• Region

Schlosswil - Schlossmeister und "e guete Cheib"

Quelle
Der Landbote

Marcel Schweingruber ist zwar nicht ein Herr, aber ein Meister allemal. Der ausgebildete Schreiner und Maschinist aus Walkringen arbeitet in einem Beruf, der heute wohl zu einem der seltensten überhaupt geworden ist: Er ist Schlossmeister auf den beiden Schlössern Wyl und Ursellen.

Schlossmeister Marcel Schweingruber (Bild: zvg)

 Ein Märchen. Zweifelsohne. Das Schloss Wyl liegt eingebettet in einer Landschaft, die ihm wie ein Teppich zu Füssen liegt. Und die dort ewig so liegen bleiben will: unschuldig, unverbraucht und unverbaut. Aufreizend im spätnachmittäglichen Herbstlicht. Gestreichelt von sanften Sonnenstrahlen. Eine von der Ewigkeit verwöhnte Landschaft ist es, in die sich die beiden Schlösser gesetzt haben, wie Kaiser und Kaiserin auf ihren Thron.

 

Der Meister, der selbst einen Herrn hat

Kein Märchen ohne Gefahr, von der Gegenwart eingeholt zu werden. Einer Gegenwart, die durch ihre "schöne neue Welt", dem Zeitalter des Internets, alle alten Geister, Feen und Hexen zu verjagen versucht. Wäre da nicht Marcel Schweingruber, der "Bewahrer der Möglichkeiten" sozusagen. Der gedachte Gedanken und erlebte Gefühle alter Seelen zu erfühlen gewillt ist, indem er an sie glaubt. Schweingruber ist Schlossmeister, Butler und Chauffeur seines Herrn, dem Schlösserbesitzer, Schloss Wyl und Schloss Ursellen, Matthias Steinmann, Professor der Medienwissenschaften, Berufspilot und wagemutiger Unternehmer mit eigener Stiftung. Steinmann, mehrfacher Jakobswegbestreiter und selbst, unter anderem, Krimi-schreibender Buchautor, hat eine Lebensgeschichte, die sich aufdrängt, erzählt zu werden. Doch diesmal zum Schlossmeister Schweingruber, der darauf achtet, dass die Schicksale – die sich im Schloss vollzogen und die sich noch immer als stumme Erinnerung eines weisen Weltgedächtnisses den alten Mauern entlang ranken – nicht vergehen und verblühen wie vom Strauch abgetrennte Rosenköpfe. Der weiss, dass die alten Steine so manches Geheimnis verbergen und schwer auf manchen Seelen lasten, die hier ihre letzte Stunde fanden.

 

Der 54-Jährige ist offen genug, ihren stummen Seufzern zu lauschen, sie für möglich zu halten, die Ereignisse. Die freudigen und garstigen. Stimmen, die raunen vom Leid der Gefangenen, die vor hunderten von Jahren in die Kellerverliese hinuntergelassen wurden, um zu frieren, zu hungern, zu verzweifeln. Und die anderen, die fröhlichen, die um das Lachen wissen, um Momente des Glücks, der Liebe und der Freude.

 

Ein "Freude-Herrsch(t)aftshaus" sei sein Schloss Wyl, schmunzelt der über 70 Jahre alte Schlossherr Matthias Steinmann, der kürzlich gerade wieder vom erneuten Bestreiten des Jakobswegs zurück kam, der ihn für seine Geschichten inspiriert. "Dass ich mein Schloss so nennen darf, habe ich mit Altbundesrat Adolf Ogi abgesprochen." Ein Freude-Herrschaftshaus deshalb, "weil hier Paare gern heiraten, da das Schloss über zwei prächtige Standesämter verfügt."

 

Der Schreiner, der den Garten macht

Seit sechs Jahren nun arbeitet Marcel Schweingruber in den beiden Schlössern Schloss Wyl und Schloss Ursellen, worin sein Herr wohnt. Dort verbringt der Schlossmeister so manche Stunde in dessen Dienst. "Ich trage mein Telefon stets bei mir. Wenn der Schlossherr ruft, bin ich bereit."

 

Morgens beginne er seine Arbeit jeweils im Schlösschen Ursellen, bevor er dann am Nachmittag ins nahe Schloss Wyl wechsle. "Erst erledige ich die Morgenpost, mache einen Rundgang durchs Schloss." Danach nehme er die Aufträge des Chefs entgegen. Wie sehen diese aus? "Manchmal bringe ich eines der Autos in die Werkstatt, wechsle Reifen oder tanke die Fahrzeuge auf." Manchmal erledige er Reparaturarbeiten in und an beiden Schlössern. Er mähe Rasen oder putze auch mal was. Gerade sei während Monaten die Aussenfassade des Schlosses Wyl renoviert worden. "Ich koordinierte die Arbeiten und war mit den Handwerkern in täglichem Kontakt."

 

Bei Anlässen hisse er die Flaggen, sehe nach den Parkuhren oder weise, wenn Gäste erwartet würden, diese in die Parklücken ein. Abends kümmere er sich schliesslich um die Abrechnungen. Aber nicht nur Gärtner, Parkwart, Kaufmann, Handwerker, Maschinist, Schreiner, Kommunikator und "Rechte Hand" sei er. "Ich betreue über hundert Forellen, die im Parkteich ausgesetzt wurden." Daneben kümmert er sich um Wasser – den Springbrunnen – und Land. Auch Nägel schlage er ein.

 

Die Bibliothek halte er in Stand. Gemälde und Bilder hänge er auf. Darunter diejenigen von Ted Scapa, dessen Lebenswerk zur Zeit im Schloss Wyl gezeigt wird. Ein anderes Bild, wohl von einem unbekannten Künstler, ist mehrere Meter lang, auf Leinwand gemalt und auf Holz aufgezogen, ein Ungetüm voller Leben und in trommelnder Farbe erzählter Geschichten. "Dies hat mir viel Improvisationsvermögen abverlangt. Aber schliesslich gelang es mir, es zu bändigen und aufzuhängen." Seit einiger Zeit schmückt das Riesenkunstwerk aus Venedig eine ebenso riesige Wand. Bezwungen von einem Mann, der nicht aufgibt. Der zwar unscheinbar sein Tageswerk verrichtet, nichtsdestotrotz aber überall seine "Handschrift" hinterlässt.

 

Und nicht nur aufhängen, reparieren, verwalten und instand halten kann der Meister der beiden Schlösser, die umrahmt werden von Münsingen, Worb, Konolfingen und Grosshöchstetten: Seinem Beruf und Herrn zu Ehren schuf er zu dessen Geburtstag im Schlosskeller eine Bar aus zwei Fässern und den halben Stämmen eines Nussbaums. Wunderschön. Das warme, weiss-braun gefaserte Holz verleiht dem alten Verlies einen Hauch Frieden – wenn es gelingt, über die eisernen Fussfesseln, die noch fest im kalten Steinboden verankert sind, hinwegzublicken.

 

Der Töfffahrer, der durchs Feuer geht

Natürlich sei er auch Chauffeur. "Kürzlich fuhr ich den Schlossherrn spontan ins Tessin." Wenn dieser es wünsche, fahre er ihn bis ans Ende der Welt. "Sofern ich am Abend wieder zu Hause bei Verena, meiner Frau, bin" Trotz des Schalks ist der 54-Jährige ein eher ernst wirkender Mann. Einer, dem das Leben nichts mehr vormacht. Der zupacken kann und einstecken. Der dem Leben die Stirn bietet und dem Alltag die Hand. Einer "aus dem Volk", der, im Gegensatz zu seinem würdevoll wirkenden Herrn, nichts Distinguiertes an sich hat. Contenance indes schon. Und eine leicht gelangweilt wirkende Gelassenheit, die vergeblich eine tief im Innern brodelnde Leidenschaft zu verbergen versucht. Dann, wenn der ergebene Diener zum eigenen Herrn und Meister wird. Wenn er von seinem seltenen – "es gibt nur 14 davon in der Schweiz" – Side- Bike der Marke "Zeus" erzählt zum Beispiel. Einem aussergewöhnlichen Motorrad mit Seitenwagen. Dem einzigen Gespann, wie er sagt, in dessen Seitenwagen die Mitfahrenden keine Helme brauchen, da es einen Überrollbügel, eine geschlossene Scheibe, hat. Wie ein Mikrosmart. Ein smartes Gefährt eben. Silbern und edel, das er – natürlich mit ihm als Fahrer – gern vermietet: an Brautpaare, Jubilare, Geburtstagskinder, Ausflügler aller Art, die sich vom Schlossmeister höchstselbst in glückliche Stunden chauffieren lassen wollen.

 

Er habe noch andere Motorräder, ein Museum fast, frotzelt er. Da gebe es eine Yamaha, seine erste. Und mehrere Maschinen von Triumph. Ja, Ducatis auch. Und eine Kawasaki. "Meine Frau Verena fährt eine Can-Am Bombardier." Was das ist? "Das ist ein Töff, der vorne zwei Räder hat und hinten eins."

 

Und sonst? Was treibt den Umtriebigen sonst noch an? "Ich bin einmal durchs Feuer gelaufen. Gemeinsam mit meiner Schwester." Die Vorbereitung für das Über-heisse-Kohlen-Laufen habe Stunden in Anspruch genommen. "Meine Schwester und ich konnten einander, wenn wir uns gegenseitig die Handflächen entgegenhielten, so, wie man es tut, um die Aura des Gegenübers bewusst wahrzunehmen, nicht mehr nahekommen. Der mentale Abstand, der sich durch die Willenskraft gebildet habe, sei fast physisch zwischen ihnen gestanden. "Diese Willenskraft ist nötig, um unversehrt über die glühenden Kohlen zu laufen. Ich habe es geschafft. Die ganze Strecke. Ich habe keine einzige Verletzung davongetragen."

 

Der Willensstarke, der an Höheres glaubt

Gerade weil er um seine eigene mentale Kraft, um die Stärke seines Willens weiss, ist er überzeugt, dass es noch etwas gibt, "das stärker ist als wir Menschen. Ja, ich glaube an eine höhere Macht." Auch Parapsychologischem gegenüber ist er offen. "Ich achte auf meine Intuition. Auf mein Gefühl, das meinen Geist, wenn es wesentlich wird, zu überzeugen vermag. Ich bin sicher, dass die Intuition einen vor Unwillkommenem bewahren kann. Wenn man offen ist und bereit, auf sie zu hören."

 

So sei er einmal nicht auf sein Motorrad gestiegen. "Ich hatte die Motorradkleidung bereits angezogen. Aber eine Art Vorahnung sagte mir deutlich, dass ich nicht fahren dürfe. Sodass ich die Klamotten wieder auszog und daheim blieb." Oft seien auch Dinge eingetroffen, die er vorausgeahnt habe, selbst wenn er sie im Moment nicht benennen könne. "Vielleicht bin ich diesbezüglich einfach etwas sensitiver als andere." Glaubt er an Geister? "Ich habe einen siebten Sinn, ja – und schon einiges erlebt im Leben." Dass er durch seine Offenheit in Bezug auf Zeit und Raum gut in ein Schloss passt, ist ihm nicht unangenehm. Und auf die Frage: "Herr Schweingruber, wer sind Sie?", sagt er lapidar und lächelnd: «I bi eifach e liebe Cheib.»

 

[i] Schlossmeister Marcel Schweingruber stellt Interessierten sein Side-Bike "Zeus" als Taxi mit Chauffeur zur Verfügung: 079 892 52 43.


Autor:in
Sonja L. Bauer, Der Landbote/zvg
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 21.11.2018
Geändert: 21.11.2018
Klicks heute:
Klicks total: