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Oberthal - Wie Randregionen schneller surfen können

Quelle
Berner Zeitung BZ

Was für Städter eine Selbstverständlichkeit ist, bleibt auf dem Land oft Wunschtraum: schnelles Internet. Will weder die Swisscom noch ein anderer Provider ins Netz investieren, helfen sich die Dorfbewohner schon mal selbst. Zum Beispiel in Oberthal mit Richtstrahlantennen.

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Das Ei des Kolumbus. Andreas Mathys (links) und Thomas Kupferschmied halten die Lösung in den Händen. Dank der Installation von Richtfunkantennen erhalten die Oberthaler endlich schnelles Internet. (Bild: Andreas Blatter)
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Der Richtfunk richtets. Thomas Kupferschmied bei der Montage. (Bild: Andreas Blatter)
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Klar könne er online Zeitung lesen, sagt Thomas Kupferschmied. «Wenn ich die Internetseite abends öffne, ist sie wohl bis zum Frühstück am nächsten Morgen geladen.» Was für Städter nach einem schlechten Witz tönt, ist in Oberthal Realität. Die 800 Einwohner der Emmentaler Gemeinde beziehen ihr Internet über die Swisscom-Telefonleitung – ein Kupferkabel im Boden, das bis nach Grosshöchstetten reicht (Luftlinie: 4 Kilometer). Entsprechend langsam gelangen die Daten auf die Computer.

Zu langsam, viel zu langsam für Thomas Kupferschmied, der im Oberthaler Weiler Blasen einen Holzbaubetrieb führt, drei schulpflichtige Kinder hat und sich gerne im selben Tempo in der virtuellen Welt bewegen möchte wie jeder andere auch. «Seit Jahren streite ich mit der Swisscom. Ich bezahle ein Abo mit 5 Megabits pro Sekunde, erhalte aber nur ein Zehntel der Leistung.» Zum Vergleich: Surfen, Musik streamen, einen Film schauen – mit 10 Megabits pro Sekunde ist Otto Normalverbraucher online, ohne dabei die Nerven zu verlieren.

Nun hat Kupferschmied die Sache selbst an die Hand genommen. Wie bereits Initianten im oberländischen Heimenschwand will auch er seine Gemeinde – «eine Randregion, für die sich grosse Telecomfirmen nicht interessieren» – mit einer Alternativmethode ans WWW anschliessen. Die Lösung heisst WLAN-Richtfunk und wird derzeit von einer externen Firma auf den Dächern der Oberthaler Bauernhäuser installiert.

Vom Blasenhorn in alle Welt

Das Prinzip: Das TV-Kabelnetz der Nachbargemeinde Arni wird aufs Dach des Lehrerhauses in Arnisäge gezogen. Von da aus geht das Signal 2,6 Kilometer Luftlinie zur Antenne auf dem Blasenhorn in Oberthal. Das Dach von Kupferschmieds Nachbarn bildet die Relaisstation, den Ausgangspunkt für ein ganzes Netzwerk. Jedes Haus in Sichtweite kann zur Sende- und Empfangsstation werden. «Bandbreiten sind bis zu 100 Megabits pro Sekunde realisierbar», sagt Andreas Mathys von der Firma ICT plus, welche das Projekt mit Kupferschmied umsetzt.

Skeptische Einwohner

Ab Mitte August soll das System laufen. Mathys installiert zehn Antennen für momentan sechs Bezüger. Ziel ist, künftig so viele Oberthaler wie möglich ins Netz zu holen – was kein leichtes Unterfangen ist. «Die Einwohner sind skeptisch wegen der Strahlen», sagt Kupferschmied. Laut Mathys grundlos, «die Leistung dieser Wireless-Antennen ist 1000-mal kleiner als die einer Handyantenne.» Für die Installation braucht er denn auch keine Bewilligung des Bundes.

So weibeln die beiden Männer im Dorf fleissig um weitere Interessenten. Denn: Ist einer happy, sind alle happy. «Das spricht sich schnell herum.» Schliesslich seien im weitläufigen Dorf die meisten unzufrieden mit dem Internetempfang. Vor allem, wenn sie runter nach Arni schielen: Jüngst hat die Swisscom das Nachbardorf mit einem topmodernen Glasfasernetz ausgerüstet.

Spätestens jetzt war auch für den Oberthaler Gemeindepräsidenten Andreas Steiner klar: «Wir müssen handeln, bevor uns die Einwohner aufs Dach steigen.» Ein guter Internetempfang gehöre ins Kapitel Standortattraktivität. «Und ich möchte nicht, dass wir deswegen keine Zuzüger mehr haben.»

Surfen im Seeland

Doch nicht nur das Emmental ist offline. Auch im Seeland surfts sich gebietsweise sehr langsam. «Eine Zumutung, haarsträubend», sagt zum Beispiel die Bangerter Gemeindeschreiberin Yvonne Oeschger. An jeder Gemeindeversammlung sei das Internet Thema. «Wir hoffen nun, dass die Situation durch die Fusion mit Rapperswil besser wird.»

Dort nämlich wird die Swisscom noch dieses Jahr mit dem Bau eines Glasfasernetzes beginnen. «Endlich», atmet Gemeindepräsidentin Christine Jakob (SVP) auf. «Seit Jahren beklagen sich die Leute und werfen uns vor, in dieser Sache untätig zu sein.»

Keine Konkurrenz

Häutligen, Konolfingen, Oberhünigen. Die Liste der Gemeinden mit Internetproblemen könnte Andreas Mathys beliebig verlängern. Er streckt seine Fühler in alle Richtungen aus. Eine ausgedehnte Überlandfahrt, und er hat eine Handvoll unzufriedener Bauern mehr auf dem Radar und kann sein Netz verdichten. «Ich brauche pro Region mindestens fünf bis sechs Bezüger, damit die Lösung kostendeckend realisiert werden kann.»

Sein System setzt dort an, wo die Swisscom aufhört: in den Randregionen, den weitläufigen Weilern. Als Konkurrenz der Grossen sieht er sich nicht. «Eher nehmen wir der Swisscom Druck weg.» Für diese nämlich sei es schlicht nicht rentabel, ein Glasfasernetz bis zu jedem Bauernhaus zu ziehen.

Mathys selber geniesst momentan noch Platzhirschstatus. Sollte jedoch Konkurrenz aufkreuzen, würde ihn das kaum stören. Denn: «Arbeit gibt es in diesem Bereich noch lange genug.»


Autor:in
Simone Lippuner, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 23.07.2015
Geändert: 23.07.2015
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