Wirbel um die Toiletten
Wegen wiederholtem Vandalismus hat die Schule Worbboden die Jungentoiletten geschlossen und den Zugang neu organisiert. Ein Vater kritisiert, diese Massnahme sei für Schüler belastend und im Alltag kaum praktikabel. Schulleiter Oliver Rüesch widerspricht und betont, man suche nach Lösungen, um das gute Schulklima zu erhalten.
Die Vorwürfe sind deutlich. Von einer «untragbaren Situation an der Schule Worbboden» schrieb uns ein besorgter Vater, der anonym bleiben möchte: Wegen Vandalismus seien die Toiletten bei den Jungs seit ein paar Wochen geschlossen. Seither herrsche im Schulhaus eine Situation, die «die körperlichen Grundbedürfnisse der Schüler massiv einschränkt».
Einige Schüler seien verunsichert
Grundsätzlich sei nachvollziehbar, dass etwas geschehen müsse, findet der Vater, aber so gehe das nicht: «Offenbar sind einige Schüler verunsichert und fühlen sich gedrängt, weniger zu trinken, um nicht die Toilette aufsuchen zu müssen.» Denn der Zugang zu den Toiletten gestalte sich «derart kompliziert, dass Schüler oft ganz darauf verzichten müssen, während der kurzen Pausen jemanden zu finden, der ihnen den Zugang ermöglicht».
Vandalismus als Dauerthema
Telefonisch auf diese Vorwürfe angesprochen, reagiert Schulleiter Oliver Rüesch überrascht: Er habe auf seine Intervention hin mehrheitlich positive Reaktionen erhalten. Die «Toilettenproblematik» sei latent ein Dauerthema: Es gebe immer wieder Schüler, die mit voller Pulle und – zumindest scheinbar – mit voller Absicht danebenbrünzeln, Handtuchrollen herunterreissen oder die Zwischenwände
Ein Jungs-Problem?
Tatsächlich scheint Klo-Vandalismus vorwiegend ein Jungs-Problem zu sein, bei den Mädchen sei es im Worbboden in der letzten Zeit nur selten zu einem Vorfall gekommen: Das letzte Mal hatte eine Schülerin die hübschen Blumen-Graffitis übersprayt, mit denen die Jugendlichen diesen Herbst im Rahmen eines Kunstprojekts die renovationsbedürftigen Toiletten verziert hatten
bei den Pissoirs so lange mit Fusstritten traktieren, bis sie lottern. Gespräche, Aufrufe, Besprechungen im Schüler:innenrat – alles blieb wirkungslos.
Warum Sanktionen kaum möglich sind
«Es ist sehr schwierig, Klo-Vandalismus zu bestrafen», erklärt Rüesch: «Wir können gar nicht herausfinden, wer die Vandalen sind – an einem Ort, zu dem Lehrpersonen eingeschränkt Zutritt haben.» Man müsse die Intimsphäre der Jugendlichen wahren, deshalb dürfen auch keine Kameras installiert werden. «Wir können also nicht nachvollziehen, wer danebengepieselt oder den Seifenspender zertrümmert hat.» Als sich im Herbst die Vorfälle häuften, war für Rüesch klar, dass er eine neue Strategie fahren musste.
Erster Lösungsversuch scheiterte ...
Der Schulleiter probierte Etliches, eine Liste zum Einschreiben beispielsweise, in der die Schüler nach dem Toilettengang vermerken konnten, ob sie die Toiletten in einem ordentlichen Zustand angetroffen hätten. Dann aber habe er schnell gemerkt: «Das ist bei 150 Schülern schlicht nicht machbar.»
Also beschloss er, einen grossen Switch zu machen: Er würde ab sofort die Jugendlichen in die Verantwortung ziehen, sie sollten mithelfen, die Ordnung in der Schule zu wahren. «Das ist generell sinnvoll und sogar hilfreich für ihre Entwicklung.»
... darum Klo-Crews nach Stufen organisiert
Oliver Rüesch bildete deshalb eine «Toiletten-Crew» aus Neuntklässlern, damit diese den Kloschlüssel verwalten konnten, und informierte die Eltern über diesen Schritt. Die Reaktionen waren positiv, aber nach wenigen Tagen kamen dennoch ein paar Rückmeldungen: Das sei für einige Siebtklässler sehr unangenehm, weil sie schüchtern seien oder Angst hätten, die älteren Schüler um den Schlüssel zu bitten. Der Schulleiter musste also einen anderen Weg finden.
Jugendliche in die Verantwortung nehmen
Er habe aber nicht mehr davon abweichen wollen, die Jugendlichen in die Verantwortung zu nehmen, sagt Rüesch. Stattdessen veranlasste er, dass neu eine Klo-Crew pro Stufe einen Schlüssel verwaltet: «So können Siebtklässler einen anderen Siebtklässler um den Schlüssel bitten und müssen nicht mehr einen älteren Schüler suchen.» Das sollte den Schritt erleichtern.
Zu kompliziert für den Alltag?
Das findet auch der anonyme Vater im Ansatz eine gute Lösung. Nur: «Die Schulleitung ist sich offenbar der Konsequenzen nicht bewusst.» Für die Schüler, so habe er sich sagen lassen, gestalte sich diese Lösung kompliziert: Sie müssten zuerst den langsamen Schul-PC aufstarten, um zu sehen, wer
Schlüsseldienst habe, dann den Stundenplan konsultieren und anschliessend noch den «Schlüssel-Verwalter» im Schulhaus finden. «Bis dahin ist die Pause, die eigentlich zur Erholung und etwas zu trinken oder essen dienen sollte, schon wieder vorbei», erklärt der Vater.
Schulleitung widerspricht
Schulleiter Rüesch sieht das anders: «Die Schüler dürfen auch jederzeit während der Stunde für den Toilettenschlüssel fragen, das ist nicht auf die Pausen beschränkt.» Offiziell gebe es nur noch die grosse Pause, die übrige Zeit werde am Worbboden fliessend aufgeteilt. Andere Eltern hätten für seine Massnahme viel Verständnis gezeigt: «Sie finden: Gut, dass ihr hinschaut, und gut, dass ihr die Schüler in die Verantwortung nehmt.»
«Alle zusammen gestalten eine gute Geschichte»
Genau das sei ihm im Schulalltag wichtig: «Dass Jugendliche Zivilcourage und Verantwortung übernehmen, hinstehen und sagen, ‘das finden wir nicht in Ordnung’ – denn irgendjemand weiss, wer’s war!» Rüesch erhofft sich davon mehr Partizipation und mehr Verantwortung: «So gestalten Jugendliche und Eltern und Schule zusammen eine gute Geschichte.»
Peinliche Situationen und gesundheitliche Aspekte
Der anonyme Vater anerkennt zwar den guten Willen vonseiten der Schulleitung, findet aber, die Konsequenzen seien nicht fertig durchdacht: Es sei für Schüler sehr peinlich, wenn sie andere Schüler um den Klo-Schlüssel bitten müssen und so jeder Toilettengang beobachtet werde. «Es gibt
auch Tage, da hat ein Schüler Magen-Darm-Beschwerden, ohne dass er deswegen zuhause bleiben müsste...» Die Schlüsselregelung zwinge deshalb Schüler dazu, auch bei kleinen Beschwerden zuhause zu bleiben.
Weniger Toilettengänge als Warnsignal
Mehr noch: In einer Mitteilung von der Schulleitung sei sogar erwähnt, dass es seither zu weniger Toilettengängen gekommen sei. Anders als es in der Mitteilung heisse, findet der Vater das überhaupt nicht positiv, im Gegenteil: «Das ist meines Erachtens ein kleines Alarmsignal.» Das zeige, wie sehr es die Kinder belaste. Generell seien doch Kollektivstrafen wenig sinnvoll.
«Keine Kollektivstrafe» …
Wie verzwickt solche Situationen sind, und wie schwierig es ist, eine Lösung für alle zu finden, zeigt Oliver Rüeschs Reaktion auf diesen Vorwurf: «Das ist aus meiner Sicht keine Kollektivstrafe, sondern eine Massnahme, die ich ergreife, damit wir in der Schule ein gutes Zusammenleben pflegen können», betont er.
… sondern Ziel «saubere Toiletten»
Dazu gehören für ihn Punkte wie: «Alle fühlen sich bei uns wohl und sicher», «Das Klima ist positiv und wohlwollend, es gibt keine (falschen) Verdächtigungen», aber eben auch «Die Toiletten sind sauber und hygienisch» und «Die Allgemeinheit wird finanziell nicht belastet durch teure Reparaturen». So hat Rüesch das auf einem Merkblatt festgehalten.
Suche nach tragfähigen Lösungen
Ob eine Lösung wie «ein Schlüssel pro Klasse» Druck von den Kindern nehmen könnte, wie das der Vater vermutet? Schulleiter Oliver Rüesch ist sich bewusst, dass man solche Fragen kaum je so lösen kann, dass alle restlos glücklich sind. «Ich suche einfach immer wieder nach Wegen, wie ich das gute Klima in der Schule aufrechterhalten kann.»
Das Problem von Toiletten-Vandalismus ist keineswegs auf den Worbboden beschränkt: Zahlreiche Schulen im Kanton Bern tun sich schwer damit, gar Schulen in der ganzen Schweiz, und es ist sogar in Deutschland bekannt. Bisher ist nicht klar ergründbar, warum Toiletten vielerorts Schüler:innen zum Vandalieren verlocken, Fachleute vermuten, dass unter anderem TikTok-Challenges dahinter stecken könnten. Schulleiter:innen tun sich weitum schwer damit, Lösungen zu finden, welche die Schüler:innen nicht beeinträchtigt.