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Unfall im Wislentunnel Worb: So erlebten zwei junge Ärzte den Einsatz

Bei einem Drehtag für die SRF-Sendung «PulsCheck» mit Schutz und Rettung Bern erleben die jungen Ärzte Afreed Ashraf und Willi Balandies den Ausnahmezustand: Im Wislentunnel kämpfen sie Seite an Seite mit Profis um Menschenleben – und erleben hautnah, was Notfallmedizin ausserhalb des Spitals bedeutet. Wir wollten von ihnen wissen, wie sie sich bei einem solchen Einsatz gefühlt haben.

Schwerer Unfall im Wislentunnel: Der Einsatz ging den jungen Ärzten Afreed Ashraf (links) und Willi Balandies unter die Haut. (Foto: Screenshot «PulsCheck» SRF/cw)
Afreed Ashraf (links) und Willi Balandies drei Monate nach dem Einsatz beim Interview in Bern. (Foto: cw)
Afreed Ashraf vor Ort: Er ist in Worb aufgewachsen, der Grosseinsatz im Wislentunnel ging ihm besonders nah. (Foto: Screenshot «PulsCheck» SRF)
Notarzt Tobias Fehr (Dritter von links) und das Team beim Debriefing: Afreed Ashraf und Willi Balandies waren froh um diese Runde. (Foto: Screenshot «PulsCheck» SRF)

Dienstag, 13. Mai 2025. Der Drehtag bei Schutz und Rettung Bern läuft zunächst ruhig an. Doch auch an einem solchen Tag ist das Team auf alles vorbereitet – auf Einsätzen müssen sie alle ohne Spitalinfrastruktur im Rücken funktionieren.

 

Live vor Ort …

Mitten im Geschehen die beiden jungen Ärzte Afreed Ashraf, 28, und Willi Balandies, 29: Für ihr Format «PulsCheck» auf SRF präsentieren sie medizinische Themen, die sie auch selbst interessieren. In der neusten Staffel sind sie jeweils mit einem Kamerateam live vor Ort: bei der Rega, beim Militärarzt oder an diesem Tag bei Schutz und Rettung Bern.

 

… ausgerechnet bei diesem Einsatz

Dass sie später ausgerechnet zu einem der schwersten Unfälle der letzten Zeit gerufen würden, können sie sich noch nicht vorstellen: Der Vormittag verläuft ruhig, die Notärzte haben Zeit für eine Materialkontrolle und eine Kaffeepause. Das Ambulanzteam fährt ein paar kleinere Einsätze, ein Einsatz wegen Schwindel, einer wegen Atemnot, alle Patient:innen können problemlos versorgt werden.

 

Frontalkollission im Wislentunnel

Dann am frühen Nachmittag die Meldung: Zwei Autos sind im Wislentunnel frontal zusammengestossen. Polizei, Feuerwehr und sogar die Rega sind ebenfalls am Unfallort. Afreed Ashraf fährt mit Notarzt Tobias Fehr mit, eben haben sie einen Einsatz in Gümligen beendet, jetzt treffen sie als erste medizinische Fachleute an der Unfallstelle ein. Sofort ist der junge Arzt voll eingespannt und unterstützt den erfahrenen Notarzt darin, die am schwersten verletzte Person zu reanimieren.

 

Reanimation mit vollem Einsatz

Blinkende Lichter von den Einsatzfahrzeugen, der Boden voller Glasscherben und Fahrzeugteile  – und bei den Einsatzkräften totale Konzentration: Sein Fokus sei voll auf die zu reanimierende Person gerichtet gewesen, erzählt Afreed Ashraf später. «Was parallel geschah, habe ich deshalb nicht genau mitbekommen.»

 

Das Notarztteam hat gekämpft …

Das Ambulanzteam mit Willi Balandies trifft wenig später ein, es kümmert sich um eine andere schwerverletzte Person, stabilisiert sie und fährt sie in die Notaufnahme nach Bern. Balandies ist erleichtert, die verletzte Person ist am Leben, sie können sie an das Notfallteam im Spital abgeben. Im Tunnel kämpft derweil das Notarztteam weiter, reanimiert bis zur letzten Möglichkeit, dann die Besprechung im Team, der Entscheid, und Notarzt Fehrs traurige Ansage: «14.22 Uhr, Reanimationsabbruch jetzt.»

 

… und ist danach mitgenommen

Nach dem Einsatz sind Afreed Ashraf und Willi Ballandies sehr bewegt, so etwas haben sie noch nie erlebt. Ashraf beschäftigt noch ein besonderer Punkt: Er ist in Worb aufgewachsen und eng mit dem Dorf verbunden, der Unfall geht ihm dadurch auch persönlich nah. Auch  Balandies, der früher ebenfalls schon im Tunnel unterwegs war, ist sichtlich mitgenommen.

 

Ein nicht alltäglicher Fall, auch für die Profis

Der Unfall im Wislentunnel, so vermeldet die Kantonspolizei Bern am Abend, habe «einen 40-jährigen Schweizer, wohnhaft im Kanton Bern» das Leben gekostet. Seine Beifahrerin befinde sich in kritischem Zustand, eine Person sei schwer und eine Person leicht verletzt. «Einen derart krassen Fall erlebt offenbar auch das Team von Schutz und Rettung nicht jeden Tag», sagt Ashraf.

 

Über die Umstände reden die jungen Ärzte nicht ...

Details über die Lage an der Unfallstelle dürfen die beiden Ärzte nicht verraten, ärztliche Schweigepflicht. Aber dieser Tage wurde die Folge bei SRF aufgeschaltet, und deshalb erzählen die beiden im Gespräch, wie sie diesen aussergewöhnlich harten Einsatz persönlich erlebt haben.

 

... aber sie erzählen, wie sie sich beim Einsatz gefühlt haben

BERN-OST: Afreed, du bist in Worb aufgewachsen und kennst den Wislentunnel gut. Was ging dir auf dem Weg zum Einsatz durch den Kopf?

Afreed Ashraf: In der Durchsage hörte ich die Stichworte «Reanimation» und «Feuerwehr» – da war mir klar, ich muss mich auf alles gefasst machen. Erst danach wurde mir richtig bewusst, wie nah an meinem Umfeld der Unfall passiert ist.

 

Willi, du fuhrst mit dem Ambulanzteam an die Unfallstelle, ihr kamt etwas später an. Wie ging es dir?

Willi Ballandies: Unterwegs bekamen wir laufend weitere Infos, da wusste ich, dass es etwas Grosses ist, und war entsprechend aufgeregt. Mein erstes Assistenzjahr habe ich in Riggisberg absolviert, einem kleinen, ländlichen Spital, das keine Polytraumata behandelt, also keine Schwerstverletzten mit mehreren betroffenen Körperregionen – jetzt bekam ich mit, dass dieser Einsatz auch für das Team eine Ausnahmesituation ist. Trotz Aufregung dachte ich einfach: Ich gebe, was ich kann.

 

Ihr erhieltet dann jeweils eure Aufgaben zugeteilt: Was konntet ihr konkret tun?

Afreed: Der Notarzt ging direkt zur am kritischsten verletzten Person und rief «Afreed, komm mit!» – in diesem Moment war ich sehr froh, dass er so viel Erfahrung hat. Danach funktionierte ich einfach nur noch, versuchte zu helfen, wo ich konnte, und unterstützte bei der Reanimation. Die Situation war viel unmittelbarer als auf der Spital-Notaufnahme.

Willi: Ich folgte dem Rettungssanitätsteam zu einer anderen verletzten Person und unterstützte beim Stabilisieren und Vorbereiten für den Transport. Das Gefühl, Leuten vor Ort in einer dramatischen Situation helfen, ist sehr berührend. Beeindruckt hat mich, wie sich die Teams sofort aufgeteilt haben, wie der Einsatz völlig durchorchestriert war.

 

Und wie habt ihr euch dabei gefühlt?

Willi: Die Atmosphäre im Tunnel, der Hall, die Glassplitter und das Ausmass der Zerstörung – vor Ort ist alles viel unmittelbarer, als man das aus den Nachrichten kennt. Das ist mir eingefahren, vor allem, als ich erfuhr, dass jemand nicht überlebt hat. Trotzdem machten wir beide weiter, zogen die ganze Schicht durch. Aber ich war froh, führte das Team von Schutz und Rettung ein Debriefing-Gespräch durch, weil der Einsatz auch für sie nicht alltäglich war.

Afreed: Mir gefällt genau dieses Teamwork beim Einsatz. Ich kenne stressige Situationen aus dem Spital, aber im Tunnel war auch für mich alles anders – vor Ort, auf den Knien am Boden, mit Blick auf die verbeulten Autos und die Situation vor Ort, auf sich gestellt und doch in enger Zusammenarbeit. Da muss man einfach alles geben. 

 

Könnt ihr euch nach diesem Einsatz vorstellen, Notarzt zu werden?

Afreed: Ich auf jeden Fall. Zurzeit arbeite ich auf einer Notfallstation, und mir gefällt die Vielseitigkeit – dass kein Tag dem anderen gleicht, und dass ich Menschen in Not direkt helfen kann. Momentan stelle ich mir vor, dass ich mich auf Kardiologie oder Innere Medizin spezialisiere und dann die Notarztausbildung mache. In der Strasse und im Spital – ich mag die Abwechslung und die gegenseitige Unterstützung.

Willi: Diese Abwechslung und die Ungewissheit, was auf einen zukommt – diesen Reiz bei der Arbeit als Notarzt konnte ich bei unserem Einsatz nachvollziehen. Aber ich ging gerne in meine geordnete Dermatologiepraxis zurück. Hier gibt es für mich genug Detektivarbeit: Bei unbekannten Hautveränderungen die richtige Diagnose zu finden – das ist spannend genug.  Besonders herausfordernd ist es, wenn ich einer Patientin oder einem Patienten die Diagnose «Melanom», also schwarzer Hautkrebs, mitteilen muss.

 

Was ist euch von diesem Einsatz geblieben?

Willi: Mir blieb ein Satz des Notarztes Tobias Fehr hängen: «Ein solches Erlebnis darf einen berühren, aber nicht verfolgen.» Das hat mir geholfen – vor Ort ist professioneller Einsatz gefragt, nicht Mitgefühl.

Afreed: Mein Schlagwort lautet «Dankbarkeit»: Mir ist extrem bewusst geworden, dass ein Leben jeden Moment kippen kann. Ein solcher Einsatz, bei dem wir das Beste gaben und trotzdem alle Reanimationsversuche nicht halfen – das berührt auch Berufsleute mit viel Erfahrung. Ich möchte aber immer die Menschlichkeit beibehalten. Dabei – das geht heute noch zu häufig vergessen – ist Selbstsorge wichtig: Ich kann besser helfen, wenn ich auf mich achte.

Willi: Genau, und ich brauche eben ein Umfeld mit guten Bedingungen, damit ich mich nicht vergesse. Für mich gilt deshalb «weniger Action ist mehr Motivation». Aber ich habe von diesem Einsatz unglaublich viel mitgenommen, es war ein prägendes Erlebnis.

 

[i] Afreed Ashraf (28) ist in Worb aufgewachsen, zurzeit arbeitet er in der Notaufnahme des Lindenhofspitals Bern. Er begleitete den Notarzt zu schweren Einsätzen mit Lebensbedrohung.

Willi Balandies (29) ist im Ostring aufgewachsen und arbeitet in einer Dermatologiepraxis in Zürich. Er fuhr mit dem Team der Rettungssanität im Ambulanzfahrzeug.

 

[i] Afreed Ashraf und Willi Balandies besuchten das Gymnasium Kirchenfeld und begegneten sich während dem Medizinstudium an der Uni Bern und täglich im Fitnessstudio. Daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft. Sie gründeten den Podcast «SwissMedTalk», um Mitstudent:innen Infos über die verschiedenen Fachbereiche zu geben. Dann erhielten sie eine Anfrage von SRF: Ob sie «medizinische Realität packend vermitteln» möchten.  Damit soll auf den digitalen Kanälen von SRF ein jüngeres Publikum erreicht werden. Die erste Folge von «Puls Check» wurde am 12. Oktober 2022 ausgestrahlt, die im Beitrag erwähnte Folge finden Sie hier.


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
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Erstellt: 19.08.2025
Geändert: 19.08.2025
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