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Auf der Rehjagd: Ein Tag im Arner Wald

Nein, „polet“ hat es nicht am Montag im Wald ob Arni. Obwohl es zuerst danach aussah, als käme BERN-OST in den Genuss einer kleinen Musterjagd mit sicherer Beute. Dafür gab es viel Grün auf die Augen, tonnenweise Pilze und viele interessante Gespräche mit fünf Jägern aus Arni und Oberthal.

V.l.: Christian Bieri, Stefan Schüttel, Simon Zurflüh, Daniel Thierstein, Gilgian Weishaupt und Peter Zurflüh.
Mittags werden die Flinten "aufgebrochen", entladen und aufgehängt. Stefan Schüttel (links) ist der Jüngste der Gruppe, Christian Bieri (hinten) der Älteste.
Sie sorgten für die Farbe: Fliegenpilze.

„Uuh, da wird Sie keiner mitnehmen wollen“, so die Antwort des ersten Jägers, den BERN-OST angefragt hatte. Schon der zweite musste aber nur kurz überlegen und konnte auch seine Kollegen rasch überzeugen. So traf man sich an einem Montagmorgen am Waldrand ob Arni zur Rehjagd. Was das Outfit angeht, da war die Autorin mir ihren schwarzen Kleidern nicht ganz im Ton. Ein grüner Faserpelz wäre besser gewesen. Dafür war das Auto perfekt: Der kleine, graue 4x4 sah aus, als würde er schon immer dazu gehören.

 

Ein Rehbock im Enggisteinmoos

Bevor es losging, kam es allerdings schon wieder anders. Peter Sommer, Wildhüter im Wildraum 6 Bern-Ost brauchte Hilfe. Auf der Hauptstrasse im Enggisteinmoos war ein Rehbock angefahren worden und verletzt in ein Maisfeld geflüchtet. Da das Feld in unmittelbarer Nähe zu Strassen und Häusern liegt, wurden die Polizei dazugerufen und der Verkehr gestoppt, das Feld mit Jägern umstellt und ein Hund ins Feld geschickt, um das verletzte Tier zu fangen oder herauszutreiben, damit es erschossen werden kann. Eine sichere Beute, so schien es.

 

"Gemacht, was wir konnten"

Zwar wurde der Hund im Maisfeld fündig. Was er aber heraustrieb, waren nacheinander zwei Rehgitzi, zwei Geissen und ein Bock - der topfit wirkte. Niemand wurde gefangen, kein Schuss abgegeben. Bis zum Schluss war nicht klar, ob der Bock nicht vielleicht doch noch im Feld versteckt war, oder ob er sich erholt hatte und deshalb nicht als das gesuchte Tier identifizierbar war. „Wir haben gemacht, was wir konnten“, so der leicht konsternierte Wildhüter am Schluss der Aktion.

 

Nur auf kurze Distanz gefährlich

Beim Warten gelernt: Rehe verbringen den Tag manchmal in Maisfeldern, „wohnen“ sozusagen da und verpflegen sich morgens und abends auf den umliegenden Fettwiesen. Ebenfalls gelernt: Das Risiko, einander auf der Jagd gegenseitig zu erschiessen, ist nur klein. Erstens sind Schüsse aus den meistens benutzten Schrotgewehren nur auf kurze Distanz gefährlich. Zweitens schiessen Jäger:innen so, dass Fehlschüsse in den Boden gehen, entweder in eine Böschung oder, im flachen Gelände, leicht gegen unten. Nicht gelernt, aber bestätigt: Meistens läuft es anders, als man denkt.

 

Beim Anstehen muss man still sein

Erst gegen zehn Uhr waren wir wieder am Startpunkt der Jagd. Christian Bieri, Stefan Schüttel und Daniel Thierstein aus Oberthal, Simon Zurflüh aus Mirchel und Peter Zurflüh aus Arni, alles Mitglieder des Jägervereins Konolfingen, Zurflüh Rayonchef für Arni. Dazu ein zweiter Gast und Nichtjäger, Gilgian Weishaupt aus Riggisberg. Die Jäger teilten sich auf. Ein Teil kreiste mit den Hunden ein Waldstück ein und liess sie los, damit sie im Dickicht versteckte Rehe aufstöbern. Diese sollten bestenfalls der zweiten Gruppe, die am Anstehen war, vor die Flinte rennen. Beim Anstehen muss man still sein. Deshalb war Treiber Peter Zurflüh der erste Gesprächspartner.

 

Nicht erlaubt: Angeschossene Tiere selber suchen

Von ihm gelernt: Jäger:innen müssen eine intensive Ausbildung absolvieren und am Schluss eine Prüfung bestehen. Im Kanton Bern sind das praktische und theoretische Module zu Themen wie Jagdrecht, Waffen und Munition, Sicherheit, Hege und Jagdpraxis. Am Ende steht eine Prüfung, später eine jährliche Schiessübung. Das Patent für Rehe im Wildraum 6 erlaubt zwei bis acht Abschüsse pro Jahr. Jeder Schuss wird in der Abschusskontrolle eingetragen. Die selbständige Nachsuche von verletzten Tieren auf der Flucht ist nicht erlaubt. Man muss den Fehlschuss melden und den Wildhüter oder die Nachsucheorganisation NASU mobilisieren. Allerdings kommt das nicht oft vor: In den sieben Jahren, die Zurflüh schon jagt, hat er nur zweimal ein Tier getroffen, das nicht direkt starb.

 

Was sagt die Ehefrau?

Ebenfalls erfahren: Die Jagd ist eine Zeitfresserin. In der Zeit vom 1. Oktober bis am 15. November ist Zurflüh Montag, Mittwoch und Samstag auf Rehjagd, dazu kommt die Rothirschjagd im September. Obwohl er zwei Kinder im Schulalter hat und als Wegmeister der Gemeinde Biglen arbeitet. Was sagt seine Frau dazu, und wie steht sie zu den Fleischmassen, die ihr Ehemann nach Hause bringt?

 

"Das Hobby ist nur machbar, wenn man eine tolerante Frau hat", räumt Zurflüh ein. Und eine solche habe er. Zusammen mit der angesammelten Überzeit reichten die Ferientage auch noch für Familienferien. Auch über die heimgetragene Beute verwerfe sie nicht die Hände, sondern koche sie gern, so Zurflüh. Ein geschossenes Reh wiegt nach dem Ausweiden, was direkt im Wald geschieht, 10 bis 20 Kilo, davon ist etwa die Hälfte Fleisch. Geweihe werden als Trophäen behalten, Fell, Knochen und anderes, das niemand isst, landet in der Kadaververbrennung.

 

In die falsche Richtung

Anders als der Begriff „Treibjagd“ vermuten lässt, ist die Rehjagd eine unaufgeregte Angelegenheit. Zwar tun die Hunde ihre Arbeit und durchkämmen das Dickicht. Sie tun das aber eher gemütlich und hängen nicht geifernd in der Leine, bis sie abgelassen werden. Auch die Jäger finden Zeit und Musse zum Plaudern, Pilze ansehen und die frische Waldluft geniessen. Zwischen den "Treiben" trinkt man im „Basislager“ bei der Feuerstelle ein Tee oder raucht eine Zigarette. Dreimal ging man los an diesem Tag, Schüsse fielen keine. Ein schöner Bock zeigte sich, in Schussnähe gar, verschwand aber zu schnell und in die falsche Richtung, um geschossen zu werden.

 

"Jäger wie früher"

Sie seien Jäger wie früher, wird Simon Zurflüh, Peter Zurflühs Onkel, später erzählen. Man nimmt die Jagd ernst, strotzt aber nicht vor Ehrgeiz und muss nicht um jeden Preis etwas nach Hause bringen. Dass der Bock nicht geschossen wurde, wird bedauert, ist aber kein Weltuntergang. „Ein guter Jäger ist nicht der, der den Hirsch heimbringt, sondern der, der sich auch im Sommer um den Wald kümmert“, sagt Peter Zurflüh, der etwa im Frühling bei der Rehkitzrettung per Drohne hilft (BERN-OST berichtete).

 

Wichtig ist der Gruppe das Zusammensein. Das Mittagessen am Feuer wird ausgiebig zelebriert, am Abend gibt es ein Bier und an diesem Montagabend holt Zurflüh noch seine Kinder dazu, die den Tag bei den Grosseltern verbracht hatten.

 

So geht dieser unblutige Jagdtag zu Ende. Die einzige materielle Ausbeute, nebst ein paar Zecken, ist ein Sack voller Pilze, die Gast Weishaupt gesammelt hat, um daraus für seine Firma Gewürze zu produzieren. Sammler versus Jäger – eins zu Null. Ideell aber wurde Freundschaft gepflegt, die Natur genossen und sich Zeit genommen, einer, die keine Ahnung hat, die Jagd zu erklären.


Autor:in
Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch
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Erstellt: 16.10.2022
Geändert: 16.10.2022
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