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Strompreis Richigen: Der Shitstorm blieb aus

"Man kennt Richigen jetzt wegen dem hohen Strompreis und nicht mehr wegen Francine Jordi", sagte ein Mann im vollen Saal des Rössli Richigen. Dort fand am Mittwochabend eine Informationsveranstaltung zum Strom statt. Die Leute wollten wissen, warum sie so viel bezahlen. Trotz vieler Fragen blieb die Stimmung friedlich.

Der Saal im Rössli Richigen war voll. (Fotos: Rolf Blaser)
Die Vertreter der Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen: Stefan Hagen, Paul Gerber, Bänz Hofmann und Bruno Läderach (von links)

"Für uns ist der Worstcase eingetroffen", sagt Stefan Hagen. Er ist Sekretär bei der Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen (LKR). Zu viert sassen die Vertreter der LKR vorne am Pult. Die LKR versorgt Richigen seit 119 Jahren mit Strom. Zu Beginn wurde erwähnt, dass der Strom in den letzten Jahren im Schnitt 4 Rappen billiger war als bei der BKW. Das mag stimmen, interessierte aber im vollen Saal des Rösslis kaum. Die Leute wollten wissen, warum der Strom jetzt so teuer ist, wie es zu diesem "Worstcase" kam.

 

So kam es zum hohen Strompreis

"Wir haben die Lage falsch eingeschätzt", sagt Kassier Bänz Hofmann. Anfang Jahr kostete der Strom an der Börse noch 17 Rappen. "Zu diesem Zeitpunkt dachten wir, das sei zu teuer und warteten ab." Im Jahr zuvor kaufte Richigen den Strom zu rund acht Rappen ein, verständlich, dass die LKR 17 Rappen als teuer einstufte. Ende Februar griff Russland die Ukraine an und der Preis stieg. Die LKR berief eine Vorstandssitzung ein. Der Preis stieg weiter, die LKR wartete ab.

 

Seit Jahren kauft Richigen den Strom im Voraus für drei Jahre ein. Pech, dass just dieses Jahr der Strom eingekauft werden musste. Bis Ende August hatte Richigen Zeit, den Strom zu kaufen, so schreibt es die Stromaufsicht Elcom vor. Mitte August kaufte die Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen Strom zu einem Preis von knapp 60 Rappen pro Kilowattstunde. Sie bezahlte somit fast neun Mal mehr als früher.

 

Hoher Verlust budgetiert

Die Bürger:innen in Richigen bezahlen nächstes Jahr netto je nach Tarif zwischen 40 und 60 Rappen pro Kilowattstunde. Dazu kommen noch Netznutzung und Abgaben. Die LKR gibt den Strom billiger ab als sie ihn eingekauft hat. Sie rechnet mit einem tiefen sechsstelligen Verlust fürs nächste Jahr. Immerhin eine gute Nachricht kann Bänz Hofmann vom LKR verkünden: "Für 2024 gehen wir von einem um 30 Rappen tieferen Preis gegenüber 2023 aus." Diesen Strom hat die LKR zwar noch nicht gekauft, sie werde dies bis Ende Jahr machen.

 

Keine Wahlmöglichkeit

Wer in Richigen wohnt, muss den Strom zwingend bei der LKR beziehen. Ein Wechsel zur BKW gehe leider nicht. Den Stromanbieter frei wählen können nur Firmen, die mehr als 100'000 Kilowattstunden im Jahr verbrauchen. Solche Firmen gibt es in Richigen nicht. Die LKR sei bei der Strommarktliberalisierung aus der Grundversorgung ausgestiegen, das habe das Gesetz so vorgesehen. Eine andere Möglichkeit gab es damals im Jahr 2008 nicht.  

 

Fragen aus dem Publikum

Ein Mann wollte wissen: "Was hättet ihr besser machen können? Man kennt Richigen nun wegen dem hohen Strompreis und nicht mehr wegen Francine Jordi." Das sei schwierig zu beantworten, hiess es. Früher hatte die BKW hohe Preise, die LKR tiefe. Jetzt sei es umgekehrt. Man werde prüfen, den Strom in kleineren Tranchen einzukaufen. An der nächsten Generalversammlung werde man auch darüber diskutieren, ob man in einen Strompool wechsle, wo der Strom mit mehreren kleineren Stromanbietern zusammen gekauft wird. Schlüsse könnten noch nicht gezogen werden, dies müsse erst aufgearbeitet werden.

 

Zur Photovoltaik

Es wurde auch viel über Photovoltaik-Anlagen gesprochen. Die LKR habe bereits Abklärungen in diese Richtung getroffen. Wenn verschiedene Haushalte gleichzeitig eine PV-Anlage installieren möchten, könnte man dies bündeln, um so einen besseren Preis zu erhalten. Interessierte könnten sich bei der LKR melden.

 

Ein Mann fragte, ob überlegt werde, eine grössere Photovoltaik-Anlage zu installieren, um damit das gesamte Dorf mit Strom zu versorgen. Die Antwort von Paul Gerber war klar: "Nein, das ist nicht angedacht, weil wir das nicht stemmen können."

 

Zur Zukunft LKR

Weiter wurde gefragt, ob die Licht- und Kraftgenossenschaft noch eine Zukunft habe oder aufgekauft werden könnte. Ob die Genossenschaft weiter existiert, werde an der Generalversammlung besprochen. Sollte eine Mehrheit das nicht mehr wollen, dann wäre das so. Zu einem Verkauf der LKR sagte deren Präsident Paul Gerber: "Jemand würde uns wohl schon nehmen, aber im Moment können wir dazu nichts sagen."

 

Zum Rössli

Auch um das Restaurant Rössli machten sich mehrere Einwohnerinnen Sorgen: "Was machen wir mit dem Rössli, welches massiv höhere Stromkosten hat?" – "Hier essen", wurde vereinzelt gemurmelt. Ein Vertreter der LKR sagte, der Betrag, den der Wirt (auch gegenüber BERN-OST) genannt habe, stimme nicht ganz. Zudem sei man mit dem Wirt zusammengesessen und habe ihm einen Spezialpreis unterbreitet.

 

Zur Existenz

Es gebe Leute im Dorf, welche durch die hohen Strompreise so stark belastet würden, dass sie sich einen Umzug in einen anderen Ort überlegten. Ob man diesen Leuten nicht helfen könne? "Wir nehmen das so auf", sagte LKR-Präsident Gerber. Dieselbe Antwort gab Gerber auf die Frage, ob Richigen mit dem Strom nicht gleichgeschaltet werden könne wie Worb.

 

Zum Strom

Warum man den Strom im Aargau und nicht bei der BKW gekauft habe, wollte jemand wissen. "Weil die BKW teurer war", so die Antwort.

 

Lob

Zum Schluss sagt ein Mann: "Man muss auch sagen: Die LKR hat während vielen Jahren gute Arbeit geleistet. Die Stromversorgung war immer gut. Klar seid ihr Schuld. Aber man sollte das Ganze ein wenig runtertemperieren. Wenn wir jetzt den Anbieter wechseln, ist nicht alles gut. Das Problem liegt am System." Dieser Meinung schliesst sich eine Frau an: "Stimmt, aber man hätte früher eine Versammlung einberufen sollen." Zum Ende des Anlasses erhält die Licht- und Kraftgenossenschaft Richigen noch einen Applaus.

 

[i] Beispiel Münsingen: Münsingen wird von den Infrawerken Münsingen versorgt, die selbständig, aber vollständig in Gemeindebesitz sind. Die Infrawerke produzieren mit eigenen PV-Anlagen, einem Kleinwasser- und einem Blockheizkraftwerk 13,6 Prozent des Stromes selber, den Löwenanteil kaufen sie, wie Richigen, auf dem freien Markt. 22.68 Rappen kostete die kWh in Münsingen 2022, 32.49 Rappen werden es 2023 sein. Das entspricht einer Preiserhöhung um rund 43 % (BERN-OST berichtete).

 

Die Spezialfinanzierung "Stromversorgung" der Münsinger Infrawerke steht auf gesunden Füssen. Zwar fuhr sie 2021 einen Verlust über 73'000 Franken ein, verfügt aber immer noch über ein solides Eigenkapital von gegen 13 Millionen Franken.

 

Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne) vertritt im Verwaltungsrat die Einwohnergemeinde. Weder die Gründung der Infrawerke noch ihre Überführung in eine selbständige Gemeindeunternehmung vor gut 20 Jahren sei je umstritten gewesen, sagt Beat Moser. "Man muss aufpassen, dass man jetzt nicht nur die letzten Monate anschaut. Die Münsinger Strompreise lagen die letzten 5 Jahre rund 20 Prozent unter den Preisen der BKW, ab Januar ist es umgekehrt"

 

Das bestätigt zumindest SP-Co-Präsident Beat Sommer, der sich parteiintern umgehört hat. Sein Fazit: Alle stehen hinter den Infrawerken. Etwas skeptischer äussert sich SVP-Präsident Henri Bernhard. Seine Partei sei der Meinung, dass man das Geschäftsmodell der Infrawerke vertieft anschauen müsse und werde dazu an der nächsten Parlamentssitzung einen Vorstoss einreichen.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 15.09.2022
Geändert: 23.09.2022
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