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Roland Griessen will es wissen: 2000 km zu Fuss durch die USA

Roland Griessen hat bei seiner ersten Wanderung durch die Appalachen Schlangen, Bären und vieles mehr gesehen. Zweimal musste er seine Wanderung abbrechen, jetzt will er 2000 Kilometer zu Fuss bis in den Norden der USA. Im BERN-OST-Interview erzählt er, wie er 250 Kilometer mit gebrochenem Fuss unterwegs war und warum er sich dies antut.

Roland Griessen wandert mit 13 Kilo Gepäck am Rücken vom Süden in den Norden der USA. (Foto: Roland Griessen)
Man muss das Wetter nehmen wie es ist. (Foto: Roland Griessen)
Roland Griessen: "Ich weiss nicht, ob ich es diesmal schaffe." (Foto: Rolf Blaser)
Unterwegs auf dem Appalachian Trail. (Foto: Roland Griessen)
Geschlafen wird im Zelt. (Foto: Roland Griessen)

Roland Griessen (66) aus Richigen hat 2017 erstmals den Appalachian Trail in Angriff genommen. Das ist eine 3500 Kilometer lange Wanderung. Sie beginnt im amerikanischen Bundesstaat Georgia und führt durch 14 Staaten über die Appalachen bis nach Maine. Griessen musste nach einer Fussverletzung aufgeben, beim zweiten Versuch scheiterte er an Erschöpfung und flog nach Hause.

 

Von den 3500 hat er 1500 Kilometer bereits zu Fuss zurückgelegt. Griessen ist allein unterwegs mit Rucksack, Zelt, Schlafsack, Matte und Kochutensilien. Im April kehrt er zurück nach Amerika und will den Rest des Weges von Waynesboro, Pennsylvania nach Mount Katahdin, Maine, zurücklegen.

 

BERN-OST: Roland Griessen, wie kamen Sie zum Wandern?

Roland Griessen: Wir sprechen vom Weitwandern. Solange ich mich erinnern kann, bin ich unterwegs. Mein Vater kommt aus der Lenk, dort entdeckte ich meine Liebe zur Natur und den Bergen.

 

Gingen Sie oft wandern?

Als Kind nahm ich an Volksläufen teil, dem 2-Tage-Marsch, später dem 100-Kilometer-Lauf von Biel, den ich aber nicht zu Ende lief. Da war der Faktor Zeit, der mir nicht passte. Ich mag das nicht, wenn ich getrieben werde. Wenn ich aufhören will, dann höre ich auf.

 

Woher kam die Idee, den 3500 Kilometer langen Trail zu gehen?

Zuerst ging ich mit einem Kollegen nach Nepal. Dort machten wir die Anapurnarunde 350 Kilometer mit 15'000 Höhenmetern. Das nahm mir den Ärmel rein. Es gibt einen schönen Indianerspruch: Gehe nie schneller, als die Seele mitkommt.

 

Kommen Sie bei solchen Wanderungen in Kontakt mit der Bevölkerung?

Oh ja, sehr viel. Man muss offen sein, ich hatte unzählige Erlebnisse mit Leuten, das war extrem bereichernd. Ich erlebte eine Freundlichkeit in den USA bei den sogenannten Hillbillies. Wir waren unterwegs, hatten 35 Kilometer hinter uns, ich war völlig kaputt. Wir hätten von einem Parkplatz abgeholt werden sollen, aber es klappte nicht. Es regnete in Strömen, wir gingen zu Fuss weiter, haben versucht Autostopp zu machen, aber da hält keiner.

 

Wie ging es weiter?

Wir kamen zu einem alleinstehenden Haus, Hunde bellten, wir klopften, ein älteres Ehepaar öffnete und bat uns rein. Wir waren tropfnass, sie tischten Cola auf, gaben uns Tücher zum Trocknen, boten uns Whisky an. Das war so eindrücklich, diese Gastfreundschaft, wir kamen aus dem Dunkeln und wurden mit offenen Armen empfangen.

 

Sie waren zu Fuss auch in der Schweiz unterwegs, wie erlebten Sie hier die Gastfreundschaft?

Leider weniger, hier begegnen einen die Leute eher mit Distanz. Die Herzlichkeit wie in den USA spürt man hier nicht. Das schlimmste Erlebnis war im Waadtland Richtung Genf, in den Vororten war es furchtbar. Überall heisst es, kein Durchgang, Privatweg, man hat das Gefühl man sei nicht erwünscht. Ganz anders war es auf der Via Berna, die haben sich was überlegt.

 

Beim Appalachian Trail hatten Sie beim ersten Mal einen Unfall, beim zweiten Mal mussten Sie wegen Erschöpfung aufgeben, was war passiert?

Es ging körperlich nicht. Mir fehlte die Erfahrung, ich hatte das unterschätzt. Ein Problem ist die Ernährung, wenn man 20 Kilometer pro Tag unterwegs ist, sollte man täglich 5000 Kalorien zu sich zu nehmen. So viel Essen kann man gar nicht bei sich haben.

 

Ich hörte auf, weil ich in 72 Tagen 15 Kilo abgenommen hatte. Ich hatte keine Kraft mehr, nach jedem Kilometer musste ich anhalten und brauchte eine Pause. Ich schaffte dann noch einen Kilometer pro Stunde, da muss man aufhören. Es geht rauf und runter, man trägt 13 Kilo am Rücken. Da musste ich mir eingestehen, dass es keinen Sinn mehr macht. Der Tank war leer.

 

Denken Sie, dass Sie es jetzt beim dritten Anlauf schaffen?

Keine Ahnung, ob ich es schaffe. Ich werde sehen, wie weit ich komme. Ich behaupte nicht, dass ich den Weg zu Ende mache, das wäre vermessen.

 

In Ihrem Blog habe ich gelesen, dass das Wetter ziemlich wild war?

Ja schon, es braucht eine innere Härte. Wenn man morgens um fünf erwacht, es regnet in Strömen, ist kalt und du weisst, du musst weiter. Raus aus dem Zelt, alles ist nass, man muss etwas essen, die Morgentoilette, packen und gehen. Das muss man wollen, man darf das nicht hinterfragen. Das Wetter ist einfach da, mal ist es heiss, dann schneit es.

 

Ist das Wetter im April besser als letztes Mal im März?

Jein. Die Appalachen sind die erste Erhebung nach dem Atlantik, das Wetter ist extrem. Man bewegt sich zwischen 1200 und 1500 Metern und geht bis maximal 1900 Meter hoch. Es geht immer rauf und runter, manchmal verflucht man das.

 

Wie waren die Erlebnisse beim ersten Mal 2017?

Man muss mit sich selbst zurechtkommen. Man darf nicht erwarten, dass einem geholfen wird. Wenn dir das Messer fehlt, hast du ein Problem. Es ist eine Erfahrung, die man macht, wie man unter bestimmten Bedingungen reagiert. Was ich schön finde, ist die Interaktivität mit der Natur. Man ist aufmerksamer und merkt, dass man der Fremdkörper ist. Man erlebt Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, das ist faszinierend. Manchmal war ich einen Tag unterwegs und sah keinen Menschen.

 

Der Appalachian Trail wurde in den 20er Jahren angelegt. Etwa alle 18 bis 22 Kilometer hat es eine Stelle zum Übernachten. Dort hat es einen kleinen, gedeckten Unterstand, Wasser, ein Plumpsklo und Platz zum Campen. Etwa alle 50 Kilometer gibt es die Möglichkeit mit einem Shuttlebus einkaufen zu gehen. Auf der Route selbst hat es keine Restaurants, kaum Läden, die Route führt abseits der Wohngebiete über die Berge. Auf dem Trail sind keine Fahrzeuge erlaubt, auch keine Velos.

 

Welche Tiere haben Sie gesehen?

Man sieht viele Rehe, auch von ganz nah, die rennen nicht weg. Viele Vögel, Stinktiere, Insekten, Falter, Spinnen. Ich hatte eine Spinnenphobie, die ich auf dem Trail loswurde. Es hat Füchse, Kojoten hab ich nur gehört, Schlangen, Uhus und Schwarzbären habe ich viele gesehen. Man sollte einem Bären nicht zu nahekommen, sodass er sich nicht bedroht fühlt. Der Schwarzbär ist Vegetarier, dennoch muss man auf das Essen, welches man mitführt, aufpassen. Nachts hängt man das Essen auf, damit die Bären nicht rankommen.

 

Haben Sie sich mal gefragt, warum tue ich mir das an?

Das kommt schon ab und zu vor. Ich hoffe, ich schaffe 100 Kilometer pro Woche. Das sollte realistisch sein. Nach etwa 20 Wochen wäre ich am Ziel. Solange es körperlich und mental geht, wandere ich weiter. Ich hatte körperlich immer Probleme. Erst hatte ich einen Fersensporn, dann kamen Misstritte dazu. Die letzten 250 Kilometer des Jakobswegs ging ich mit gebrochenem Mittelfussknochen.

 

Sie scheinen einiges auszuhalten.

Schmerzen gehören dazu, ohne geht es nicht. Man hat Muskelkater, Bauchschmerzen, die Füsse tun weh, das muss man ertragen können. Auf dem Trail gibt es ein Sprichwort: No rain, no pain, no Maine, auf Deutsch: Ohne Regen, ohne Schmerzen kommst du nicht nach Maine.

 

[i] Roland Griessen berichtet laufend von seinen Wandererlebnissen unter roland.reisen

 

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Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 05.03.2023
Geändert: 06.03.2023
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