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Kiener Nellen: Der tiefe Fall einer begnadeten Politikerin
Die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus. Schade um die Kämpferin und begabte Politikerin. Sie stolpert wiederholt über sich selber.
Dabei fängt alles so gut an: Margret Kiener Nellen, in einer begüterten SVP-Familie grossgeworden, setzt sich für die Schwächeren ein. Im Berner Grossrat ist sie eine grosse Nummer. Hartnäckig. Kantig. Dossierfest. Unerschrocken. Souverän. Sie hat Profil. Die Verwaltung liebt sie nicht, was aber nicht gegen sie spricht. In der SVP-Hochburg Bolligen wird die einheimische Margret zur Gemeindepräsidentin gewählt. Ihre Auftritte an den Gemeindeversammlungen lassen keine Zweifel aufkommen: Diese Frau weiss, was sie will. Die Verwaltung führt sie mit eisernen Hand. Die Gemeindeschreiberin schmeisst den Bettel hin. Untätigkeit kann man Kiener Nellen nicht vorwerfen.
Der erste grössere Faux-pas fliegt im Mai 2006 auf. Kiener Nellen verletzt als Vermieterin mehrfach das Mietrecht. Sie legt keine jährlichen Nebenkostenabrechnungen vor und verlangt Miete für die Zeit der Renovation. Dank dieser Zeitung wird der Fall publik. Die Fernsehsendung «Quer» berichtet darüber. Ihr Mann steht vor der Kamera. Es soll nicht das letzte Mal sein, dass er den Kopf hinhalten muss.
Dass man sich als SP-Nationalrätin, Gemeindepräsidentin und Anwältin einen solchen Eklat nicht leisten kann, leuchtet (fast) allen ein. Überdies ist Kiener Nellen erst noch Präsidentin des Mieterinnen und Mieterverbands im Kanton Bern. Auch dem Vorstand des Dachverbandes der Mieterverbände gehört sie an. Die damalige Präsidentin Anita Thanei handelt. Sie ruft subito eine Vorstandssitzung ein und zwingt KienerNellen zum Rücktritt. Beim Bernischen Verband dauert es etwas länger bis zur Demission.
Und da ist noch die Initiative «Günstig wohnen» des kantonalbernischen Mieterverbands. Präsidentin ist eine gewisse Margret Kiener Nellen — und sie will es bleiben. «Ich habe für meine Fehler Opfer gebracht und mich entschuldigt. Noch einen weiteren Rückzug zu machen dünkt mich nicht opportun,» sagt sie dieser Zeitung. Dass sie wegen des Mietrechtskandals für diese Aufgabe nicht gerade glaubwürdig ist, will sie nicht einsehen. Sie handelt nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Sie muss trotzdem aufs Präsidium verzichten.
Im Herbst 2007 stellt sich Kiener Nellen als Nationalrätin zur Wiederwahl. Die SP-Frauen im Kanton Bern stellen drei Bisherige. Ursula Wyss und Evi Allemann ziehen es vor, auf den Plakatwänden mit der Langenthalerin Nadine Masshardt statt der dritten Bisherigen zu posieren. Im Alleingang schafft Kiener Nellen die Wiederwahl trotzdem. Sie leistet sich einen teuren Wahlkampf, insbesondere auch in Langenthal.
Im Herbst 2008 stehen in Bolligen Wahlen an. Zwei Männer fordern die Gemeindepräsidentin Margret Kiener Nellen heraus. Bisherige haben bekanntlich einen Bonus. Zudem verfügen die herausfordernden Männer nicht über jenen Leistungsausweis, um eine Amtsinhaberin vom Sockel zu stürzen. Doch die Bisherige ist nicht irgendwer. Sie hatte zwei Jahre zuvor einen grossen Bock geschossen. Trotzdem gibt sich die Gemeindepräsidentin siegesgewiss. Sie lässt am Wahltag von «Telebärn» ihren Tagesablauf filmen. Der Fernsehzuschauer kann mitansehen, wie sie am Telefon mit betretenem Blick das Resultat zur Kenntnis nimmt: «Ja, zwei Männer liegen vorne». Sie ist derart abgeschlagen, dass sie zum zweiten Wahlgang nicht mehr antritt.
Es folgen Zeiten, in welchen wieder die Brillanz der Bolligerin aufblitzt. Sie ist im Nationalrat Mitglied der Finanzkommission, wird deren Präsidentin. Das Metier beherrscht sie. Die Dossiers kennt sie. Sie ist kompetent. Sie ist eloquent. Plötzlich wird bekannt, dass ihr Fraktionskollege Ricardo Lumengo vor den Grossratswahlen 2006 eigenhändig fremde Wahlzettel ausgefüllt hatte. Ausgerechnet Kiener Nellen fordert auf Telebärn seinen Rücktritt, der dann auch erfolgt.
Im Sommer 2010 kann es Kiener Nellen nicht lassen, Bundesratskandidatin Simonetta Sommaruga in ein kritisches Licht zu stellen. Sie sagt der «NZZ am Sonntag»., das Gurten-Manifest, in welchem Sommaruga und andere undogmatische SPler für mehr Eigenverantwortung und weniger Staatshilfe plädierten, würde der Kandidatin schaden. Sommaruga wird später trotz solcher Seitenhiebe aus dem eigenen Lager glänzend in den Bundesrat gewählt. Zudem sei daran erinnert, dass Sommaruga bei der Ständeratswahl 2003 Kiener Nellen um Längen hinter sich gelassen hatte. Damals war das Gurten-Manifest von 2001 noch in bester Erinnerung.
FDP-Bundesrat Johann Schneider Ammann ist ein weiteres Opfer, der von Rücktrittsforderungen der streitbaren Nationalrätin nicht verschont bleibt. Seine Firma, die er vormals präsidierte, hat Steuern optimiert. «Er ist nicht mehr tragbar. Eine solche Person muss eine Vorbildfunktion einnehmen». Das Gebaren der Ammann-Gruppe sei «ethisch-moralisch nicht zulässig», sagt Kiener Nellen, die keine zehn Jahre zuvor das Mietrecht verletzt hatte.
Anfang November ein erneuter Kulminationspunkt. Die Weltwoche berichtet, dass Kiener Nellen im Jahr 2011 bei einem Vermögen von 12 Millionen Franken null Franken Einkommen versteuert. Völlig legal. Kein Grund, sich darüber aufzuregen. Doch wer Wasser predigt, soll nicht Wein trinken, finden Leserbriefschreiber. Kiener Nellen ruft eine Pressekonferenz ein. Sie erklärt, entschuldigt und windet sich.
Wieder muss ihr Mann den Kopf herhalten. Er habe durch eine ausserordentliche Einzahlung von 400'000 Franken das steuerbare Einkommen 2011 auf null Franken gedrückt. Und überhaupt: Trotz Steueroptimierung werde sie unter dem Strich voraussichtlich sogar mehr Steuern zahlen, als wenn sie die 400'000 Franken nicht in die Pensionskasse einbezahlt hätte. Die 61-jährige SP-Nationalrätin kann nicht verhindern, von ihren repetitiven Rücktrittsforderungen selber eingeholt zu werden.
Im Zügli zwischen Bolligen und Bern gibt’s nur ein Thema: Kiener Nellen. Ihre politischen Gegner degradieren sie hämisch zur Lachnummer. Auch in der Satiresendung «Giaccobo Müller» findet sie unfreiwillig einen Stammplatz. Gerne würde die SP-Frau vor der Abstimmung vom 30. November an einem Podium die Pauschalsteuer bekämpfen. Dass ihre Glaubwürdigkeit am Boden ist, begreift sie wieder nicht, wie damals nach der Mietrechtsaffäre.
Erstellt:
03.12.2014
Geändert: 03.12.2014
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