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Worb: Trauergespräche statt Goldketten

In das ehemalige Atelier des Goldschmieds Baartman in Worb ist dieser Tage ganz still der Bestattungsdienst Thomas Müller eingezogen. Geschäftsführer ist der 25-jährige Kevin Huguenin: der jüngste und bekannteste Bestatter der Schweiz. Von den Medien in den Himmel gelobt, vom Sockel gestossen und wieder rehabilitiert. Und dabei stets erstaunlich guten Muts. Wir wollten wissen, warum ein fröhlicher junger Mann Bestatter wird.

Kevin Huguenin und Lia Niederhauser vor ihren neuen Geschäftsräumen an der Hauptstrasse in Worb. (Fotos: cw)
Für die weisse Wand haben Kevin Huguenin und Lia Niederhauser eine Blumentapete ausgewählt.
Bestatter Silvano Pavone ist Mitarbeiter und ebenfalls in den neuen Geschäftsräumen anzutreffen. (Foto: zvg)
So sieht der Raum für Trauergespräche neu aus. (Foto: zvg)
Ein bisschen Gold bleibt im Schaufenster: Hier hatte Goldschmied Rob Baartman während 23 Jahren sein Atelier.
So sieht der weisse Leichenwagen von Innen aus. (Foto: zvg)
Das Sarglager wurde nicht an die Hauptstrasse in Worb gezügelt. (Foto: zvg)

Strahlend stehen Kevin Huguenin und Lia Niederhauser vor dem Schaufenster der Hauptstrasse 20 – dem Lokal, in dem bis Ende letztes Jahr Goldschmied Rob Baartman sein Atelier geführt hatte. Die beiden freuen sich: Die Blumentapete, die sie sorgfältig ausgewählt haben, ist frisch aufgezogen, in der Raummitte steht der altehrwürdige Tisch des Unternehmens, das Huguenin vor sieben Jahren mit dem Geschäft von Katharina und Thomas Müller übernommen hat.

 

Büro und Empfangsraum statt Urnen und Särge

An diesem Tisch werden Huguenin, seine Partnerin Lia Niederhauser, mit der er beruflich und privat zusammen ist, und ihr Mitarbeiter Silvano Pavone Angehörige für Trauergespräche empfangen. Im Hinterzimmer wollen sie die Büroarbeiten erledigen. Auf der grossen Glasfront klebt die neue Anschrift «Bestattungsunternehmen Thomas Müller» samt Telefonnummer und Mailadresse: Ab sofort sind sie auf telefonische Vereinbarung am neuen Standort erreichbar.

 

«Urnen und Särge werden wir hier nicht ausstellen», beruhigt Kevin Huguenin schon im Vorfeld: «Uns ist bewusst, dass man auf dem Weg zur Bäckerei nicht unbedingt an einem Sarg oder einer Urne vorbeigehen möchte.» Aber er freut sich, dass er mit dem Umzug von der alten Mosti ins Zentrum von Worb besser erreichbar ist: «80 Prozent unserer Kundschaft sind betagte Menschen, für sie war es mühsam, uns in der Mosti zu finden und dann die Treppen hochzusteigen.»

 

Mit 25 Jahren schon zehn Jahre Berufserfahrung

Der Bestatter weiss aus Erfahrung, was seine Kundschaft braucht: Dieses Jahr ist er seit genau zehn Jahren im Bestattergeschäft. Zehn Jahre? Kevin Huguenin feierte eben erst seinen 25. Geburtstag! Er lacht. Ja, er sei im zarten Alter von 15 Jahren ins Bestattergeschäft eingestiegen, als jüngster Bestatter der Schweiz. Und er wurde dank einem Beitrag des Schweizer Fernsehens SRF schweizweit bekannt.

 

Tatsächlich ist sein Alter ein besonderes Merkmal in diesem Beruf, und viele mögen sich wundern: Was sucht ein aufgestellter 25-Jähriger seit Jahren bei den Toten? Es wird verständlicher, als er fröhlich zu erzählen beginnt. Wie er als Zehnjähriger die Vorbereitungen für die Beerdigung seines Göttis miterlebte. Wie sehr ihn all die vielfältigen Aufgaben faszinierten, die zu diesem Beruf gehören. Und wie für ihn von Anfang an völlig klar war: «Ich will Bestatter werden.»

 

Keine Bestatterlehre?

Das änderte auch nicht, als Huguenin bei der Berufswahl in der Schule feststellte, dass es dafür gar keine eigene Ausbildung gibt.

 

Er lacht, dann schüttelt er den Kopf: Nein, einfach sei es nicht gewesen. Nicht einmal schnuppern liessen ihn die meisten Bestatter:innen, die er anfragte. Die Berufsgilde lässt nicht gern Neulinge zu, schon gar nicht so jugendliche.

 

Dann halt ein eigenes Geschäft!

Huguenin liess sich nicht abbringen, nach einem Schnuppertag war er begeistert genug, dass er beschloss: Wenn er keine Lehre machen konnte, würde er sich eben selbstständig machen. Kurzum kaufte er sich mit dem Wochengeld, das er mit Arbeiten auf dem benachbarten Bauernhof verdient hatte, einen gebrauchten Leichenwagen – den er damals noch nicht einmal selber fahren durfte. Dafür stellte er einen Mitarbeiter ein, er selbst fuhr mit dem 30-er-Mobil zur Kundschaft in der Umgebung.

 

Als Sarglager mietete er eine Garage, dann machte er sich eifrig im Internet kundig über die Arbeit eines Bestatters – über Leichenwaschung, Einsargen und alle nötigen Formalitäten. Vieles liess sich Huguenin von einem erfahreneren Mitarbeiter beibringen, den er schon früh einstellte. Und er brachte frischen Wind in die Branche, indem er als Erster Pauschalangebote im Niedrigpreissegment offerierte.

 

Sieben Geschäftsstellen und acht Beschäftigte

Und schon bald eröffnete er zusätzliche Geschäftsstellen, um näher bei seinen Kund:innen zu sein. Mit Erfolg: Zu den besten Zeiten führte Kevin Huguenin sieben Geschäftsstellen mit acht Beschäftigten, 2020 stieg seine Freundin Lia Niederhauser voll in das Geschäft mit ein.

 

Aber die Bestatter:innenbranche hat ihre eigenen Regeln und lässt ungern Neues hinein. «Unlauterer Wettbewerb», schimpften Mitglieder des Berufsverbands, er erhielt Drohmails und nächtliche Anrufe mit unterdrückter Nummer, die ihn zu angeblichen Leichenbergungen schicken wollten. Und als Clou wurde gegen ihn eine Anzeige wegen Wucher eingereicht, die der «Blick» gross aufbauschte.

 

Frage nach dem Sinn

Die Anzeige wurde abgewiesen, aber für den so Angeschuldigten begann eine schwere Zeit. Die Aufträge brachen praktisch ganz weg, noch gerade ein, zwei Anfragen pro Monat trudelten ein. «Manchmal tauchte schon die Frage nach dem Sinn des Ganzen auf», erinnert sich Huguenin. Heute mag er gar nicht mehr zu sehr daran denken.

 

Die Geschichte und ihre Auflösung wurde in einer weiteren Reportage des Schweizer Fernsehens aufgerollt und eingebettet. In der Zwischenzeit hat sich die Lage weiter verbessert. Kevin Huguenin und Lia Niederhauser haben nicht mehr ganz so viele Aufträge wie vor der stürmischen Zeit, «aber es läuft wieder gut an».

 

Gute Mund-zu-Mund-Propaganda

Zum Glück, sagt Huguenin,  habe er wenigstens auf jene Kundschaft zählen können, die schon ein-, zweimal eine Beerdigung bei ihm ihn Auftrag gegeben hatte, .

 

Viele schätzen offenbar seine unbefangene und doch einfühlsame Art und sein Gespür für geschmackvolle Inszenierungen. Das helfe viel: «Mund-zu-Mund-Propaganda ist in dieser Branche das A und O.»

 

Kaum Zeit für Freizeit und Ferien

Für den beruflichen Erfolg zahlen die beiden allerdings ihren Preis, denn viel Zeit für Privatleben bleibt ihnen nicht: Sie sind sieben Tage pro Woche erreichbar, 24 Stunden am Tag. In den zehn Jahren, in denen Kevin Huguenin das Bestattungsgeschäft betreibt, hat er genau einmal fünf Tage Ferien in Hamburg gemacht.

 

Auch Hobbies liegen für ihn ausser den fünf gemeinsamen Katzen kaum drin. Partnerin Lia Niederhauser, 26, nimmt sich immerhin ab und zu die Zeit für Sport, Lesen und Nähen. Aber meistens sind sie zusammen unterwegs.

 

Offen für alle Konfessionen und Kulturen

Die endlosen Arbeitszeiten stören Huguenin nicht. «Wer dabeibleiben will, muss halt erreichbar sein, und wir lehnen keinen Auftrag ab.» Deshalb fährt das Paar, das auch privat in Worb wohnt, mit dem weissen Leichenwagen durch den ganzen Kanton, um Verstorbene abzuholen. Ihr Symbol: Ein Schmetterling statt einem Kreuz, wie sonst bei Bestattern üblich. «Das soll auch zeigen, dass wir offen sind für alle Konfessionen und Kulturen», erklärt Lia Niederhauser.

 

Dieser Umgang mit vielen Menschen und Kulturen, sagt sie, mache ihre Arbeit so interessant. Umso mehr freuen sich die beiden, ab sofort im hellen Büro im Zentrum von Worb zu arbeiten, sich mit Passant:innen auszutauschen – und damit auch den Tod, der heute so gerne verdrängt wird, ein bisschen mehr ins Zentrum zu bringen.

 

[i] Thomas Müller Bestattungsdienst GmbH, Hauptstrasse 20 in Worb, 24 Stunden-Service.  


Autor:in
Claudia Weiss, claudia.weiss@bern-ost.ch
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Erstellt: 09.03.2024
Geändert: 09.03.2024
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