Spurensuche im Ortsnamen: Wichtrach - Eine Sage und zwei Dorfhälften
In einer neuen Serie werfen wir einen Blick zurück in die Vergangenheit und gehen der Herkunft der Gemeindenamen unserer Region auf den Grund. Den Anfang macht Wichtrach: Als BERN-OST dort unterwegs war, stiessen wir immer wieder auf den Drachen und fragten uns, wo dieser seinen Ursprung hat.
Die Sage vom Drachen
Der Name Wichtrach soll einer Sage nach von einem Drachen stammen, der einst im Haubenwald hauste und das Aaretal unsicher machte. Er raubte Menschen und Tiere, und viele mutige Männer scheiterten im Kampf gegen das Ungeheuer. Ein fahrender Schüler riet den verzweifelten Menschen, eine Lanze mit geweihtem Wasser zu besprengen und beim Angriff dreimal „Wiich Drach“ zu rufen.
Ein Priester führte die Prozession gegen den Drachen an, rief die Worte und stieß die Lanze in dessen Rachen. Das Untier brach tot zusammen, und das Volk feierte die Erlösung mit einem Dankgottesdienst. Als Erinnerung stellten sie die Lanze in der Kirche auf und benannten ihr Dorf „Wiichdrach“, woraus später Wichtrach wurde. Noch heute zeigt das Wappen eine Lanze als Symbol des einstigen Kampfes.
Historische Herleitung
Laut Dr. Erich Blatter könnte der Name Wichtrach auf eine ursprüngliche, gallo-römische Form wie Victoriâcum oder Victriâcum zurückgehen. Der erste Teil stammt vom römisch-lateinischen Personennamen Victorius oder Victrius, während die Endung -âcum einen Besitz anzeigte. Solche Ortsnamen entstanden häufig während der römischen Herrschaft und bezogen sich auf Besitzer römischer Landgüter.
Erste urkundliche Erwähnungen stammen aus dem Jahr 1180, als ein „sacerdote Hugo de Wichroho“ in einer Urkunde auftaucht. Später, 1266, sind die Namen „superiori Wichtrach“ (Oberwichtrach) und „inferiori Wichtrach“ (Niederwichtrach) belegt.
Die Trennung von Ober- und Niederwichtrach
Über Jahrhunderte entwickelten sich Ober- und Niederwichtrach unterschiedlich. Niederwichtrach gehörte zur weltlichen Herrschaft Münsingen, während Oberwichtrach unter der Kontrolle des Klosters Einsiedeln stand. Dies führte zu sozialen Unterschieden: Niederwichtrach hatte mehr Landlose und Kleinbauern, während Oberwichtrach mit seinen handwerklichen Betrieben wirtschaftlich stabiler war.
Auch bei der Infrastruktur machte sich die Trennung bemerkbar. Während Bern bereits 1606 eine „Landschulordnung“ erließ, dauerte es bis 1720, bis Wichtrach eigene Schulen hatte. 1771 wurde schließlich die gemeinsame Schule aufgelöst, sodass beide Ortsteile eigene Schulen führten.
Ein weiteres Beispiel für die geteilte Entwicklung zeigt sich beim Bau der Eisenbahnlinie Bern–Thun. Niederwichtrach und Münsingen verweigerten anfangs die Planauflage. Erst als Oberwichtrach realisierte, dass kein Bahnhof vorgesehen war, setzte es sich zusammen mit umliegenden Gemeinden erfolgreich für eine Haltestelle ein.
Die Fusion zur heutigen Gemeinde
Die soziale und strukturelle Trennung hielt lange an. Erst durch Vereine – etwa den 1856 gegründeten Männerchor – kamen die beiden Dorfteile einander näher. Die endgültige Fusion wurde aber erst am 6. November 2001 beschlossen. Am 23. April 2003 folgte die Annahme des Fusionsvertrags in beiden Gemeinden.
Das neue Wappen
2003 wurde ein Wettbewerb für das Wappen der fusionierten Gemeinde ausgeschrieben, den der Schüler Jonas Galli gewann. Für das neue Wappen wurden in das bisherige Wappen von Oberwichtrach die Farben des Niederwichtracher Wappens übernommen. Nachforschungen des Staatsarchivars ergaben, dass Wichtrach mit seinem neuen Wappen über eines der ältesten belegten Wappen sämtlicher bernischer Gemeinden verfügt. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und geht auf die mittelalterliche Familie von Wichtrach zurück.
Das Wappen zeigt eine silberne (weisse) Pflugschar auf rotem Grund, was auf die landwirtschaftliche Prägung der Region hinweist. Die Kombination der Wappenfarben von Ober- und Niederwichtrach symbolisiert das Zusammenwachsen der einst getrennten Gemeinden. Interessanterweise sind Pflugmotive in der Heraldik oft ein Zeichen für Fruchtbarkeit, Arbeit und Bodenständigkeit, was gut zur Geschichte der Gemeinde passt.
Fazit
Die Geschichte Wichtrachs zeigt, wie sich Legenden, römische Besiedlung und politische Strukturen in einem Ortsnamen widerspiegeln können. Ob der Name nun tatsächlich auf einen Drachen oder einen römischen Gutshof zurückgeht – die Vergangenheit Wichtrachs bleibt faszinierend. Zudem verdeutlicht die Entwicklung des Wappens, wie Geschichte und Identität einer Gemeinde auch in ihren Symbolen weiterleben.
[i] Quellen sind verschiedene von der Gemeinde zur Verfügung gestellte Dokumente.