräsident Hess klargemacht hatte, dass man über den Baurechtsvertrag abstimme, wurde die Variantenabstimmung wiederholt. 

 

Gemeinde muss Post-Stockwerk kaufen

Vermutlich war es diese Verwirrung, die bei einzelnen Bürger:innen das Misstrauen erst komplett machten. Die Gemeindeversammlung lehnte beide Varianten deutlich ab. 40 Personen stimmten für den Verkauf, 26 für die Abgabe im Baurecht. In der Schlussabstimmung sprachen sich 40 Personen für den Verkauf aus, 96 dagegen.

 

Wie gross die allgemeine Verwirrung war, zeigte sich auch daran, dass die Versammlung nach dem doppelten Nein darüber abstimmte, ob die Gemeinde das Stockwerkeigentum der Post zurückkaufen soll. Die Gemeindeversammlung sagte dazu Ja. Der Rückkauf für eine halbe Million war laut Abstimmungsbericht aber sowieso vorgesehen und mit der Post so abgemacht für den Fall das der Verkauf des Gebäudes an die Baufirma scheitern sollte.

 

[i] Gemeindeversammlung Stettlen, 31. Mai 2022 - die Beschlüsse

1. Jahresrechnung 2021: Genehmigung inkl. Berichterstattung Datenschutzaufsichtsstelle / Kenntnisnahme der Nachkredite - einstimmig angenommen

2. Ersatz-Neubau Kindergarten Bleiche/Tagesschule/Schulraum; Investitionskredit - mit 7 Gegenstimmen angenommen

3. Neues Dorfzentrum: Verkauf Parzelle 529-1 (Stockwerkeigentum Bernstrasse 100) - Variantenabstimmung: Verkauf: 40 Stimmen, Baurecht: 26 Stimmen. Schlussabstimmung Verkauf: 40 Ja, 96 Nein.

 

An die Gemeindeversammlung kamen 164 Personen, das sind 7,2 Prozent der Stimmberechtigten.

 

[i] Jahresrechnung 2021

Die Jahresrechnung der Gemeinde Stettlen schliesst im Allgemeinen Haushalt bei Ausgaben von11'324'964 Franken und Einnahmen von 11'496'977 Franken mit einem Ertragsüberschuss (Gewinn) von 172'013 Franken. Budgetiert war ein Minus von 318'000 Franken. Für die Besserstellung um rund eine halbe Million sorgten höhere Steuereinnahmen, geringere Personalkosten wegen Vakanzen in der Verwaltung und geringere Abschreibungen wegen verschobenen Investitionen. Positiv wirkte sich laut Gemeinderätin Sandra Knopp Pisi (parteilos) auch aus, dass Stettlen im ersten Halbjahr 2021 ohne Budget war (BERN-OST berichtete) und deshalb weniger Geld ausgeben konnte. Das gute Ergebnis dürfe aber nicht über die angespannte finanzielle Lage der Gemeinde hinwegtäuschen, so Knopp Pisi. Allein mit den bereits gesprochenen Krediten für die Sanierung des Hallenbads und den Neubau des Schulhauses werde es eng werden. Die erfolgte Steuererhöhung bleibe nach wie vor nötig.


Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
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Erstellt: 02.06.2022
Geändert: 02.06.2022
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