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Schulen der Region: Das lukrative Geschäft mit den auswärtigen Schülern

Quelle
Berner Zeitung BZ

In einer Woche geht die Schule wieder los. Dann werden erneut Schüler auf andere Schulstandorte verteilt. Die von der Wohnsitzgemeinde zu entrichtenden Gelder können für die neue Gemeinde finanziell attraktiv sein.

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Schulinspektor Christoph Joss sagt, dass bei der Schulorganisation finanzielle Aspekte immer wichtiger werden. (Bild: Patric Spahni)
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Im Schulhaus Linden werden wieder Oberstufenschüler unterrichtet. Die Zusammenarbeit mit Oberdiessbach wurde beendet. (Bild: Markus Hubacher)
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Im Schulhaus Brenzikofen gibt es keine Realschule mehr. Diese wurde ins benachbarte Oberdiessbach verlegt. (Bild: Stefan Kammermann)
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Schulstatistik: Rückgang der Schulklassen Seit dem Schuljahr 2000/2001 hat die Zahl der Klassen um über 12 Prozent abgenommen. (Grafik: Berner Zeitung BZ)
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Schulstatistik: Die grössten und die kleinsten Schulverbände. (Grafik: Berner Zeitung BZ)
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Die Ausnahme bestätigt die Regel. Während in den letzten Jahren landauf, landab Klassen geschlossen und Schüler vermehrt in benachbarten Gemeinden unterrichtet wurden, wählte Linden den umgekehrten Weg: Die Gemeindeversammlung entschied sich jüngst für eine eigene Sekundar- und Gesamtschule im Dorf und damit für die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit der Sekundarschule Oberdiessbach. Der Grund für den ungewohnten Schritt: die Finanzen. Man erspare sich so 60'000 Franken pro Jahr, liess der Lindener Gemeinderat verlauten. Während Oberdiessbach von sogar 100'000 Franken redet, die der Sekundarschule nach dem Abgang der derzeit 23 Oberstufenschüler aus Linden verloren gehen.

Dass Letztere mit einer eigenen Schule tatsächlich Geld sparen kann, wird in Oberdiessbach bezweifelt. "Die Schule ist in einer Gemeinde aber neben der Feuerwehr halt immer noch das A und O", kommentiert Christoph Joss, Schulinspektor und Gemeinderat von Oberdiessbach, den Schritt. Klar ist, dass beim Entscheid, die Schüler im eigenen Dorfschulhaus zu behalten oder in einer Nachbargemeinde unterrichten zu lassen, finanzielle Überlegungen massgebend geworden sind. Inzwischen lässt sich denn auch genau ausrechnen, wie viel ein Schüler die Gemeinde kostet.

Ideale Klassengrösse

Möglich macht dies die Neuerung im 2008 revidierten Gesetz über den Finanz- und Lastenausgleich, wonach der Kanton seinen 70-prozentigen Anteil an den Lehrerkosten aufgeteilt hat: 50 Prozent übernimmt er pauschal, 20 Prozent entrichtet er als einheitlichen, individuell errechneten Schülerbeitrag. Der einzelnen Gemeinde bleiben somit 30 Prozent der Kosten, die sie selber zu tragen hat. Will sie aus dorfpolitischen Gründen eine teure Schule mit kleinen Klassen und relativ vielen Lehrern führen, zahlt sie mehr als diese 30 Prozent. Dazu kommen die Infrastrukturkosten für das Schulhaus. So wird sich eine Gemeinde überlegen, ob sie etwa die Realklasse in der eigenen Schule aufheben will und dafür Platz findet für die Primarschule, ohne dass das Schulhaus erweitert werden muss. Eine solche Lösung hat die kleine Gemeinde Brenzikofen für sich gefunden, indem sie ihre Realschule ins benachbarte Oberdiessbach verlegte.

Der Brenzikofer Entscheid spült der neuen Schulstandortgemeinde Oberdiessbach jedes Jahr mehrere Zehntausend Franken ein. "Kinder von anderen Gemeinden zu erhalten, ohne deswegen neue Klassen eröffnen zu müssen, ist lukrativ", weiss Joss. Eine solche Lösung sei für beide Gemeinden interessant, wenn dadurch ideal grosse Klassen gebildet werden könnten. Und diese Grösse liegt gemäss Berechnungen der Erziehungsdirektion aktuell bei 20 bis 22 Schülern pro Klasse. Joss: "Die Gemeinden sind seit dem neuen Finanzierungsmodus bestrebt, gute Lösungen für die Schulorganisation zu finden, die den pädagogischen Auftrag gewährleisten, aber gleichzeitig auch einen Blick auf die Kosten wirft."

Trend zu Schulverbänden

Die Konsequenz: Das "Aussiedeln" von Schülern aus Kostengründen ist kein Tabu mehr. Wie viele einzelne Gemeinden ihre schulpflichtigen Kinder an einem anderen Schulstandort unterrichten lassen, ist statistisch nicht erhoben. Fest stehen einerseits ein markanter Rückgang der Schulklassen in den vergangenen 15 Jahren (siehe Grafik) und eine steigende Anzahl von Schulverbänden. Aktuell sind auf der Erziehungsdirektion 44 Schulverbände registriert. Die Grösse dieser Verbände variiert von Hilterfingen, Oberhofen und Thun mit mehreren Dutzend Lehrkräften und 677 Schülerinnen und Schülern bis hin zu Miniorganisationen mit gerade mal 9 Schülern und 1,26 Vollzeiteinheiten (1 Vollzeiteinheit entspricht einer 100-prozentigen Primarlehrerstelle) im Berner Jura. Entsprechend unterschiedlich sind die von Kanton und Gemeinden zu tragenden Kosten. Wobei in den angegebenen Summen nicht nur die Lehrerlöhne, sondern allenfalls auch Aufwendungen für "Integration und besondere Massnahmen" enthalten sind.

Diverse Modelle

Wie verwoben die Gemeinden ihre Pflicht zur Ausbildung der Schüler inzwischen organisiert haben, belegen Beispiele aus Joss’ Kreis 11 (Emmental/Oberaargau): Burgdorf unterrichtet Kinder aus Heimiswil und Kirchberg, das wiederum in einem Schulverband mit Ersigen, Aefligen, Rüti bei Lyssach, Kernenried, Rüdtligen-Alchenflüh und Lyssach verhängt ist; Koppigen hat mit Willadingen, Hellsau, Höchstetten und Alchenstorf die gesamte Schule vom Kindergarten bis in die 9. Klasse unter einen gemeinsamen Verband vereint und so das Problem des Schulgeldtransfers von Gemeinde zu Gemeinde gelöst. Die gleiche Lösung haben Wynigen und Seeberg gefunden, aber auch die Gemeinden Utzenstorf, Bätterkinden, Wiler bei Utzenstorf und Zielebach haben sich zu einem Verband zusammengeschlossen. Die Kinder aus Zauggenried (neu Dorfteil von Fraubrunnen) gehen in das Schulhaus in Kernenried zur Schule, wofür Fraubrunnen das Schulgeld bezahlt; während Hasle, nach detaillierter Finanzanalyse des Gemeinderates, seit einigen Jahren auch die Realschüler nach Rüegsauschachen gibt. So kann Hasle das nun leere Schulhaus Schafhausen als Asylzentrum zur Verfügung stellen, was willkommene Mieteinnahmen in die Gemeindekasse spült.

"Es ist ein Aushandeln zwischen den Gemeinden", kommentiert Schulinspektor Christoph Joss das Abtreten von Schülern in andere Schulgemeinden. Und weil dabei zunehmend finanzielle Überlegungen mitspielten, kommt er emotionslos zum nüchternen Schluss: "Letztlich werden Schüler zum Kostenfaktor."

[i] SCHULKOSTEN

Die steigende Zahl von Wohnortgemeinden, die ihre Schüler in anderen Schulgemeinden unterrichten lassen, hat die Erziehungsdirektion des Kantons Bern zum Erlass von Richtlinien für die Berechnung von sogenannten Schulkostenbeiträgen veranlasst. Für das Schuljahr 2016/2017 empfiehlt der Kanton Vernun den Gemeinden folgende Beiträge: Kindergarten 2520 Franken, Primarstufe 4200 Franken, Sekundarstufe 4370 Franken.

Diese Beiträge dienen den Abgeltungen für den Schulbetrieb (Schulmaterial und -mobiliar) und für die Schulinfrastruktur (Heizungs-, Hauswarts-, Wasser- und Stromkosten sowie Gebäudeunterhalt). Hinzu kommen die Gehaltskosten für das Lehrpersonal: Sie betrugen im Schuljahr 2014/2015 im Durchschnitt aller Schulstufen 9536 Franken pro Schüler. Davon hat die Wohnsitzgemeinde 50 Prozent als Gehaltskostenbeitrag an die Schulortsgemeinde zu überweisen. Dieser Aufwand wird ihr jedoch durch den 20-prozentigen Schülerbeitrag des Kantons vermindert. Und: Für die Entschädigung von Schülertransporten wegen "unzumutbarer Schulwege" hat der Regierungsrat kürzlich einen Kredit von 4,2 Millionen Franken bewilligt.


Autor:in
Urs Zurlinden, Berner Zeitung BZ
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Erstellt: 09.08.2016
Geändert: 12.08.2016
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