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Grosshöchstetten: Früh investieren statt spät reparieren
Grosshöchstetten will die Fachstelle Gesellschaft um den Bereich frühe Kindheit ausbauen: Familien sollen frühzeitig unterstützt werden, damit die Kinder stark ins Leben starten können. Das sei kein Luxus, betont Gemeinderätin Karin Wüthrich Leemann: «Ein guter Start ins Leben hilft, später hohe Sozialkosten zu sparen.»
An Gemeindeversammlungen merkt Karin Wüthrich Leemann immer wieder: Soziale Themen lassen sich den Leuten wesentlich schwieriger nahebringen als Strassenbau oder neue Schulhäuser. Allerdings, betont die für Soziales verantwortliche Gemeinderätin, seien sie genauso wichtig, und letztlich spare es Kosten, wenn eine Gemeinde ihre sozialen Aufgaben gut wahrnehme: «Vereinsamung, fehlende Zugehörigkeit, Entwicklungsverzögerungen – das sind wichtige Problemfelder, die auch in ein gut gebautes Schulhaus einziehen.»
Entwicklungsgrundlagen, nicht Frühchinesisch
Ausserdem, betont Wüthrich Leemann, gehörten Präventivaufgaben zu den handfesten Aufträgen einer Gemeinde. Und das mache Sinn, denn die frühe Kindheit präge fürs Leben: «Wir reden hier nicht von Frühchinesisch und Tanzstunden, sondern von wichtigen Entwicklungsgrundlagen.» Ein Kleinkind, das auf ein Lächeln keine Reaktion erhalte, schaue erst irritiert, reagiere zunehmend verzweifelt und werde motorisch unruhig. «Forschende nennen das ‘still face experiment’», erklärt sie. «Und es zeigt, wie essenziell sichere Bindung in den ersten Lebensjahren ist.»
Was früh fehlt, macht später krank
Ja, mehr noch: Die ersten drei Jahre seien für die gesamte weitere Entwicklung von Kindern entscheidend. «Hier bilden sich Hirnstrukturen, Stressregulation und Vertrauen.» Wer diese Phase verpasse, laufe Gefahr, dass Kinder mit Rückständen in Sprache, Motorik oder sozialer Entwicklung in den Kindergarten eintreten. «Was dann nachgeholt werden muss, belastet nicht nur die die Betroffenen selbst, sondern kostet die Gesellschaft später ein Vielfaches», betont Karin Wüthrich Leemann.
Nachholen ist teurer als Vorsorgen
Burnout, Depression, gar posttraumatische Belastungsstörung – viele psychischen Erkrankungen treten später im Erwachsenenleben mit viel grösserer Wahrscheinlichkeit auf, wenn in der Kindheit der sichere Boden fehlt. Und wer in der Kindheit nicht gelernt hat, Beziehungen zu bilden, hat es auch später schwieriger. Die Gemeinde Grosshöchstetten ist daher überzeugt: Investitionen in die frühe Kindheit sind nachhaltiger als jede spätere Reparatur.
Vernetzung von Angeboten
Gemeinden sind zudem verpflichtet, Grundlagen zu schaffen – nicht nur beim Bau, sondern auch im Sozialen. «So, wie Strassenbau ohne Konzept undenkbar ist, braucht auch die soziale Infrastruktur eine klare Strategie», betont Karin Wüthrich Leemann. Mit der neuen Fachstelle will Grosshöchstetten Angebote bündeln, den Familien Orientierung bieten und alle relevanten Partner – von Kita über Kindergarten bis zur Elternberatung – vernetzen.
Kleine Schritte, grosse Wirkung
Das klingt nach einer Riesenaufgabe. Wüthrich Lehmann, die beruflich als Psychologin arbeitet, relativiert: «Es braucht oft wenig, um viel zu erreichen», sagt sie: «Eine Krabbelgruppe im Bühlmattetreff, ein niederschwelliger Beratungsort, eine Begegnungsmöglichkeit für Eltern und Kinder – solche Angebote stärken Bindungen und entlasten Familien.» Wichtig sei dabei weniger die Menge an Angeboten als die Verlässlichkeit – und die klare Haltung, dass frühe Kindheit für die Gemeinde Priorität hat.
Vorbild sorgende Gemeinschaft
Grosshöchstetten hat in den letzten Jahren bereits Leitbilder und Konzepte in Bereichen wie Alter, Mobilität und Klima erarbeitet. Nun will die Gemeinde auch im Bereich frühe Kindheit vorangehen und sich mit dem Modell einer «sorgenden Gemeinschaft» positionieren. Damit setzt sie ein Signal. Eine gute Förderung in der Kindheit sei kein Luxus, sagt Karin Wüthrich Leemann, sondern eine Grundvoraussetzung für ein gesundes Aufwachsen und für eine starke Gesellschaft: «Wirklich nachhaltig wirkt eigentlich nur Prävention .»
[i] Karin Wüthrich Leemann: Die Psychologin arbeitet seit 25 Jahren als Psychologin mit Schwerpunkt Traumata und Bindung, seit 2022 mit eigener Praxis in Bern. Sie behandelt viele Frauen mit Traumafolgestörungen, die älteste Patientin ist 83 Jahre als. Traumafolgestörungen, sagt sie, hätten viel mit Stress und Regulierung zu tun, und eine Entwicklungstraumatisierung bilde sich aufgrund von unsicheren Bindungen: Diese verursachen über eine lange Zeit einen hohen Stresslevel. Dadurch werde die Beziehungsgestaltung schwierig, und oft entstünden daraus psychische Störungen, die lange Therapien nötig machen. «Bindungstraumatisierung ist wie ein Teppich mit vielen Fäden und sehr verwoben mit dem Selbstwert», erklärt sie.
Erstellt:
26.09.2025
Geändert: 26.09.2025
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