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Verzweigt in Vechigen: Ein Dorf ohne Strassennamen

Wer zu Fuss in Vechigen unterwegs ist, trifft alle paar Meter auf lustige Wegweiser. Dahinter steckt der Künstler Matthias Zurbrügg. Wir wollten von ihm wissen, ob er diese Wegweiser geschnitzt hat und was dahintersteckt.

Wörter und Wegweiser in und um das Dorf Vechigen. (Foto: zvg/BERN-OST)
Matthias Zurbrügg: «Es gibt immer Situationen, in denen ich Entscheidungen treffen muss.» (Foto: zvg)
Welche Richtung schlage ich ein? (Foto: Rolf Blaser)
Verzweigt lädt zu einem sinnlichen Spaziergang rund um Vechigen. (Foto: Rolf Blaser)

Rund um Vechigen prangen Schriftzüge aus Holz in den Feldern. Fast wie in Hollywood steht «Traumzeit» in einem Feld. Die Freiluftausstellung «Verzweigt» des Künstlers Matthias Zurbrügg aus Utzigen soll die Leute anregen, sich einen Moment Zeit zu gönnen. Abseits der Hauptstrasse führen viele Wege durch und um Vechigen.

 

BERN-OST: Matthias Zurbrügg, was ist die Idee hinter der Freiluftausstellung "Verzweigt"?

Matthias Zurbrügg: Es gab zwei Herangehensweisen. Zum einen hat mich das Dorf Vechigen schon lange fasziniert, andererseits finde ich mich immer wieder in Situationen, in denen ich Entscheidungen treffen muss. Vechigen ist ein Dorf ohne Strassennamen, es gibt die Schulhausstrasse und die Kirchmatte, ansonsten haben die Strassen keine Namen. Also dachte ich, ich könnte Schilder mit Strassennamen aufstellen, wer weiss, vielleicht bleiben sie stehen; entschied mich dann aber für Wegweiser.

 

Was zeigen diese Wegweiser?

Sie könnten Scheidewege im Leben repräsentieren. Die Idee war, dass der «Ort Vechigen» zum verorteten Leben wird, wo Raum und Zeit vermischt werden. Im Dorf gibt es keinen Durchgangsverkehr, es ist ein lebendiger Ort mit Fussgängerinnen, Fussgängern, Hofläden und einer Bäckerei – ein Ort der Begegnung.

 

Im Faltprospekt zum Weg steht: «Loggen Sie sich aus». Man soll das Handy ausschalten und sich im Dorf auf die Ausstellung einlassen. Machen das die Leute?

Ich weiss es nicht genau, aber es gibt viele, die fotografieren. Google Maps auf dem Handy zeigt den Weg durch die Ausstellung nicht an. Der Plan im Faltprospekt nützt einem auch nichts, stattdessen gibt es Wegweiser, auf die man sich einlassen soll.

 

Dieser Weg besteht seit Herbst und bleibt noch bis Ende April. Wie waren bisher die Rückmeldungen?

Wenn ich vor Ort bin, treffe ich Leute und wir unterhalten uns. Viele finden es gut, sehen etwas Poetisches und geniessen es, unterwegs zu sein.

 

Auf einem Wegweiser steht: «Egal / Später» – ich musste schmunzeln und ging Richtung «Später». Ziel erreicht oder habe ich etwas verpasst?

Es gibt noch einen dritten Wegweiser daneben, auf dem «Jetzt» steht. Richtung «Egal» führt aus dem Leben heraus. Die Botschaft ist, im Jetzt zu leben oder alles auf später zu verschieben.

 

Ich kenne nur den Abschnitt zwischen Worb und Vechigen, wie lang ist der gesamte Weg?

Es ist kein linearer Weg, er ist sternförmig angelegt. Vom Dorf aus gibt es acht Ausgänge, jeder ist anders beschriftet. Jedes Wort ausserhalb des Dorfes nimmt Bezug auf die andere Seite des Lebens. Das Ganze erstreckt sich über einen Quadratkilometer, man kann einen Bogen gehen und über einen anderen Weg wieder eintreten.

 

Wie sind die Schilder entstanden?

Die grossen Holzbuchstaben auf den Feldern habe ich teilweise schon in anderen Ausstellungen verwendet. Die Wegweiser aus Holz wurden von mir entworfen, einer Schriftsetzerin gesetzt und einer Firma per Laser ausgeschnitten.

 

Man kann über Twint für den Weg bezahlen. Wie zahlfreudig sind die Besucherinnen und Besucher?

Am Anfang waren sie sehr zahlfreudig, seit Januar ist es ruhiger geworden. Noch sind nicht alle Kosten gedeckt. Ich freu mich über jeden Beitrag, der hilft, meinen Lebensunterhalt zu decken.

 

[i] Von Februar bis April begleitet Matthias Zurbrügg an ausgewählten Daten die Ausstellung als Perfomer. Das Ganze kann verbunden werden mit einem Mittagessen im Kreuz Vechigen. Weitere Informationen auf matthiaszurbruegg.ch.
Anmeldung erwünscht unter: matthias.zurbruegg@mesarts.ch

 

[i] 2016 gestaltet Matthias Zurbrügg seine erste „Public Space Poetry Exhibition“ mit dem Titel Horizonte 2016 im Worblental. 2019 und 2020 gestaltet er die Freiluftwortinszenierungen Zeit Los Lassen auf dem Schosshaldenfriedhof in Bern. 2021 wird er nach Aadorf und Schaffhausen an zwei Gruppenausstellungen eingeladen. Zudem stellt er acht Wortbilder in der alten Schadaugärtnerei in Thun. 2022 entwirft er das interaktive Schreibprojekt Alphabet unterwegs. Im Juni 2023 ist er Gast am Hinterhaltfestival und in der Ausstellung Kunst in aller Ruhe auf dem Friedhof in der Stadt am Greifensee, in Uster. Im selben Sommer kehrt er mit seinen Worten zurück ins Worblental und verwirklicht seine erste Wegweiserausstellung im Dorf ohne Strassennamen, in Vechigen.


Autor:in
Rolf Blaser, rolf.blaser@bern-ost.ch
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Erstellt: 21.02.2024
Geändert: 21.02.2024
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