• Kultur

Jürg Ramseier: Kein amerikanischer Traum

Quelle
Berner Zeitung BZ

Jürg Ramseier ist ein Weltreisender. Nun zeigt der Fotograf das Dorf, aus dem er stammt und in das er immer wieder zurückgekehrt ist, in einem Buch: "Mein Münsingen".

Gut einparkiert, aber überhängend: Chevrolet in Münsingen. (Fotos: Jürg Ramseier)
Covergirl oder Coverboy? Jedenfalls ziemlich entspannt.
Sturmholz oder Urtier? Man sieht, was man sehen will.
Lotet immer wieder Heimat aus: Jürg Ramseier. (Foto: Beat Mathys)

Es ist Winter auf diesem Buchcover. Schnee liegt, ein Streifen schwarzer Wald begrenzt den Blick, drüber ein Himmel in Weiss und Grau. Und auch das Pferd im Vordergrund ist weiss und grau, einApfelschimmel mit rotem Zaumzeug. Fast streckt es den Kopf aus dem Bild heraus und stupst die Betrachtenden an mit seinenweichen Nüstern. Will es einem Tierkalender entspringen? Aber nein – da steht ja, in fast beiläufig kleiner Schrift oben links: "Mein Münsingen. Fotografien Jürg Ramseier". Und das Pferd will gar nichts, es schläft. Schläft es? Oder war das bloss ein Lidschlag, ein kurzes Augenschliessen, das der geistesgegenwärtige Fotograf erwischt hat? Je länger man schaut, desto rätselhafter wirkt das Bild.

 

Man öffnet das Buch und findet weitere solche Bilder – auf den ersten Blick klar, eindeutig, von ausgesuchten Farbkombinationen und beinah geometrischer Stilisierung geprägt. Und auf den zweiten Blick ganz anders.

 

Geschichten vom Wegrand

Münsingen, ein Dorf zwischen Bern und Thun, halb Agglo, halb Bauernland: Hier ist Jürg Ramseier, 64, aufgewachsen. Von hier ist er in denAchtzigerjahren nach NewYork aufgebrochen, um sich am International Institute of Photography zum Fotografen ausbilden zu lassen. Von hier aus reiste er nach Afrika und Australien, wo er fokussiert auf einzelne Themen und Szenen umfangreiche Reportagen schuf. Hierher kehrte er immer wieder zurück und fotografierte schon Mitte der Neunzigerjahre das "Heimatland" – so der Titel, unter dem eine Bildserie letztes Jahr an der Retrospektive im Kornhausforum zu sehen war. Es sind Bilder, die helvetische Befindlichkeit in der biederen Vorgärtli-Idylle, aber auch im Aussteiger-Hüttendorf Zaffaraya spiegeln – und die Vertrautheit des Fotografen damit. Jürg Ramseier hat sich dem Schweizer Mittelland nie entfremdet. Seine Schwarzweissbilder zappeliger Berner Giele, die von einer Brücke in die Aare springen, strahlen eine Selbstverständlichkeit aus, die in den ungleich kontrastreicheren Kinderporträts, die er im irischen Belfast am Ende des Bürgerkriegs gemacht hat, nicht zu finden ist.

 

Nun also hat sich derWeitgereiste noch einmal bewusst auf das Naheliegende eingelassen: den Ort, an dem er lebt. Er sei "einfach herumgegangen", sagt er. Er hat aufgesammelt, was am Wegrand lag. Ein Häufchen Müll (nach einem Spiel des FC Münsingen?), um das sich vier top ausgerüstete Reinigungskräfte in orangen Leuchtwesten kümmern; ein Stück Sturmholz im schattengrünen Aarewasser – nein, ein urzeitlicher Drache, wenn man genau hinschaut. Auch das Bild vom Weihnachtsbaum, der aus dem Container für die Grünabfuhr ragt, erschliesst sich erst bei genauem Hinschauen: Am Stämmchen hängt noch das Preisetikett.Wurde derBaum gar nie geschmückt? Oder mitsamt Etikett? So oder so: Stillleben wie dieses erzählen Geschichten.

 

Gemaltes Licht

Bäume sind auch in lebendem Zustand Motive,für die sich Jürg Ramseier interessiert. Beim Herumgehen in Münsingen fand er Nadelbäume im Wetteifer mit dem spitzen Kirchturm, Palmen in Vorgärten und im Open-Air Kino, Kastanien wie Baldachine über dem Güggeli-Take-away. Grün dominiert; fast verschlucken die Hecken zwischen den Einfamilienhäuschen den Amischlitten mit Berner Nummernschild, der brav in seinem Parkfeld steht. Ein Chevrolet-Cabrio. Himmelblau, mit geöffnetem Verdeck. Abgesehen davon blitzt nirgendwo der amerikanische Traum auf – im satten Schweizer Dorf, dem der Gemeindepräsident im Vorwort "die richtige Mischung zwischen ländlichem Charme und städtischer Vielfalt" attestiert, hat man alles schon erreicht. Was bleibt, ist das Aufbrechen und Weggehen.

 

Wer dann zurückkommt, wie Ramseier, sieht mit einem Mal auch, warum man anderswo davon träumt, in die Schweiz aufzubrechen. Es ist nicht nur ein reiches, sondern auch ein schönes Land.In einigen Bildern lässt der Münsinger Fotograf das sanfte, sehr transparente Licht des nah an den Alpen gelegenen Landstrichs aufscheinen. Da werden ein aperer Acker, ein grellgelbes Rapsfeld, eine perlmuttglänzende Kumuluswolke zu Bestandteilen abstrakter Gemälde. Und trotz ironischer Brechung in der Inszenierung so mancher Details spürt man beim Betrachten von Jürg Ramseiers Fotografien vor allem eins: die Verbundenheit mit dem Ort, den er "sein" nennt.

 

[i] Mein Münsingen. Fotografien Jürg Ramseier. Kulturbuchverlag Herausgeber, 143 Seiten. Buchvernissage: 23.11., 19 Uhr, Werkhof Münsingen.


Autor:in
Tina Uhlmann, Berner Zeitung BZ
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 20.11.2018
Geändert: 20.11.2018
Klicks heute:
Klicks total: