Asylzentrum Grosshöchstetten: Alltag, Struktur und ein bisschen Zuhause

Seit Anfang Jahr leben zwischen 119 und 139 geflüchtete Menschen im Neuhuspark in Grosshöchstetten. BERN-OST hat die Unterkunft besucht und mit Standortleiterin Viktoriia Hofer gesprochen.

Pascale Groschel, info@bern-ost.ch

Um zehn Uhr morgens sind die Gänge der Unterkunft fast leer. «Die meisten sind in Deutsch- oder Integrationskursen, die Kinder in der Schule», erklärt Standortleiterin Viktoriia Hofer beim Rundgang. Wer da ist, kocht, isst oder beginnt mit dem Putzämtli: «Jede Person hilft mit beim Putzen. Immer um zehn wird gereinigt – wer einen Termin hat, putzt später.»

 

Ein anderer Eindruck als erwartet

Viele Menschen auf engem Raum, Unruhe, Langeweile – mit solchen Bildern wird ein Asylzentrum oft verbunden. Doch der Eindruck in Grosshöchstetten ist ein anderer. Gleich beim Eingang befindet sich der Empfang – er dient nicht nur als Informationsstelle für Besucher:innen, sondern ist vor allem eine wichtige Anlaufstelle für die Bewohner:innen.

 

Hofer erinnert sich an einen Moment, in dem diese Anlaufstellte besonders wichtig war: «Vor ein paar Wochen war der Ansturm riesig – viele klagten über brennende Augen und Schnupfen. Wir merkten schnell, dass es an den Pollen lag, was viele so nicht kannten.» Solche Alltagsthemen fallen in den Zuständigkeitsbereich von Hofer und dem Team, das in der Unterkunft arbeitet.

 

Putzpläne und Privatsphäre

Wie in einer grossen Wohngemeinschaft gibt es einen Putzplan. Die Aufgaben rotieren alle zwei Wochen – zwei Wochen Dienst, zwei Wochen Pause. Der Plan deckt Aufenthaltsräume, Badezimmer, Küche und Flure ab. «Das fair einzuteilen ist anspruchsvoll», sagt Hofer. Die privaten Zimmer werden von den Bewohner:innen selbst sauber gehalten. «Wir kontrollieren wöchentlich – unangemeldete Kontrollen wären erlaubt, aber das war hier bisher nie nötig. Die Privatsphäre ist uns wichtig.»

 

Ein wenig schmunzeln muss Hofer dennoch: «Manche stellen Unordnung einfach auf den Balkon, damit das Zimmer aufgeräumt aussieht. Deshalb werfen wir auch mal einen Blick von aussen auf die Balkone.»

 

Kleine Bewohner, grosse Entwicklung

Der jüngste Bewohner der Unterkunft ist gerade einmal ein paar Wochen alt. Insgesamt leben derzeit 11 Kinder im Neuhuspark, die meisten sind zwischen sechs und neun Jahre alt. Für sie gibt es ein eigenes Spielzimmer – mit gespendetem Spielzeug. «Wichtig ist, dass die Kinder nicht unbeaufsichtigt sind und das Zimmer danach wieder ordentlich ist», sagt Hofer. Alle schulpflichtigen Kinder besuchen die Schule in Grosshöchstetten – viele konnten bereits in Regelklassen integriert werden. «Kinder lernen unglaublich schnell», freut sich die Leiterin.

 

Zwischen Spargel und selbstgebackenem Brot

Im Aufenthaltsraum begegnen wir zwei Bewohnern. Auf die Frage nach einem Foto winken sie höflich ab – sie tragen Trainerhosen und möchten sich so nicht ablichten lassen. Laut Hofer legen gerade afghanische Männer grossen Wert auf ein gepflegtes und ordentliches Erscheinungsbild – gebügelte Hemden und traditionelle Kleidung gehören für viele dazu.

 

In den Fluren hängen Informationsplakate – etwa zu einem wöchentlichen Lebensmittelangebot. «Mittwochs stellt die Schweizer Tafel typische saisonale Schweizer Produkte wie Fenchel, Chicorée oder Spargel zur Verfügung. Vieles davon blieb anfangs liegen – das kannten viele nicht», erzählt Hofer. Deshalb zeigt ein freiwilliger Helfer den Bewohner:innen alle zwei Wochen, wie man daraus einfache Gerichte zubereitet.

 

Auch die neue Küche ist beliebt. «Es wird viel gebacken. Manche backen einmal pro Woche Brot für die ganze Familie – das ist günstiger.»

 

Freizeit, Integration und Eigenverantwortung

Neben dem Alltag bietet die Unterkunft auch Freizeitmöglichkeiten: Ausflüge in die Boulderhalle, Wandergruppen und neu auch Dorfrundgänge. «Dabei zeigen wir, welche Gebäude öffentlich sind, wo man einkaufen oder spielen darf – und wo eben nicht», erklärt Viktoriia Hofer. So sei es zum Beispiel wichtig, das die Klient:inen wissen, dass der Fussballplatz des FC Grosshöchstetten öffentlich ist, aber nicht jederzeit betreten werden darf und der Platz beim Schulhaus genutzt werden darf.

 

Hofer sucht aktuell Freiwillige für einen betreuten Spielnachmittag. «Viele unterschätzen, wie wichtig diese Aufgabe ist. Die Kinder bauen schnell Vertrauen auf – Freiwillige werden so automatisch zu Bezugspersonen. Wir suchen Leute, die das langfristig machen möchten und somit zu den Kindern eine stabile Beziehung aufbauen wollen.»

 

Zusammenleben auf engem Raum

109 Personen wohnen derzeit im Neuhuspark – Platz gäbe es für 150. «Wenn nicht alle Zimmer belegt sind, schafft das Raum zum Durchatmen», sagt Eric Send, Mediensprecher des Schweizerischen Roten Kreuzes Kanton Bern. Abends und am Wochenende sei mehr los – dann sind viele zu Hause. «Es ist wie in einer Wohngemeinschaft. Eine Person möchte Musik hören, der Mitbewohner nicht. Jemand möchte lüften, die nächste Person möchte schlafen. Alle haben ihre Bedürfnisse und müssen aufeinander Rücksicht nehmen», sagt Standortleiterin Hofer.

 

Rückmeldungen aus dem Dorf?

Vor der Eröffnung hatten sich einige Anwohner:innen Gedanken gemacht. Und jetzt, fast ein halbes Jahr später? «Es gab kaum Reaktionen aus der Nachbarschaft», sagt Hofer. «Direkte Anfragen gab es nur zwei – beide betrafen Personen, die nicht hier wohnen.»

 

Die anfängliche Skepsis in der Bevölkerung sei verständlich, ergänzt Send: «Wenn man nicht weiss, was auf einen zukommt, entstehen Fragen – etwa: Wo sind die Leute tagsüber? Haben sie eine Struktur? Das hat nichts mit Rassismus zu tun.»

 

Ein eingespieltes Team im Hintergrund

Die ersten Monate beschreibt die Standortleiterin als sehr positiv: «Viele Bewohner:innen waren zuvor im Zentrum Büren und kannten unsere Strukturen und Regeln bereits.» Das eingespielte Team half Hofer sehr: «Mehrere Mitarbeitende sind erfahren im Migrationsbereich. Ich musste nicht viel einführen – das Team konnte Wissen intern weitergeben.»

 

«Auch das Gebäude erwies sich als Glücksfall: Die Infrastruktur war intakt, die Zimmer gross, hell und jeweils mit eigenem WC ausgestattet - keine Selbstverständlichkeit», sagt Send. «Die Anfangsphase war intensiv, aber gut organisiert.»

 

Vielfalt und Respekt

Die Bewohner:innen kommen aus Afghanistan, der Türkei, Syrien, Somalia, dem Südsudan oder afrikanischen Ländern. Viele verbindet ihre Religion – der Islam. «Meistens können sie sich auf Türkisch verständigen, da die Türkei oft ein längerer Zwischenstopp war», sagt Hofer. Konflikte aufgrund der Herkunft gab es bisher keine.

 

Trotzdem achtet die Leitung darauf, dass die Herkunft im Alltag keine Rolle spielt. «Wenn jemand von ‘dem Afghanen’ spricht, tun wir so, als wüssten wir nicht, wer gemeint ist. Die Bewohner:innen sollen sich mit dem Namen ansprechen – wie in jeder Nachbarschaft auch.»


Autor:in
Pascale Groschel, info@bern-ost.ch
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Erstellt: 03.06.2025
Geändert: 03.06.2025
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