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Rudolf Scheidegger: "Wachstum ist kein Ziel für uns"

In einer losen Folge sprechen wir mit Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten in der Region. Ruedi Scheidegger (62), parteilos, Gemeindepräsident von Herbligen, spricht über die Abhängigkeit einer kleinen Gemeinde vom Kanton und dass Münsingen für den Stau in Herbligen verantwortlich ist.

Ruedi Scheidegger: "Die Vorgaben des Kantons sind happig." (Bild: Rolf Blaser)

BERN-OST: Ruedi Scheidegger, wie geht es Ihnen?

Ruedi Scheidegger: Es läuft erstaunlich gut. Ich habe Freude an meinem Job. Ich habe das Gefühl, dass ich eine gute Akzeptanz habe. Wir haben im Dorf eine sehr gute Kultur. Man achtet, schätzt und grüsst einander. Das motiviert mich den Job zu machen.

 

Wie merken Sie das?

Ich bekomme gutes Feedback. Ich denke, die Bevölkerung ist positiv gegenüber der Arbeit des Gemeinderats und der Verwaltung eingestellt. Man muss sich nicht verstecken mit seiner Meinung.

 

Wie läufts im Gemeinderat?

Bei uns sind alles Parteilose im Gemeinderat. Es ist wie überall, es ist schwierig, Leute zu finden. Vor zwei Jahren war ich bis einen Tag vor der Gemeindeversammlung auf der Suche.

 

Vor 20 Jahren war Gemeinderät:in noch ein Ehrenamt. Heute ist halt die Belastung im Job für alle höher. Wenn dann noch eine Familie da ist, sind die meisten ausgefüllt. Deshalb ist es so schwierig, Leute zu finden.

 

Herbligen hat 600 Einwohner:innen – kennt man sich untereinander?

Mittlerweile nicht mehr ganz alle. Das war zu meiner Schulzeit oder als unsere Kinder zur Schule gingen schon noch der Fall. Es hat neue Überbauungen gegeben, da gibt es auch immer wieder Wechsel. So kennt man heute nicht mehr jede:n im Dorf.

 

Sind Sie in Herbligen aufgewachsen?

Ja, auf dem elterlichen Hof, in dessen Stöckli ich heute noch wohne. Erst habe ich den Hof vom Vater übernommen, heute ist mein mittlerer Sohn Betriebsleiter. Er betreibt Ackerbau, hält Pensionspferde und schottische Hochlandrinder.

 

Wie hat sich Herbligen verändert?

Das Verkehrsaufkommen ist immens, da ist Münsingen schuld. Wer nach Zäziwil oder Konolfingen will, fährt über Kiesen via Herbligen. Es gibt jeden Tag Stau. Manchmal sogar vom dem Kreisel Oberdiessbach bis zur Unterführung.

 

Wie geht es der Gemeinde Herbligen?

Der Gemeinde geht es recht gut. Wir müssen 'Sorg' haben mit den Finanzen. Wir haben mit 1.70 nicht den tiefsten Steueransatz, wir können uns nicht alles leisten. Wir haben eine Schulgemeinschaft mit Brenzikofen für die Unter-, Mittelstufe und Kindergarten. Ab dem Oberstufenalter gehen die Kinder in Oberdiessbach zur Schule.

 

Wie steht es um die Infrastruktur?

Vom Schulraum her sind wir gut unterwegs. Aber wenn das mal ändert, wird das zu einer Herkulesaufgabe.

 

Was kostet, ist der Unterhalt der Gewässer. Wir haben die Chise und Moosgräben. Die Vorgaben des Kantons sind happig, zudem werden ständig die Vorschriften geändert. Beispielsweise in Oberdiessbach beträgt der Gewässerraum von der Mitte der Chise 12 Meter nach links und rechts.

 

Das ist ein Gewässerraum, der geschützt ist. Wir in Herbligen gingen auch von 12 Metern aus. Wir beauftragten ein Ingenieurbüro, und dann hiess es plötzlich vom Kanton, es seien nun 14, statt 12 Meter. Das kostet schnell mal 60'000 Franken und bringt nichts ausser Aufwand.

 

Mischt sich der Kanton zu sehr ein?

Wenn es um Abwasser, Bau- und Gewässerräume geht, auch beim Budget der Gemeinde, so ist man bei vielem an den Kanton gebunden. Bei der Verwaltung kann die Gemeinde noch ein wenig sparen. Aber viel Spielraum bleibt da nicht mehr.

 

Mit welchen Problemen kämpft Herbligen?

Das Wachstum ist extrem eingeschränkt. Wir sind eine zentrumsnahe, ländliche Gemeinde, hier ist nicht mehr viel möglich. Wir haben Landschaftsschongebiete und nur noch wenige Baureserven. Ein normales Haus in der landwirtschaftlichen Zone hat keine Chance ausgebaut zu werden.

 

Auf der anderen Seite ist auch schön, wenn man sieht, wie Kinder auf dem Land aufwachsen können. Das ist das auch viel Wert.

Die kantonalen Auflagen sind sehr streng, wir haben da keinen Spielraum. So gesehen, ist Wachstum kein Ziel für uns.

 

Wie sieht es aus mit dem öV in Herbligen?

Die Anschlüsse sind gut. Mit der BLS gelangt man von Oberdiessbach nach Burgdorf und Thun. Es hat einen Bus von Herbligen nach Münsingen (20 Minuten) und von dort fährt die S-Bahn nach Bern. Oder man fährt mit dem Velo nach Kiesen und mit der S-Bahn nach Bern.

 

Wie sieht es aus mit impfen? Hat die Gemeinde etwas unternommen?

Nein, überhaupt nicht. Die, die sich damit befassen, die machen das. Aber wir als Gemeinde sind nicht aktiv geworden. Auch vom BAG hat nie ein Kontakt stattgefunden.  

 

Hat Corona in Herbligen Spuren hinterlassen?

Nein, wir haben keine Arbeitslosen und keine Sozialfälle. Finanziell wird dies die Gemeinde nicht belasten.

 

[i] Herbligen wurde urkundlich erstmals im Jahr 1302 erwähnt. Herbligen hat rund 600 Einwohner:innen, es liegt zwischen Oberdiessbach und Oppligen. Der Gemeinderat besteht aus sieben Mitgliedern, zwei Frauen und vier Männern.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 17.10.2021
Geändert: 17.10.2021
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