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Veruntreuung in Vechigen: So hat der Finanzverwalter 4 Millionen verzockt

Der entlassene Finanzverwalter von Vechigen hat vier Millionen Franken an der Börse verspielt. Im Gespräch mit BERN-OST erzählt er, wie es dazu gekommen ist und warum das niemand bemerkt hat.

Der Finanzverwalter von Vechigen hat an der Börse 4 Millionen in den Sand gesetzt. (Foto: Symbolbild pixabay)

Am Montagabend hat die Gemeinde Vechigen mitgeteilt, dass der Finanzverwalter fristlos entlassen wurde. Am letzten Freitag habe die Gemeinde gefälschte Unterschriften entdeckt und ein Darlehen über vier Millionen Franken, welches im Namen der Gemeinde aufgenommen wurde.

 

Das Geld vom Konto der Kirchgemeinde

Wir treffen uns beim Angeschuldigten zu Hause, sitzen am Tisch bei einem Kaffee. Er wird im Mai 65-jährig und erzählt seine Geschichte, wie es zu dieser Veruntreuung kam. "2001 wurde ich Finanzverwalter der Gemeinde Vechigen. Im Jahr 2002 habe ich für einen Bekannten an der Börse spekuliert.

 

Er gab mir 75'000 Franken. Ich hatte auch noch Geld eingesetzt. Ich setzte auf kurzfristige Risikopapiere und verlor alles. Um den Verlust zu decken, hob ich 125'000 Franken ab vom Bankkonto der Kirchgemeinde. Aber auch dieses Geld verlor ich an der Börse. Bis im Jahr 2004 hatte ich so eine halbe Million Franken von der Kirchgemeinde genommen und verspekuliert. Mir ging es nicht darum, mich zu bereichern. Ich wollte lediglich die Löcher stopfen, welche durch die Spekulation an der Börse entstanden waren."

 

Fast wäre der Betrug aufgeflogen

Dass auf dem Bankkonto der Kirchgemeinde eine halbe Million fehlte, bemerkte niemand. Der Finanzverwalter sorgte dafür, dass der Betrag in der Buchhaltung nicht auftauchte. Da sich das Geld an der Börse in Luft auflöste, nahm er mehr.

 

"Ich wollte das immer kurzfristig anlegen. Weil jedes Jahr wieder eine Revision war. Als Buchhalter weiss ich, worauf die Revisoren schauen. Niemand ausser mir wusste, dass das Geld nicht mehr auf dem Konto war. Ein Revisor deckte den Fall einmal fast auf. Er sah, dass ich einen Vertrag über ein Darlehen der Gemeinde Vechigen an die Kirchgemeinde gemacht habe. Er fragte nach und hätte es fast herausbekommen. Ich sagte ihm, dies sei von oben abgesegnet. Es klappte."

 

"Wenn ich damals aufgeflogen wäre, es wäre super gewesen, dann hätte ich die weiteren 3.5 Millionen Franken nicht mehr gebraucht." Doch er machte weiter.

 

Wie ein Süchtiger zockte er weiter

"Es war wie eine Sucht. Ich dachte immer, ich könne das Geld mit dem nächsten Betrag wieder reinnehmen, aber das Loch wurde immer grösser. Das Elendeste ist, dass ich meine Familie mit reingeritten habe. Dumm war auch, dass ich so leicht an Geld rankam und das immer verschleiern konnte. Auf der einen Seite hatte ich Glück oder auch Pech, wie man es nimmt."

 

Eine Million von der Versicherung

Das Geld, das er zu Beginn vom Konto der Kirchgemeinde entwendet hatte, hatte er über einen Betrag, den er vom Konto der Gemeinde nahm, zurückbezahlt. Nun musste er das Loch bei der Gemeinde stopfen. "Ich liess mir von einer Versicherung ein Darlehen geben. Alles im Namen der Gemeinde. Die Versicherung überwies eine Million Franken auf das Konto des Wasserverbunds Vechigen-Stettlen (Wavest), den ich betreute."

 

"Davon nahm ich eine halbe Million, um die Schulden bei der Gemeinde zu begleichen. Die andere halbe Million überwies ich auf mein privates Konto und spekulierte damit an der Börse. In der Buchhaltung fälschte ich einen Auszug der Bank. Ich schrieb im Excel eine Tabelle, benutzte dieselbe Schriftart wie die Bank, schnitt mit der Schere das Logo der Bank aus und kopierte das via Kopierer ins Formular. Das fiel nicht auf. Beim Wasserverbund waren Laienrevisoren am Werk, die merkten das nicht."

 

Als die Bank nachfragte, log er

Der Wasserverbund Wavest wurde später aufgelöst. Auch das stoppte den Finanzverwalter nicht, weiterhin über dieses Konto Geld zu verschieben. "Das Konto liess ich stehen, das interessierte niemanden. Die Bank fragte mal nach, warum auf dem Konto so grosse Beträge ein- und ausgingen. Kurz darauf wurde bei der Bank restrukturiert und der Sachbearbeiter war nicht mehr zuständig. Die Anfrage versandete."

 

"Auch meine private Bank wollte wissen, woher das Geld stammte. Der Bank antwortete ich, ich sei eine Wette mit einem Kollegen eingegangen, dass ich mehr Geld an der Börse mache als er. Ich zeigte denen eine gefälschte Wettvereinbarung, dann war das erledigt." Der Beschuldigte zockte weiter mit dem Geld der Gemeinde an der Börse und verlor immer mehr.

 

Am Ende häuften sich vier Millionen an

In zwölf Jahren hatte der Finanzverwalter vier Millionen Franken in den Sand gesetzt. Auf den Namen der Gemeinde lief ein Darlehen in dieser Höhe. Niemand merkte etwas.

 

"Ich habe auch privates Geld verzockt, habe privat ein Darlehen von 50'000 Franken aufgenommen und an der Börse alles verloren. 2016 hörte ich auf, weil ich wieder eine Million hätte aufnehmen müssen. Ich hätte es wohl weiter vertuschen können, aber ich fand, dass es genug war." Diesen Mai musste der Beschuldigte das Darlehen in der Höhe von vier Millionen Franken verlängern und er flog auf.

 

Die Lüge flog auf

Das Darlehen lief bei einer Nachbarsgemeinde, die Vechigen Geld lieh. "Dazu musste ich zwei Unterschriften fälschen. Ich unterschrieb von Hand im Namen zweier Mitglieder der Gemeindeverwaltung. Ich musste mir nicht mal Mühe geben, da das niemand bei der Gegenpartei, wo das Darlehen lief, kontrollierte."

 

"Bei der Gemeinde Vechigen wusste niemand etwas von diesem Darlehen. Dann kam dieses Papier mit den gefälschten Unterschriften per Post zurück an die Gemeinde und landete auf dem Pult des Gemeindeschreibers. Er merkte, dass etwas nicht stimmte. Das war am letzten Freitag, ich erzählte ihm alles. Am Samstag befragten mich Mitglieder des Gemeinderats."

 

"Ein psychischer Stress"

Nun könnte es auch sein, dass das Geld nicht an der Börse verpufft ist, sondern in Häusern und auf Konten angelegt wurde. Dazu sagt der entlassene Finanzverwalter: "In meinem Börsenkonto sieht man, dass das Geld weg ist."

 

Die Hochrisikopapiere, in die der Finanzverwalter investiert hatte, waren Call und Put Optionen vom deutschen DAX-Index oder vom New Yorker Nasdaq. "Ich bereue das zutiefst. Es war ein psychischer Stress über all die Jahre. Ich erwachte oft nachts und überlegte, wie komme ich da raus."

 

Angst vor dem Gesetz

Er hätte sich bereits nach dem ersten oder zweiten Mal stellen können. Darauf sagt er: "Ich stellte mich nicht aus Angst und Scham. Ich wusste, dass es ein Offizialdelikt ist, dass mir eine Strafverfolgung droht. Das hätte Mut gebraucht, den hatte ich nicht. Es war eine furchtbare Sache, jede Stelle hätte rückfragen können, aber niemand fragte. Deshalb ging es immer weiter. Für die Gemeinde tut es mir sehr leid, dass ich alle enttäuscht habe. Heute bin ich froh, dass der Fall aufgeflogen ist und die Last von meinen Schultern weg ist."

 

[i] Der Name des Beschuldigten ist BERN-OST bekannt.

 

[i] BERN-OST hatte Einblick in das Börsenkonto des Angeschuldigten. Weiterführende Angaben des ehemaligen Finanzverwalters konnten nicht überprüft werden. Bekannt ist, dass die Gemeinde Vechigen ein Darlehen in der Höhe von vier Millionen Franken entdeckt hat, bei dem Unterschriften gefälscht wurden. Die Angaben im Artikel sind die Aussagen des Angeschuldigten. Wir sind uns bewusst, dass der Mann mutmasslich Dokumente gefälscht und Gelder veruntreut hat.

 

[i] Der Beschuldigte hat eine KV-Lehre bei einer Bank absolviert. Erst arbeitete er bei der Bank. Später wechselte er in die Gemeindeverwaltung Vechigen, bei der er in verschiedenen Funktionen während 32 Jahren angestellt war. Letzten Freitag wurde er fristlos entlassen.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
Nachricht an die Redaktion
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Erstellt: 05.05.2022
Geändert: 05.05.2022
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