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Konolfingen - Trotz Trainingsrückstand strebt Philipp Steiner eine Medaille an

Quelle
Wochen-Zeitung

Heute reist Philipp Steiner nach Russland mit einem klaren Ziel vor Augen: Er will an den Olympischen Spielen für Gehörlose Abfahrts-Gold holen. Er startet in allen Disziplinen.

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Liebt die Geschwindigkeit: Philipp Steiner gehört in der Abfahrt zu den Favoriten. (Bild: Patrick Gasser/Jungfrau-Zeitung)
Philipp Steiners Liebe gehört ganz dem Skirennsport – und natürlich seiner Verlobten Ariane Gerber. Gerade jetzt hat aber der Sport klar Priorität, startet der 27-Jährige doch am 31. März in der Abfahrt, seiner Paradedisziplin. Dort gehört Steiner zum engen Favoritenkreis, alles andere als eine Goldmedaille wäre für ihn eine Enttäuschung. Wie stark er ist, bewies er vor zwei Jahren an den Weltmeisterschaften; vier Gold- und eine Bronzemedaille war die Ausbeute. Dass die Erwartungen nun an den Deaflympics (siehe Kasten) etwas gedämpft sind, hat seinen Grund. «Im Februar 2014 erlitt ich nach einem Sturz eine schwere Rückenverletzung. Das hat mich zurückgeworfen.»

Philipp Steiner, der in Konolfingen aufgewachsen ist und vor drei Jahren nach Münsingen zog, erwog seinen Rücktritt. Doch schliesslich zog es ihn wieder auf die Rennstrecke. Der Weg zurück war hart. «Weil ich wusste, dass Olympia ansteht und die Konkurrenz nicht schläft, wollte ich zu viel und habe meinen Körper völlig überfordert. Ich konnte nicht mehr essen und trinken und musste im Dezember eine Trainingspause einlegen.» Schritt für Schritt kämpfte er sich zurück und schaffte die Qualifikation für Olympia problemlos.

Im Deaf-Europacup belegte Steiner den dritten Gesamtrang und bei den Regionalrennen von Swiss Ski erreichte er mehrere Top-Plätze. Nebst der Abfahrt rechnet er sich auch im Super-G Chancen auf eine gute Platzierung aus. Er geht zudem im Slalom, Riesenslalom und in der Kombination an den Start.

Die Piste erfühlen
Beim Fahren fühlt sich Philipp Steiner durch seine Hörbehinderung nur wenig beeinträchtigt. «Ein Unterschied besteht darin, dass ich nicht höre, wie eine Piste beschaffen ist, zum Beispiel, ob sie eisig ist. Auch höre ich nicht, ob die Skis parallel oder mit der Kante auf der Piste stehen. Ich muss das spüren und kann darauf später reagieren als ein hörender Fahrer. Das kostet Zeit.» Deren Respekt hat er sich erworben, als er am Lauberhorn als Vorfahrer startete. «Mehrere Profiathleten sagten mir, dass sie nicht fahren könnten, ohne zu hören.» Carlo Janka interessiert sich seitdem für das Ergehen von Philipp Steiner und hat ihm den Renndress für Russland geschenkt. Bekannt ist Steiner auch mit Beat Feuz; sie sind beide Mitglied des Skiklubs Schangnau.

Einen weiteren positiven Nebeneffekt hatten seine Auftritte am Lauberhorn: Die Medien wurden auf ihn aufmerksam und er konnte einige Sponsoren für sich gewinnen. Dennoch sind Steiners Rahmenbedingungen ganz anders als bei den Hörenden. Der Sanitär-Installateur arbeitet zu 100 Prozent und ist wegen häufiger (unbezahlter) Abwesenheiten auf das Verständnis seines Arbeitgebers angewiesen. Pro Saison hat Philipp Steiner Ausgaben von 10’000 Franken selber zu berappen. Auch die Reise nach Russland wird sich finanziell nicht lohnen; für eine Medaille gibts vom Verband 1500 Franken. «Da sind die Verhältnisse in vielen osteuropäischen Ländern anders», weiss Steiner. «Die Fahrer sind Profis und erhalten pro Medaille 100’000 Franken.»

Einziger Schweizer bei den Alpinen

Diese Unterschiede vermögen die Freude auf die Deaflympics nicht zu schmälern. Nebst dem sportlichen Aspekt geht es darum, Gehörlose aus anderen Ländern zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Erwartet werden über 450 Sportler aus 26 Nationen. Ein Wermutstropfen bleibt allerdings: Die gesamte Schweizer Delegation besteht gerade mal aus sieben Athleten. «Früher starteten 20 Fahrer allein im Ski alpin, heute bin ich allein.» Weil die Kinder in die Regelklassen integriert würden, seien sie schwieriger zu erreichen als in einer Schule für Gehörlose. Philipp Steiner selber lernte den Sportverband erst an einer Sekundarschule für Gehörlose kennen. Dort traf er auch seine künftige Ehefrau Ariane Gerber. Die Trubschacherin startete vor zwölf Jahren als 18-jährige an den Deaflympics – ebenfalls im Ski alpin.

Deaflympics statt Paralympics

Die Deaflympics (deaf heisst auf englisch «taub») sind ein alle zwei Jahre ausgetragener Wettbewerb im Gehörlosensport. Es werden abwechselnd Sommer- und Winterspiele durchgeführt. Die diesjährigen Winterspiele finden vom 28. März bis 5. April in Khanty-Mansiysk, Russland, statt. Ausgetragen werden Wettkämpfe im Curling, Eishockey, Langlauf, Ski alpin und Snowboard. Die Regeln sind identisch mit jenen der körperlich gesunden Sportler.  
Auf eine Teilnahme an den Paralympics wird verzichtet, da Gehörlose selbst unter Behinderten auf Grund von Kommunikationsproblemen ausgeschlossen sind. Es würden zahlreiche Gebärdensprach-Dolmetscher benötigt.

Autor:in
Silvia Ben el Warda-Wullschläger, Wochen-Zeitung
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Erstellt: 26.03.2015
Geändert: 26.03.2015
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