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Richigen - Er ist von Holzbahnen fasziniert

Quelle
Berner Zeitung BZ

Eisenbahnmodelle sind die grosse Leidenschaft von Martin Rindlisbacher. Eine komplette Bahnanlage aus Holz ist im Jugendheim der Viktoria-Stiftung entstanden. Jetzt hat Rindlisbacher das Unikat dem Museum Erlebniswelt Toggenburg übergeben.

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Aus Holz: Martin Rindlisbacher baut das kanadische Dampflokmodell in der Werkstatt des Jugendheims Richigen. (Bild: Hans Wüthrich)
Unter einer Modelleisenbahn stellt man sich eigentlich etwas anderes vor. Diese Dampflokomotive ist gegenüber solchen von Märklin und Co. geradezu ein Koloss. Und: Sie besteht ganz aus Holz. Fast liebevoll streicht Martin Rindlisbacher (60) über die Verkleidung des Dampfkessels. «Das ist Lindenholz, Räder und Fahrwerk sind aus Buche», sagt der Erbauer der Lok. Auch andere Hölzer hat er verwendet, bis hin zu Essigbaumholz. Die Lok ist eine Nachbildung des Typs 4-4-4 Jubilee der kanadischen Eisenbahngesellschaft Canadian Pacific aus dem Jahr 1936.

Das Modell im Massstab 1:11,25 ist noch nicht ganz fertig, es fehlen einzelne Details. Doch das bisherige Resultat lässt sich sehen. Mit dem angehängten Tenderwagen ist die Lok rund 2 Meter lang und gut 15 Kilogramm schwer. Bis auf Achsen und Lager sowie ein paar Schrauben bestehen alle Teile aus Holz. Und die Lokomotive fährt. Martin Rindlisbacher hat sie für eine hölzerne Bahnanlage mit Spurweite 80 und zugleich 127 Millimeter konstruiert. «Meines Wissens existiert nirgendwo sonst eine solche Holzbahn», sagt Rindlisbacher.

Mädchenarbeit im Heim

Entstanden ist die Idee dazu bei Rindlisbachers Arbeit als Werkstattleiter im Heim der Viktoria-Stiftung Richigen. Dort werden Jugendliche, die sich in einer Krise befinden, aufgenommen (siehe Kasten). Rindlisbacher betreut junge Frauen zwischen 13 und 18 Jahren beim Werken im Atelier. Bis vor einigen Jahren gab es dort noch eine Spielzeugproduktion. Daraus entwickelte sich das Projekt Holzbahn. «Als ich auf Anfrage einer Kindergärtnerin ein hölzernes Tram baute, kam mir der Gedanke, solche Grossmodelle könnten im Heim auch die jungen Frauen herstellen.»

Eine amerikanische Dampflok der Baureihe Mason Bogie aus dem Jahr 1883 bildete den Kern des Projekts. In der Werkstatt der Viktoria-Stiftung entstand die ganze Holzbahn mit einem rund ein Meter hohen Unterbau, hölzernen Schienen, der Dampflokomotive und acht Wagen. Die jungen Frauen sägten, schraubten, schliffen. Sie montierten Schienen, Wagen- und Lokteile und fertigten Unterbaugestelle an. Eine der Bewohnerinnen drechselte sogar Räder für Wagen und Lokomotive. Über Jahre wurden verschiedene Dampflokomotiven und Eisenbahnwagen gebaut. Die Begeisterung der Teenies für die Arbeiten sei geteilt gewesen, erzählt Rindlisbacher. «Einigen war die Arbeit zu langweilig. Es gab aber immer wieder solche, die mit Eifer dabei waren.» Drei Jahre dauerte es, bis die Bahn vollendet war. Rund 50 junge Frauen bauten in dieser Zeit mit.

Bahn ist nun im Toggenburg

Seither hat Martin Rindlisbacher die Anlage mehrmals an Ausstellungen gezeigt – und den Zug fahren lassen. Feuer und Dampf sind bei der Holzlok keine Antriebsoption. Ein Elektromotor im Tender liefert die nötige Kraft. Die Antriebsteile der Lokomotive aber – Kolben-, Treib- und Kuppelstangen – bewegen sich wie beim grossen Vorbild. «Mir ist es wichtig, dass beim Modell alle Teile funktionstüchtig sind», umschreibt Rindlisbacher seine Philosophie. So sind denn seine Lokomotiven aus mehreren Tausend Teilen zusammengesetzt.

Nun muss er jedoch Abschied nehmen. Die Holzbahn inklusive Western-Dampflok und Wagen geht ans Museum Erlebniswelt Toggenburg in Lichtensteig SG. Am Wochenende, am Fest zum zehnjährigen Bestehens des Museums, hat sie Martin Rindlisbacher offiziell übergeben. Dort besteht bereits eine Modellanlage, und im Museum arbeiten Leute, welche die Bahn aus Richigen betreuen können. «Ich gebe sie gerne aus der Hand», stellt Rindlisbacher klar, «denn ich will, dass sie weiterlebt. Im Museum ist die Bahn noch viele Jahre eine Attraktion für die Besucher.» Das Eisenbahnvirus wird Rindlisbacher nicht so schnell verlassen. In seiner Freizeit baut er kleinere Modelle – Loks und Wagen von älteren, meist amerikanischen Bahnen. Dafür verwendet er allerdings Metall. Holz als Werkstoff bleibt für die Arbeit im Jugendheim vorbehalten – als Nebenprodukt des Werkstattleiters. Dort kann er weiter an der Jubilee-Lokomotive arbeiten, zwischendurch, wenn er die jungen Frauen in der Werkstatt anleitet. «Ich kann jeweils nur wenige Minuten am Stück arbeiten. Denn die Betreuung der Mädchen hat Vorrang.» Doch irgendwann wird auch diese Holzlok fertig sein. Herbert Rentsch Infos: www.fluhdesign.ch


Das Heim

Sozial auffällig Das Heim der Viktoria-Stiftung in Richigen (Gemeinde Worb) ist eine Stätte, wo normal begabte, aber sozial und verhaltensauffällige Jugendliche eine Zeitlang leben. Eingewiesen werden die 12- bis 22-Jährigen durch ein Gerichtsurteil oder durch einen Entscheid zu einem Fürsorgerischen Freiheitsentzug. Im Heim gibt es geschlossene Bereiche sowie offene Gruppen. Die Jugendlichen bleiben in der Regel ein bis drei Jahre im Heim. Sie besuchen intern oder extern den Schulunterricht oder absolvieren eine berufliche Ausbildung. Die Viktoria-Stiftung bietet 41 Plätze an, davon 17 in geschlossenem Rahmen.hrh

Autor:in
Herbert Rentsch, Berner Zeitung
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Erstellt: 15.04.2013
Geändert: 15.04.2013
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