• Region

Nach Überfall: Täter wandert für fünf Jahre hinter Gitter

Wie soll man reagieren, wenn zwei Maskierte vor der Tür stehen und einen mit einer Pistole drohen? Dies passierte zwei jungen Frauen in Bolligen. Aus dem Nichts wurden sie bedroht und zur Herausgabe von Geld gezwungen. Diese Woche standen die beiden Täter vor Gericht.

Zu zweit drangen zwei Maskierte in eine Wohnung in Bolligen ein. (Foto: Rolf Blaser/Symbolbild)

Es ist kein alltäglicher Fall, der diese Woche vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verhandelt wurde. Ein junger Mann ist wegen versuchter Erpressung, Raub, Freiheitsberaubung und wegen der Benutzung von Falschgeld angeklagt. Dazu kamen 15 weitere Delikte, die er zwischen April 2019 und März 2020 begangen haben soll. Das Gericht verurteilte ihn zu einer langen Gefängnisstrafe.

 

Schlechte Vorzeichen

Der Angeklagte namens Luca ist Schweizer und heute 23-jährig. Luca ist in der Region aufgewachsen. Kurz nach der Geburt stirbt sein Vater. Mit 12 will seine Mutter nichts mehr mit ihm zu tun haben. Mit 13 beginnt er Drogen zu konsumieren, mit 14 wird er straffällig, mit 15 fliegt er von der Schule. Eine Ausbildung beginnt er nie. Er lebt fortan auf der Strasse, lebt vom Geld, welches er durch Diebstähle und Dealen einnimmt.

 

Wenn Maskierte Geld verlangen

An einem Freitagabend im März 2020 traf Luca seinen Freund Pietro. Zusammen schlugen sich die beiden die Nacht um die Ohren. Sie konsumierten Marihuana, Kokain, Speed, starke Schmerzmittel und spülten das Ganze mit Alkohol runter. Nach durchzechter Nacht kam der Angeklagte am Samstagmorgen auf die Idee, bei einem Kollegen Geld einzutreiben.

 

Sie begaben sich an die Dorfstrasse in Bolligen, maskierten sich und klingelten morgens um halb acht bei den Eltern des Kollegen. Als dessen Mutter zum Fenster rausschaute, rief ihr der Angeschuldigte zu, dass ihr Sohn ihm 3'000 Franken schulde. Sie soll ihnen das Geld geben. Statt Geld zu geben, rief die Mutter den Vater. Dieser drohte die Polizei zu rufen, worauf die beiden Maskierten davonrannten.

 

Maskierter Überfall in Wohnung

Nachdem dieser Plan gescheitert war, beschloss Luca, Kollege Armin zu besuchen. Auch dieser schuldete ihm angeblich Geld. Die beiden marschierten zur Wohnung von Armin an der Gerenstrasse in Bolligen. Was sie nicht wussten: Armin wohnte gar nicht mehr dort. Sie klingelten und gaben an, von der Kantonspolizei zu sein. In der Wohnung wohnten Karina (19) und Gabriela (26).

 

Sie öffneten die Tür und die beiden Maskierten traten sofort ein. Luca hielt eine Kleinkaliberpistole in der Hand, Pietro eine Schreckschusspistole. Beide trugen Masken und Handschuhe. Sie fragten nach Kollege Armin und sagten, dass dieser ihnen 7'500 Franken schulde. Als die Frauen antworteten, dass Armin nicht mehr hier wohne, sagten die Maskierten, dann müssten sie ihnen Geld geben.

 

Teil einer "mafia-orientierten" Gang

Der angeschuldigte Luca zeigte mit der Waffe auf eine der Frauen und sagte, wenn sie das Geld nicht lieferten, müssten sie dies mit dem Leben bezahlen. Sie gehörten zu einer mafia-orientierten Gang und hätten die Waffen nicht zum Spass dabei. Zudem verfüge er über einen Folterkeller, wo er sie hinbringen würde, sofern sie nicht zahlten.

 

Die Frauen gerieten in Panik, worauf Luca Pietro anwies, eine der beiden mit Kabelbindern zu fesseln. Luca forderte die Herausgabe der Identitätskarten, fotografierte diese und drohte den Frauen, dass sie auch in Zukunft nicht mehr sicher seien. Darauf sagte Gabriela, dass sie das Geld beschaffen könnte. Sie würde mit dem Auto zur Bank fahren und Geld abheben. Luca war einverstanden.

 

Mit dem Auto zur Bank

Pietro sollte mit der gefesselten Karina in der Wohnung warten, während Luca und Gabriela zur Bank fuhren. Laut Gabriela konnte sie eine so hohe Summe nicht am Bankomaten abheben, sie schlug vor, zur Bankfiliale in Biglen zu fahren. Plötzlich zog Pietro seine Maske ab, legte die Pistole zur Seite und sagte, dass er nun gehen werde. Luca ging darauf mit den beiden Frauen zu deren Auto.

 

Er war weder in Besitz eines Fahrausweises noch in fahrfähigem Zustand. Er setzte sich ans Steuer, die beiden nahmen hinten Platz. Luca fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit via Bantiger Richtung Stettlen. Auf der Flugbrunnenstrasse verlor er die Kontrolle über den Corsa und kollidierte mit einem Verkehrsleitpfosten. Danach konnte Luca durch die Kantonspolizei Bern angehalten werden.

 

Frühere Drohungen

Schon vor dieser Tat versuchte Luca bei verschiedenen Personen Geld einzutreiben. Einmal ohrfeigte er mehrmals einen Bekannten und forderte von ihm 2'000 Franken. Als dieser kein Geld rausrückte, rief Luca die Mutter des Bekannten an und sagte ihr, er habe ihren Sohn gefesselt. Wenn sie ihm kein Geld gebe, schneide er ihm einen Finger ab. Die Mutter gab vor, dass sie ihm das Geld bis am Abend überweisen werde. Stattdessen rief sie die Polizei.

 

Einbruch in Schule und Inforama

Im August 2019 brach der beschuldigte Luca in mehrere Gebäude ein. Darunter die Rudolf Steiner Schule, das Schulhaus Rain in Ittigen, die Christopherus Schule in Bolligen und das Inforama Rütti in Zollikofen. Die Deliktsumme dieser Einbrüche beträgt um die 7'500 Franken. Erbeutet wurden Laptops, Digicams und Kreditkarten.

 

Drogen und Falschgeld

Der Angeschuldigte hat zudem mehrmals im Frühling 2020 mit gefälschten 50-Euro-Noten bei verschiedenen Tankstellen Waren gekauft. Weiter hat er 120 Gramm MDMA-Pulver in die Schweiz importiert. Zudem hat er regelmässig Marihuana und Kokain konsumiert. Über die Internetplattform tutti.ch hat er zwei Mal Airpod Kopfhörer angeboten. Diese wurden über Twint bezahlt, ausgeliefert hat der die Kopfhörer nie.

 

Die Verteidigung

Der Angeschuldigte hat sämtliche Taten gestanden bis auf den Einbruch ins Inforama Rütti. Der Verteidiger forderte für den angeschuldigten Luca eine unbedingte Freiheitsstrafe von 37 Monaten. Die Staatsanwältin forderte 56 Monate plus zusätzlich eine therapeutische Massnahme.

 

Das Urteil Luca

Das Dreiergericht beurteilt das kriminelle Verhalten strenger als die Staatsanwältin. Das Gericht verurteilt Luca zu 59 Monaten Gefängnis, also rund fünf Jahren. Dazu erhält er eine stationäre therapeutische Massnahme. "Das Gericht erachtet die Rückfallgefahr als gross", sagt der Gerichtspräsident zum Abschluss.

 

Das Urteil Pietro

Im Gegensatz zu Luca scheint Pietro den Tritt gefunden zu haben. Er hat eine Malerlehre begonnen und wird vom Lehrmeister und den Angestellten geschätzt. Zudem ist Pietro heute drogenfrei, nicht vorbestraft und war eher der Mitläufer, nicht die treibende Kraft hinter den Taten. Der Mitangeklagte Pietro erhält eine bedingte Gefängnisstrafe von 23 Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren.

 

Die bedrohten Frauen traten als Privatklägerinnen auf, jede von ihnen erhält eine Genugtuung von 8'000 Franken. Diese muss von den Verurteilten je zur Hälfte bezahlt werden.

 

[i] Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verurteilten können innert 10 Tagen beim Berner Obergericht Berufung einreichen.

 

[i] Alle Namen wurden geändert

 

[i] Luca wurde am 28.3.2020 verhaftet und verbrachte danach 284 Tage in Untersuchungshaft. Am 21. Januar 2021 trat er den vorzeitigen Strafvollzug im Thorberg an. Nachdem der Gerichtspräsident das Strafmass verlesen hatte, stand Luca auf und wollte den Saal, begleitet von der Polizei, verlassen. Auf den Einwand des Gerichtspräsidenten, dies sei respektlos, meinte Luca lediglich, die Urteilsbegründung interessiere ihn nicht.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
Statistik

Erstellt: 25.09.2022
Geändert: 27.09.2022
Klicks heute:
Klicks total: