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Domizil Ferdi Münsingen - Alles ist bereit, aber die Gäste fehlen

Die langjährige Pflegefachfrau Verena Specker hat in Münsingen eine Tagesstätte mit Mittagstisch für Seniorinnen und Senioren gegründet. Ihr Ziel: Entlastung für die Angehörigen und weniger Einsamkeit für die betagten Menschen. Aber der Anfang ist harzig, die Gäste bleiben aus. Specker und ihr Team fragen sich jeden Tag, woran es liegen könnte.

Der Tisch ist gedeckt. Verena Specker (Mitte), Leiterin des Domizil Ferdi in Münsingen und ihre Mitarbeiterinnen Melanie Schütz (links) und Lucila Forti hoffen, dass ihr Angebot endlich genutzt wird. (Bild: Annalisa Hartmann)
Das Wohnzimmer ist eingerichtet. Fast das gesamte Mobiliar wurde von Menschen gespendet, die das Projekt unterstützen. (Bild: zvg)
Selbst gebackene Güezi stehen auf dem Tisch. (Bild: zvg)

Gino, der Hund, ist der Erste, der die Gäste am Finkenweg 32 in Münsingen begrüsst. Er ist freundlich, nicht stürmisch. Und das ist wichtig. "Ich habe ihm beigebracht, dass er nicht an Personen hochspringt. Rollatoren kennt er", sagt seine Besitzerin Verena Specker. Sie ist langjährige Pflegefachfrau. Den 10-jährigen Gino hat sie schon von klein auf zu ihren Einsätzen mitgenommen, er ist den Umgang mit betagten oder kranken Menschen gewöhnt.

 

In der Küche duftet es bereits nach Mittagessen, Verena Specker kocht Siedfleisch mit Gemüse und Merrettichsosse. Ein Essen, "wie man es von früher kennt". Das Menü hat sie bewusst ausgesucht. Die Idee ist, dass sich Seniorinnen und Senioren zu ihr an den Tisch setzen könnten, dass sie ein frisch zubereitetes und gesundes Essen in einer familiären Atmosphäre geniessen könnten.

 

Entlastung für die Angehörigen

"Domizil Ferdi. Senioren-Tagesstätte Münsingen" heisst das Angebot von Verena Specker. Die 4,5 Zimmer-Wohnung ist zentral gelegen, ganz in der Nähe des Spitals. Auf dem Wohnzimmertisch liegen Gesellschaftsspiele und ein Rezeptbuch für Waffeln, zwei Zimmer sind als Ruhezimmer mit Betten eingerichtet. Es gibt einen grossen Balkon, auch ein kleines Gartenbeet schwebt der Initiantin vor, oder Spaziergänge mit Gino. Beim Domizil Ferdi handelt es sich um ein flexibles Betreuungsangebot. Betagte oder kranke Menschen können hier zwei, vier oder acht Stunden verbringen. Neben Verena Specker arbeiten auch Melanie Schütz und Lucila Forti Jaggi als Betreuerinnen.

 

Die Idee: Betagte Menschen sollen nicht einsam sein und sich nicht isoliert fühlen. Im Domizil Ferdi sollen sie einen Ort haben, an dem sie mit anderen Menschen in Kontakt sind, an dem in familiärer Atmosphäre für sie gesorgt wird, einen Ort, wo es ihnen nicht langweilig ist. Gleichzeitig möchte Verena Specker mit ihrem Angebot die Angehörigen entlasten. In ihrer 28-jährigen Erfahrung als Pflegefachfrau im Spital, Altersheim, bei der Spitex und in der Psychiatrie hat sie es zur Genüge miterlebt, wie Angehörige an ihre Grenzen gestossen sind, wie die tägliche Verantwortung zur Belastung wurde.

 

Die Gäste fehlen - Team ist ratlos

Die drei Frauen wollen allen Beteiligten helfen. Es ist ihnen wichtig, dass ihr Angebot flexibel und nicht mit regelmässigen Verpflichtungen verbunden ist. "So können Angehörige unkompliziert auf uns zukommen, wenn sie selber einmal krank sind oder einen Termin haben", sagt Specker. Die drei Frauen haben sich viele Gedanken gemacht, sprudeln vor Ideen. Sie sprechen von Bastel- und Spielnachmittagen, einer Foto-Show. Alles ist bereit. Nun fehlt nur noch eines: die Gäste. Seit einem Monat ist die Tagesstätte geöffnet, seitdem hat sich noch keine Person zur Betreuung angemeldet. Verena Specker und ihr Team sind ratlos. "Wir fragen uns jeden Tag, woran es liegen könnte", sagt Lucila Forti.

 

Dabei hat alles so gut angefangen. Am Tag der offenen Tür, den sie letzten Monat veranstaltet haben, seien 100 interessierte Personen am Finkenweg vorbei gekommen, die Rückmeldungen waren durchwegs positiv. Auch die Nachbarinnen und Nachbarn seien vorbei gekommen. Im Vorfeld waren alle gefragt worden, ob sie damit einverstanden sind, wenn in ihrem Block eine Senioren-Tagesstätte entsteht. Auch hier waren alle begeistert von der Idee.

 

Specker erfährt sehr viel Zuspruch. Bis auf Tisch und Stühle wurde sämtliches Mobiliar von Personen gespendet, die das Projekt unterstützen wollen. Das sind die Momente, die die Pflegefachfrau ermutigen.

 

"Wir wollen noch nicht aufgeben"

In anderen Momenten kommen wieder die Fragen. "Eine Tagesstätte für Senioren ist etwas, was es hier in der Region noch nicht gibt", sagt Specker. Sie probiert nun auf verschiedene Art und Weise, auf das Projekt aufmerksam zu machen. Durch eine Waffel-Aktion am Pflanzenmarkt, durch ein Youtube-Video, durch regelmässige Posts auf der Facebook-Seite. "Wir wollen noch nicht aufgeben", sagt Specker. Bis im Herbst kann sie das Projekt noch aus der eigenen Tasche finanzieren, ihren Angestellten auch einen fairen Lohn zahlen. Darauf legt sie Wert.

 

Bis im Herbst bleiben noch ein paar Monate Zeit. Specker hat eine Spendenkampagne lanciert, um die Finanzen zu sichern und auch finanziell schwächer gestellten Personen die Möglichkeit zu bieten, das Angebot zu nutzen.

 

Die Finanzen sind das Eine, die Nachfrage das Andere. "Wir sind sehr offen", sagt Specker. Die drei Betreuerinnen sind gerne bereit, auch psychisch kranke oder alkoholabhängige Personen am Finkenweg zu empfangen, sofern sie in der Tagesstätte nicht trinken. "Wir könnten uns zudem vorstellen, uns noch weiter auf andere Krankheiten zu spezialisieren, zum Beispiel MS", sagt Specker. Sie kann sich einfach nicht vorstellen, dass niemand daran interessiert ist, dieses Angebot zu nutzen. Noch gehen die Ideen nicht aus.

 

"Wir starten ab sofort ein Café mit Betreuung. Die Idee ist, dass Angehörige mit ihren Betagten zu uns ins Café kommen können und sich nach und nach zurück ziehen", sagt Mitarbeiterin Melanie Schütz. "Wir geben noch nicht auf", betont Specker noch einmal.


Autor:in
Annalisa Hartmann, annalisa.hartmann@bern-ost.ch
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Erstellt: 01.05.2019
Geändert: 01.05.2019
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