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Solidarische Landwirtschaft: "Mis Gmües" trägt auch Lern-Früchte
Ein langer Ackerstreifen, darauf eine Reihe Holzschilder mit Namen – das sieht man im Moment vom solidarischen Landwirtschaftsprojekt "Mis Gmües" auf dem Münsinger Schwand. Schon letztes Jahr konnte man sich hier im Rahmen des Bio-Ackerbautages ein bereits bepflanztes Beet mieten und später den Ertrag selber ernten. Nun ist ein zehnköpfiges Team dabei, das Projekt zwecks Längerfristigkeit auf neue Füsse zu stellen.
Noëmi Töndury und Michael Rauch initierten das Projekt vergangenes Jahr für den Bio-Ackerbautag. Die beiden sind bei der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen als Assistierende angestellt. In dieser Funktion und im Rahmen des Bio-Ackerbautages auf dem Schwand entwickelten sie "Mis Gmües" als Beispiel für solidarische Landwirtschaft (Solawi). Die Idee kam an. "Letztes Jahr haben wir fünfzig Parzellen vermietet, aktuell haben wir für dieses Jahr rund dreissig Anmeldungen", sagt Töndury.
Da der letztjährige Rahmen nicht mehr besteht und Töndury und Rauch ihre Einsätze nicht mehr auf Arbeitszeit leisten können, haben sie eine neue Lösung gesucht. "Wir haben die Leute vom letzten Jahr gefragt, wer hilft, weiterzumachen", erzählt Rauch. Zehn Leute meldeten. Sie bilden nun eine Kerngruppe, die das Projekt neu organisiert. Nächsten Montag steht die Vereinsgründung an.
Selber jäten und ernten
Solawi ist nichts Neues. Aber bei "Mis Gmües" umfasst die Feldarbeit, für die das "Mis Gmües"-Team bezahlt wird, weniger Aufgaben als bei anderen Solawi-Projekten. Den aufwändigsten Teil der Arbeit übernehmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
"Ich mache die Fruchtfolgeplanung auf dem Feld, organisiere die Setzlinge und die Arbeitseinsätze beim Pflanzen", sagt Rauch. Urs Siegenthaler, Bio-Bauer auf dem Schwand und Kerngruppenmitglied, bereitet den Acker vor. Dann wird gepflanzt. "Je nach Abo helfen die Teilnehmenden dabei mit", sagt Rauch. Wer 300 Franken bezahlt, verpflichtet sich zu mindestens vier Stunden Mitarbeit, für 400 Franken ist man davon befreit. Danach bewässern die "Mis Gmües"-Leute nur noch, das Jäten und Ernten – das Aufwändigste – übernehmen die Teilnehmenden.
"Dadurch brauchen wir keinen Lager- und Kühlraum oder andere Infrastruktur um das Gemüse zu waschen und zu verpacken, und auch das Ausliefern entfällt", sagt Rauch. Somit sei das Projekt vom Aufwand her recht simpel. Das könnte sich auch positiv auf den erhofften Nachahmungseffekt bei anderen Landwirtinnen und Landwirten auswirken, der mit ein Ziel des Projekts ist. "Das könnte schon der Fall sein, wenn sichtbar wird, dass nicht der ganze Betrieb umstrukturiert werden muss, um Menschen in die Produktion mit einzubeziehen", ergänzt Töndury.
Die Leute aufs Feld bringen
Im Moment leistet die Kerngruppe noch viel Goodwill-Arbeit. "Das Ziel ist aber, dass wir über die Abos 60 Franken pro Stunde Arbeit bezahlen können", sagt Rauch. Es solle nicht Gratis-Arbeit sein, damit die Leute billiges Gemüse haben könnten. Und: "Sie bezahlen bei uns die Arbeit und nicht das Produkt."
Das hat etwas mit dem Lerneffekt zu tun, der "Mis Gmües" bieten soll. "Das Ziel ist es, die Konsumierenden auf das Feld zu bringen", erklärt Rauch. Die Herausforderungen und der Aufwand in der Landwirtschaft sollen aufgezeigt, das Denken angeregt werden.
Knacknuss Schädlinge am Bio-Gemüse
Gerade auch im Hinblick auf die Bio-Landwirtschaft. "Mis Gmües" funktioniert nämlich nach Demeter-Richtlinien. "Die Leute sollen merken, dass es weniger Ertrag gibt, wenn es zum Beispiel Schädlinge hat", sagt Siegenthaler. Das sei vielen nicht bewusst. "Im Coop-Säckli hat es immer gleich viel drin", sagt er.
Letztes Jahr gefährdeten etwa Kartoffelkäfer die Ernte. Viele der Teilnehmenden seien aus Überzeugung gegen Pflanzenschutzmittel. "Doch sie sind sich nicht bewusst, welche Folgen es hat, wenn man keines einsetzt", sagt Rauch. Man entschied sich dann für das Ablesen der Käfer. "Dann fragte jemand, was er nun mit den abgelesenen, lebenden Käfern machen solle", ergänzt Töndury. Ja, das Töten gehöre auf manchem Bio-Landwirtschaftsbetrieb auch zum Alltag.
Grosser Lerneffekt
"Die Leute haben 'henne fiu' gelernt", sagt Töndury. Einige hätten sich sogar mit eigenen Internet-Recherchen weitergebildet und seien "kleine Gemüseprofis" geworden. Auch aus Misserfolgen lernten manche. "Wer zu wenig jätete, hatte kleineres Gemüse", sagt Siegenthaler.
Zum Lerneffekt beigetragen haben auch die Ratschlag-Videos, die Rauch via WhattsApp-Gruppe an die Teilnehmenden verschickt hat. Darin erklärte er zum Beispiel, wo frisch angesät war, damit besonders die Kinder dort nicht hintraten, oder wann man mit der Salaternte beginnen sollte, damit man "nachema mit ässe". "Das wurde sehr geschätzt", betont Aneka Iseli, Gärtnerin auf dem Schwand und ebenfalls Kerngruppenmitglied. Und Siegenthaler ergänzt: "Fiu wüsse gar nid, was Gjätt u was Gmües isch."
Unterstützung von der Bio Schwand
Der "Mis Gmües"-Acker gehört übrigens Siegenthaler. Die benachbarte Bio Schwand AG stellt dem Projekt zudem Infrastruktur zur Verfügung. "Unsere Teilnehmenden dürfen das WC benutzen und im 'Wöschhüsli', dem Znüni-Raum auf dem Schwand, etwas trinken", sagt Töndury. Das sei sehr praktisch.
Bald beginnt die Saison. Am 28. März gibt es einen Startevent. "Es geht darum, die Leute kennen zu lernen, ihnen den Acker und das Gelände zu zeigen und die Organisation vorzustellen", sagt Rauch. Zudem würden die Schilder für die Beete gemalt und die Einsätze verteilt. Und es hat noch freie Beete zu mieten...
[i] Zur Webseite von "Mis Gmües"
Erstellt:
14.03.2020
Geändert: 14.03.2020
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