• Region

Haare ab: Für einen guten Zweck

Andrea Nussbaum aus Freimettigen hatte ihre hellbraunen, leicht lockigen Haare seit einem Dutzend Jahren lang wachsen lassen. Sie liebte ihre Langhaarfrisur, dennoch liess sie sich kürzlich die Haare abschneiden. Sie erzählt, warum sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat und was mit ihren Haaren geschieht.

Andrea Nussbaum, Masseurin im Gesundheitszentrum Worb, muss sich noch an die 30 Zentimeter kürzeren Haare gewöhnen. (Foto: pg)
Andrea Nussbaum (rechts) und ihr Gottemeitschi Malou vorher ...
... und nachher: Die langen Zöpfe sind ab und reisen zur Perückenfabrik. (Fotos: zvg)

Dieser Tage erschrickt Andrea Nussbaum noch jedesmal ein wenig, wenn sie morgens nach dem Aufstehen ihre Haare kämmt: Ihre Frisur endet schon knapp unterhalb des Kinns.  «Es fühlt sich an, als würde ich mit der Bürste ins Leere fallen», sagt die Freimettigerin. Das ist gut nachvollziehbar: Die letzten zwölf Jahre hatte sie ihre Haare wachsen lassen und sich gefreut, dass sie ihr bis tief zum Rücken hinunter reichten. Seit ein paar Tagen sind 30 Zentimeter weg. Und sie fehlen ihr.

 

Die Idee blieb hängen …

Warum sich die Masseurin, die seit Jahren bei BERN-OST und neu im Gesundheitszentrum arbeitet, überhaupt zu diesem Schritt entschlossen hat? Darauf gebracht habe sie eigentlich ihre Nichte Aicha Rüegsegger, die als Coiffeuse in Gstaad arbeitet: «Aicha wollte ursprünglich eine Lehre bei einem Spezialisten machen, der mit gespendeten Haaren Perücken für krebskranke Menschen herstellt.» Die Lehre habe sie dann anderswo gemacht, aber die Idee faszinierte sie, und sie erzählte an einem Familientreffen davon.

 

… und wurde konkreter …

Das beeindruckte Andrea Nussbaum und ihr elfjähriges Gottemeitschi Malou. Vor einem halben Jahr machten die beiden miteinander ab: Sie wollten ihre Haare auch für jemanden spenden, der oder die durch eine Krankheit kahl geworden ist. Je nach Perückenmacher:in müssen die abgeschnittenen Zöpfe mindestens 30 oder 40 Zentimeter lang sein, damit sie verarbeitet werden können. Die Haare der beiden mussten also noch ein bisschen wachsen.

 

… dann schloss sich ein Kreis

Diesen Herbst war es so weit – die Messung bestätigte: Die Haare sind lang genug. «Zudem passte der Moment gut», sagt Andrea Nussbaum: Erst wenige Wochen zuvor war ihr Schwiegervater an Krebs gestorben, das Thema in der Familie sehr präsent. Mit dem Haareschneiden, so hatte sie das Gefühl, schliesse sich ein Kreis: «Der Krebs hat uns sehr intensiv begleitet, jetzt kam der Moment loszulassen.»

 

Weg – nach zwölf Jahren …

Am Abend vor dem Coiffeurtermin nahm Andrea Nussbaum innerlich Abschied von ihrer Langhaarfrisur. Anderntags fuhr sie mit Gottemeitschi Malou nach Gstaad zu Coiffeuse Aicha. «Ein bisschen schwer war mir schon ums Herz», gibt sie zu: Seit zwölf Jahren hatte sie bewusst nie mehr als ihre Spitzen schneiden lassen und sich mit den langen Haaren wohlgefühlt.

 

… das war ein grosser Schritt

Sie mochte ihre Haare umso lieber, weil sie früher als Kind stets eine Kurzhaarfrisur trug und alle dachten, sie sei ein Bub. «Irgendwann beschloss ich – nie mehr kurzes Haar!» Für eine grosse Reise durch Indien schnitt sie mit 30 Jahren ihr Haar dann trotzdem noch einmal kurz, merkte aber schnell: «Nicht verheiratet, kurzhaarig und allein – das geht gar nicht.» Deshalb war das Haareschneiden für sie «ein ziemlich emotionales Thema».

 

Gute Gedanken mitgeschickt

Auch Gottekind Malou vergoss dicke Tränen, als die Coiffeuse ihnen beiden die Haare zu Zöpfen flocht und dann zur Schere griff. Aber sie zog es tapfer durch und gab zu ihren Zöpfen auch einen herzigen Brief an die künftige Empfängerin ab: Sie wünschte ihr viel Freude an der Perücke, gute Besserung und viel Glück. Andrea Nussbaum tröstete sich ebenfalls mit dem Gedanken an eine Person, die alle ihre Haare verloren hat: «Ich wäre in dieser Situation auch wahnsinnig froh um eine Perücke.»

 

Haare wachsen wieder

Die hellbraunen, leicht lockigen Haare von Gotte und Gottemeitschi hingegen werden wieder nachwachsen. Malou hat auf ihrem Begleitbrief die Adresse hinterlassen, und wer weiss: Vielleicht erfährt sie eines Tages, welches Kind oder welcher junge Mensch sich dank ihren Haaren wieder ohne Hemmungen unter die Leute wagen kann.

 

[i] Rund fünf Zöpfe benötigt ein:e Spezialist:in für eine Perücke. Andrea Nussbaum und Gottemeitschi Malou haben ähnliches Haar, so dass ihre vier Zöpfe vielleicht sogar in dieselbe Perücke eingeflochten werden können. Diese gingen nach Basel zu einer Sammelstelle, von wo aus sie an den Verein Haarfee in Wien geschickt werden. Das ist eine Non-Profit-Organisation, die Kindern hilft, die ihr eigenes Haar durch dramatische Schicksalsschläge verloren haben.

 

[i] Eine Echthaarperücke kostet rund 2000 Euro. Weil der Verein mit vielen freiwilligen Helfer:innen arbeitet, kann Haarfee.at eine Perücke für rund 500 Euro herstellen.


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 14.10.2025
Geändert: 14.10.2025
Klicks heute:
Klicks total: